Privatuniversität Witten-Herdecke am Tropf

Die Kritik an der Medizinerausbildung hat den Ruf der Privatuni Witten-Herdecke ramponiert. Jetzt muss die Wirtschaftsfakultät die angeschlagene Hochschule retten.

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dpa

Manchmal, beim Morgengrauen, ist die Universität Witten-Herdecke noch ganz bei sich selbst. Dann gibt die verglaste Außenfassade der privaten Hochschule die Sicht frei auf ein paar versprengte Anhänger der Anthroposophie beim Atemtraining im Audimax. Solche Momente der Ruhe sind selten geworden. Sie passen nicht recht ins Bild, das Deutschlands erste private Volluniversität neuerdings von sich entwerfen will. Mit dem Image als verkopfte Waldorf-Bildungsstätte will die Uni Witten-Herdecke nichts mehr zu tun haben. Konsequent präsentiert sie sich als moderne Business School, als KarstadtQuelle-Chef Thomas Middelhoff am vergangenen Montag eigens zur Eröffnung des von ihm unterstützten neuen „Instituts für Corporate Governance“ anreist. Nur manches passt da noch nicht ins Bild. Eine Kiste mit Büchern über die Heilkraft des Brottrunks hat jemand in den Schatten eines Getränkeautomaten gerückt. Auch die im hinteren Teil des Foyers hängenden Partyplakate für ein esoterisches Eurythmie-Festival wirken eher so, als habe der Hausherr vor dem Eintrudeln der Gäste noch schnell das verschmutzte Geschirr unters Sofa geschoben. Dass die Uni ausgerechnet jetzt ein neues Parade-Institut für Ökonomiestudenten aus der Taufe hebt, kommt nicht von ungefähr. Seit die Medizinerausbildung in Witten so heftig in die Kritik geraten ist, dass nicht nur ihr, sondern der gesamten Hochschule das Aus droht, lastet auf der Wirtschaftsfakultät erheblicher Erfolgsdruck. Als wichtigstes Zugpferd der Universität soll sie noch rentabler und attraktiver werden, um der angeschlagenen Hochschule das Überleben zu ermöglichen. Das wird nicht leicht. Denn die Querelen um die Medizinfakultät färben auf das Ansehen der gesamten Hochschule ab. Obwohl die Fachbereiche der Uni in sämtlichen Rankings nach wie vor auf den vorderen Plätzen landen, muss sie seit Jahren um ihre Existenz kämpfen. Schon Anfang 2003 stand die Hochschule nach dem Ausstieg mehrerer Sponsoren vor dem Aus, das sie nur durch ein Sanierungsprogramm und höhere Studiengebühren vermeiden konnte. Zu einer regelrechten Posse wurde die Suche nach einem Nachfolger für den Gründungspräsidenten Konrad Schily. Zuerst setzte sich Walther Zimmerli 2002 nach nur wenigen Monaten an die Volkswagen-Autouni ab. Anschließend dauerte es fast drei Jahre, bis die Hochschule mit Wolfgang Glatthaar endlich einen neuen Chef präsentieren konnte.

Und mit der Ärzteausbildung ist am vorvergangenen Freitag das Herzstück der Uni nur knapp dem Todesurteil entronnen. Auf seiner Frühjahrssitzung hat ihr der Wissenschaftsrat, wichtigstes hochschulpolitisches Beratergremium von Bund und Ländern, nach zähen Verhandlungen eine Gnadenfrist gewährt. Bis Juli hat die Privatuni nun Zeit zu erklären, wie sie ihren Betrieb auf das verlangte Niveau heben will. Keine leichte Aufgabe. Die Medizin weise „erhebliche inhaltliche und strukturelle Schwächen in Lehre und Forschung“ auf, heißt es in einer Stellungnahme des Wissenschaftsrats. So sei die Privathochschule zwar eine „kreative Alternative zu den staatlichen Universitäten“. Aber im Vergleich zur staatlichen Lehre sei die Mediziner-Ausbildung zu forschungsfern und wegen der fehlenden eigenen Uniklinik zu unkoordiniert. Die Zahl der hauptberuflichen Professoren sei zu gering und die Finanzierung wackelig. Nur wenn die Uni ein stichhaltiges Konzept zum Umbau der Fakultät vorlege, dürfe sie weiterhin Mediziner immatrikulieren und ausbilden. Viele Professoren im Wissenschaftsrat bezweifeln, dass die Privatuni noch die Kurve kriegt. Sie glauben, dass die Wittener mit der Zwangsreform völlig überfordert sind. Das politische Lager, im Wissenschaftsrat vertreten vor allem durch die Landesforschungsminister, ist der Uni zwar grundsätzlich wohlgesonnen. Doch auch hier will man im Juli tragfähige Ergebnisse sehen. Sollte auch der nachgebesserte Vorschlag scheitern, wäre die Medizinfakultät für mindestens zwei Jahre – bis zum nächsten Akkreditierungstermin – für neue Studenten stillgelegt. „Ohne die Medizin hätte die Universität keine Existenzgrundlage mehr“, sagt Gründungspräsident Schily. Der promovierte Neurologe und heutige FDP-Abgeordnete im Bundestag fürchtet um sein Lebenswerk. Anfang der Achtzigerjahre hatte er die Universität mithilfe privater Spenden gegen viele Widerstände aufgebaut – als bewusstes Gegenmodell zur staatlichen Ärzteausbildung. Die Medizin bildete 1983 das Fundament der privaten Universität. Erst später kamen Fächer wie die Wirtschaftswissenschaften hinzu, die aber schon bald zur Bestenliga zählten. Im jährlichen Uniranking der WirtschaftsWoche wählen Personalchefs die Wittener Ökonomie regelmäßig in die Top-Ten der besten deutschen Wirtschaftsstudiengänge. Die Absolventen der Privatuni gelten als elitäre Querköpfe. Das Curriculum zwingt sie, über den Tellerrand ihres Faches zu schauen und sich mit zum Teil exotischen Themen zu befassen: mit Musiktherapie oder chinesischer Medizin, mit Waldorf-Pädagogik oder Metaphysik. „Wir sind nicht wie andere private Unis, wir sind keine Business School“, stellt der Dekan der Wirtschaftsfakultät, Bernd Fricke, klar. Angesichts der Krise aber offenbar doch. Künftig muss die Hochschule ein noch lukrativeres Kursangebot führen. Das spezielle Lehrprofil der Uni soll zwar erhalten bleiben. Doch ohne weitere Stärkung der Wirtschaftswissenschaften wird es schwierig, den Kampf gegen den Wissenschaftsrat zu gewinnen.

Die Wirtschaftsfakultät mit ihren guten Drähten zu Sponsoren aus der Industrie wird den Uni-Betrieb stützen müssen, bis es mit den Medizinern wieder aufwärts geht. Schon jetzt ist die Wirtschaftsfakultät (334 Studenten im Sommersemester 2005) der Humanmedizin (306 Studenten) zahlenmäßig überlegen. Und der Bewerberstrom ist nach Auskunft der Universität trotz der Schelte des Wissenschaftsrats anhaltend hoch. Zusätzliche Studienplätze soll es jedoch zunächst nicht geben. Die Pläne trägt Uni-Präsident Wolfgang Glatthaar bereits seit Wochen mit sich herum. Sein Ziel: Die Zusammenarbeit der Mediziner mit den Wirtschaftswissenschaftlern soll wachsen. Welches Qualitätsmanagement braucht ein Krankenhaus? Wie lassen sich Traumapatienten kostengünstiger behandeln? Schon jetzt bietet die Universität eine Hand voll Seminare im attraktiven und zukunftsweisenden Bereich der Gesundheitsökonomik an. Damit will Witten-Herdecke wie andere Business Schools verstärkt im profitablen Geschäft der berufsqualifizierenden Bildung mitmischen, der so genannten Executive Education. Geplant sind etwa weiterbildende Masterstudiengänge für Ärzte. Fürs Aufatmen ist es dennoch zu früh. Der chronisch klammen Hochschule fehle die solide Finanzbasis, moniert der Wissenschaftsrat. Anders als viele andere Privatunis kann Witten-Herdecke nicht auf einen üppigen Eigenkapitalstock zurückgreifen. Das Stiftungsvermögen beträgt derzeit rund 30 Millionen Euro, doch versagen immer mehr langjährige Förderer die Unterstützung. Sie wollen die Uni endlich auf eigenen Füßen stehen sehen. Schon Ende 2004 zog sich die Bertelsmann-Stiftung nach mehr als 15 Jahren aus dem Spendengeschäft zurück. Auch die Deutsche Bank sieht nach der Stiftung des „Instituts für Familienunternehmen“ keinen akuten Anlass für weitere Spenden. Eine Haltung, die viele Förderer angesichts der zunehmenden Konkurrenz auf dem Bildungsmarkt vertreten. 69 private Hochschulen gibt es inzwischen in Deutschland und immer stärker betreiben auch die öffentlichen Unis Fundraising. „Der Wettbewerb um Mittel der Wirtschaft hat zugenommen“, sagt Ulrich Hommel, Rektor der European Business School und Vorstandsmitglied im Verband der Privaten Hochschulen. „Unternehmen fördern heute lieber konkrete Projekte und einzelne Lehrstühle, als allgemein Geld zu stiften.“ Die Studenten taugen ebenfalls kaum, um die Kassen zu füllen. Die Einnahmen aus Studienbeiträgen machen gerade mal sieben Prozent des Gesamtbudgets aus. Eine weitere Erhöhung gilt als unwahrscheinlich. Erst im vergangenen Jahr hatten die Studenten beschlossen, freiwillig mehr zu zahlen. Wirtschaftswissenschaftler, denen bessere Verdienstaussichten unterstellt werden, zahlen nun 30.000 Euro fürs gesamte Studium, Mediziner 25.000 Euro.

Noch hängt die Uni außergewöhnlich stark am Tropf des Landes. 14 Prozent des Budgets speist sich aus Landesmitteln, rund 3,5 Millionen Euro. Andere Privatunis wie die International School of Management in Dortmund oder die Zeppelin University in Friedrichshafen wirtschaften völlig unabhängig vom Staat. Zwar hofft die Privathochschule auf weiteres Geld vom Land, doch auch NRW will seine Unterstützung weiter drosseln. Ob und wie viel Geld Düsseldorf im nächsten Jahr zuschustern wird, steht derzeit zur Debatte. Fest steht: Witten braucht Geld. Rund zwei Millionen Euro hatte die Uni für die anstehende Reform veranschlagt. Ursprünglich. Aber jetzt muss das Konzept nachgebessert werden. Das dürfte die Kosten abermals in die Höhe treiben. Am Schauplatz des Dramas aber ist von trüber Stimmung nichts zu spüren. „Kein Geld haben wir immer schon gehabt!“ Den Leitsatz von Uni-Gründer Schily hör man häufig in diesen Tagen. Und überhaupt: Da steht Thomas Middelhoff, KarstadtQuelle-Chef und bestens vernetzt. Gerade erst hat er zugesichert, das neue Institut für Corporate Governance finanziell zu fördern und weitere Spender anzuschleppen. 1,5 Millionen Euro soll das Projekt pro Jahr kosten und langfristig satte Erträge abwerfen. Und der Wissenschaftsrat? Die Krise? Middelhoff hat es eilig, er muss seinen Flieger nach London erwischen. „Wissenschaftsrat? Tut mir Leid, keine Ahnung.“ Er ruft es hastig, halb im Gehen, so als gäbe es wirklich Wichtigeres.

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