Büroliebe Beziehung in der Krise

Das Büro gilt schon lange als beliebteste Beziehungsbörse, in der Krise suchen anscheinend noch mehr Menschen im Job nach Partnern, Romantik und Erotik. Doch die Büroliebe kann gefährlich werden - privat und beruflich.

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Partnersuchdienste erleben Quelle: obs

Wo Schatten ist, da muss auch Licht sein. Entsprechend erscheinen auf jeder Krisenbühne regelmäßig nicht nur Verlierer, sondern immer auch ein paar strahlende Gewinner. Dass es sich dabei jetzt ausgerechnet um Flirtbörsen im Internet handelt, kommt allerdings überraschend.

Seit Beginn der Krise registrieren die virtuellen Partnersuchdienste eine regelrechte Kuschelkonjunktur und freuen sich über steigende Zugriffe. Allein bei Parship fahnden 36 Prozent mehr Singles nach einem Partner, resümiert Arndt Roller, Geschäftsführer des Online-Kupplers. Konkurrent Elitepartner spürt nach eigenen Angaben 20 Prozent mehr Anfragen, beim Datingdienst Friendscout24 soll es ein Plus von 30 Prozent sein.

Die Wirtschaftskrise dringt in immer privatere Bereiche vor. Mein Haus, mein Auto, mein Partner – der Slogan könnte auch als Symbol für das erruptive Fortschreiten der Finanzflaute und ihrer Folgen herhalten.

Und die bescheren nicht nur den Datingplattformen eine Blüte. Tatsächlich sorgt die Baisse in den Bilanzen zugleich auch für Flirtkonjunktur auf den Bürofluren.

Jeder Fünfte sucht einen neuen Partner im Büro

Nahezu jeder Fünfte sucht aktuell am Arbeitsplatz wahlweise eine Schulter zum Anlehnen oder besser gleich einen neuen Partner. Ebenfalls rund 20 Prozent sehnen sich zudem nach mehr Romantik im Job, „weil das ihre Stimmung hebt und von den schlechten Nachrichten ablenkt“, so das Ergebnis einer Umfrage der Online-Stellenbörse Jobscout24, an der sich in der vergangenen Woche über 550 Büroarbeiter beteiligt haben.

Schon im Februar hatte die Jobbörse ihre Besucher zu ihrem Flirtfaible befragt. Ergebnis: Jeder fünfte Befragte gab damals an, bereits eine Affäre am Arbeitsplatz gehabt zu haben, ganze 15 Prozent lernten ihren aktuellen Partner im Job kennen und lieben.

Techtelmechtel statt Tristesse – haben die Leute denn sonst keine Probleme? Wer die Zahlen liest, könnte leicht den Eindruck bekommen, in deutschen Unternehmen wird derzeit genauso viel gebaggert wie gearbeitet. Mindestens.

So ganz falsch ist das auch nicht. Zwar gelten wachsender Stress, steigende Überstunden sowie Angst vor Jobverlust als klassische Libidokiller. Doch sei die neue Lust auf Liebe zumindest aufgrund des Krisenausmaßes erklärbar, finden Wissenschaftler.

Den meisten geht es um Sicherheit und Geborgenheit

„In schweren Zeiten sehnen sich die Menschen typischerweise nach mehr Zärtlichkeit, emotionaler und körperlicher Nähe“, sagt Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung.

Die Triebkraft dahinter ist jedoch weniger sexuelle Abenteuerlust. Vielmehr seien der Flirt oder die daraus entstehende Beziehung eine Art Zufluchtsort: In wirtschaftlich guten Zeiten seien viele nicht auf einen Partner angewiesen, weil sie sich die Einsamkeit mit Geld und Erfolg versüßen können. Doch je länger die Krise dauert, desto weniger funktioniert das. „Da findet gerade eine totale Umorientierung statt“, beobachtet Pastötter.

Gewiss, der eine oder die andere mag mit der Balz im Büro auch kurzfristige Rückschläge und Selbstzweifel kompensieren. Den meisten aber geht es vor allem um Sicherheit und Geborgenheit.

Oder schlicht ums Geld. Wenn der eigene Job gefährdet ist, beruhigen zwei Einkommen schließlich mehr als eines. Dass es in diesem Fall jedoch nur bedingt klug ist, den Mitversorger in spe im selben angeschlagenen Umfeld aufzuspüren, blenden die Betroffenen eher aus.

Arzt-Paar Friebe-Jargon: Trotz vieler Vorteile des gemeinsamen Arbeitsplatzes legen beide Wert auf Distanz im Job Quelle: Nathan Beck für WirtschaftsWoche

Anscheinend gibt die akute seelische Not den größeren Ausschlag als die potenziell finanzielle. Wenn beide Partner das Gefühl haben, im selben Boot zu sitzen und gemeinsam der gleichen Sturmflut trotzen zu müssen, halten sie umso besser aus und auch zusammen. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Susanne Hartmann und Jan Schmidt zum Beispiel arbeiten häufig 12 bis 14 Stunden am Tag. Und zwar zusammen. Die beiden sind Geschäftsführer eines Unternehmens, das rund um die Hochschulreife alles für Abiturienten organisiert. Sie fahren frühmorgens gemeinsam zur Arbeit, sitzen sich dann an zwei Schreibtischen gegenüber und fahren abends wieder zurück in die gemeinsame Wohnung.

„Wir haben wirklich eine 24-Stunden-Beziehung“, sagt Susanne Hartmann. Das helfe vor allem in schweren Zeiten wie diesen. „Wir können alle Probleme mit dem anderen offen und ehrlich besprechen“, sagt Hartmann. „Ich bin dann kein Einzelkämpfer mehr, das tut gut.“

„Weil die Welt immer unsicherer und instabiler wird, wollen sich die Leute zumindest im Privaten Sicherheit schaffen“, ist zum Beispiel auch der Ökonom und Philosoph Christoph Lütge von der TU Braunschweig überzeugt.

Büroliebe gegen den Stress

Der Stress tut sein Übriges dazu. So erklären Psychologen die zunehmenden Beziehungskisten im Büro mit hormonellen Schwankungen: Bei anhaltendem Druck pumpt der Körper mehr Stresshormone in den Blutkreislauf. Die wiederum hemmen die Ausschüttung von Testosteron, das bremst den Trieb und fördert die romantische Liebe. Wird sie erwidert, hilft sie wiederum, den Hormonhaushalt ins Gleichgewicht zu bringen.

Und weil der meiste Stress derzeit im Job entsteht, ist es für viele naheliegend, dort auch gleich nach dem Partner in spe zu suchen.

Kein Zweifel: Der Arbeitsplatz bietet für die Anbahnung einer Beziehung klare Vorteile gegenüber den eher sterilen und unpersönlichen Online-Singlebörsen oder dem Kennenlernen beim Candle-Light-Dinner. Davon ist etwa der Berner Paartherapeut und Psychologe Klaus Heer überzeugt: „Nirgendwo sonst kann man den potenziellen Partner so genau unter die Lupe nehmen, bevor man sich auf ihn einlässt.“

Ob Susanne bei geringstem Stress sofort überfordert ist, Klaus beim Essen in der Kantine schmatzt oder wie Petra nach einem aufreibenden Arbeitstag mit Augenringen aussieht, entdecken die Schmachtenden nicht erst dann, wenn der Hormonrausch der ersten Verliebtheit abklingt und die Sehkraft wieder einsetzt – sie erleben es Tag für Tag.

„Man hat schlicht eine größere gemeinsame Basis“, sagt Veronica Friebe-Jargon. Die Ärztin arbeitet zusammen mit ihrem Mann Dirk, ebenfalls Arzt, an der Uniklinik Freiburg. „Wir müssen uns nichts von Neuem erklären.“

So sehr beide die Vorteile des gemeinsamen Arbeitsplatzes schätzen, so sehr legen sie allerdings auch Wert darauf, nicht auf derselben Station zu sein. „Die Chirurgie ist kein Debattierclub. Manchmal ist der Umgangston etwas rauer, das könnte der Partner in den falschen Hals bekommen“, sagt Dirk Jargon. Auch sonst hat die Distanz Vorteile.

"Verliebte oder Paare stehen unter besonderer Beobachtung"

Büroliebschaften sind nicht ungefährlich – insbesondere in Zeiten, in denen Jobs gefährdeter sind als sonst und mancher Chef vielleicht nur nach einem Vorwand sucht, eine Kündigung auszusprechen.

Zwar dürfe kein Arbeitgeber Beziehungen am Arbeitsplatz verbieten, sagt der Arbeitsrechtler Ulf Weigelt. Aber wer am Arbeitsplatz seine Pflichten vernachlässige, der riskiere eine Abmahnung – und im Wiederholungsfall durchaus eine fristlose Kündigung.

„Verliebte oder Paare stehen unter besonderer Beobachtung“, sagt Weigelt und rät, sich möglichst nicht angreifbar zu machen.

Denn nur dann sehen deutsche Personaler die Liaison im Büro unkritischer als ihre Kollegen in den USA, die ihren Mitarbeitern Flirts am Arbeitsplatz oft per Ethik-Richtlinie verbieten. Offiziell jedenfalls existiert in keinem Unternehmen, bei dem sich die WirtschaftsWoche erkundigte, ein solches Liebesverbot: Allianz, Deutsche Bank, Volkswagen, ADAC, Deutsche Post, Bayer oder Siemens – sie alle zeigen sich äußerst offen gegenüber Jobbeziehungen.

Der Arbeitsplatz sei die „Heiratsbörse Nummer eins“, konstatiert Dieter Wirsich, Leiter der externen Kommunikation des ADAC. Er weiß, wovon er spricht – auch er lernte seine Frau bei der Arbeit kennen. Und in der aktuellen Situation spare das zudem ja auch noch Geld: „Man kann zusammen mit dem Auto zur Arbeit fahren.“

Sheepworld-Gründer Rölz, Giltl: Statt um große Gefühle ging es irgendwann nur noch um Gehaltsabrechnungen oder neue Produktpaletten Quelle: Christian Höhn für WirtschaftsWoche

Das ist vielleicht auch schon das Äußerste. Denn Experten werden nicht müde zu erwähnen, dass Verliebte selbstverständlich Berufliches und Privates strikt voneinander trennen sollten. Liebe gehört in die Freizeit, Job ist Job.

Der Paartherapeut Klaus Heer etwa warnt eingehend vor den Gefahren solcher Büroliebschaften – nicht für die Arbeitsmoral, sondern für die Beziehung selbst. Solche Paare seien zu viel zusammen. Irgendwann ist alles gesagt, es kommt zum echten Themennotstand, bis dahin, dass beide gar nicht mehr miteinander sprechen. „Dichte-Stress“ heißt das im Fachjargon.

Wichtig sei, so Heer, dass man sich dieses Problem bewusst macht. Dann könnten beide gezielt gegensteuern und ein gesundes Gleichgewicht aus Nähe und Abstand schaffen. „Es wäre fatal, sich mit Sekundenkleber an den anderen zu heften“, warnt Heer. „So paradox es klingt: Dadurch entfremdet man sich unweigerlich.“

Fast noch problematischer wird es, wenn die Partner auf unterschiedlichen Hierarchiestufen im Unternehmen stehen. Der Unterlegene fühle sich dabei häufig benachteiligt. „Dadurch kommt es zu Konflikten und zu Abhängigkeiten – nicht nur im Job, sondern auch nach Feierabend“, sagt Heer.

Ende der Büroliebe birgt große Sprengkraft

Der größte Risikofaktor aber ist das Ende einer solchen Beziehung. Diese Jobkonstellationen können regelrecht implodieren – durchaus mit großer Sprengkraft. Denn Büropaare schaffen in dieser Situation nur selten schnell genug den nötigen Abstand zueinander. Der ideale Nährboden für einen Rosenkrieg.

Damit wirkt sich die private Trennung unweigerlich auf den Job aus, belastet womöglich das Betriebsklima, die Kollegen und Kundenbeziehungen. Die Folge: Bekommen beide das nicht schnell genug in den Griff, muss meist eine(r) von beiden gehen.

Stefanie Rölz und Tobias Hiltl haben das Rundum-Desaster bereits hinter sich. Die beiden lernten sich 1996 kennen. Ein Jahr später gründeten sie Sheepworld, ein Unternehmen, das Postkarten, Kissen, Blöcke und Becher mit Comic-Schafen bedruckt und damit inzwischen erfolgreich ist.

Die Verliebtheit, sagen beide, war am Anfang das Beste, was dem jungen Startup passieren konnte. „Wir waren nie alleine mit unseren Problemen, hatten immer einen Ansprechpartner, dem man 100-prozentig vertraute“, sagt Tobias Hiltl.

Doch mit der Zeit wurde aus der erotischen Anziehungskraft eine platonische Freundschaft. „Wir haben das gar nicht richtig mitbekommen“, erinnert sich Hiltl. Statt um große Gefühle ging es immer öfter um spröde Themen wie Gehaltsabrechnungen, Verhandlungen mit der Bank oder neue Produktpaletten.

Nach vier Jahren kam das Aus. Dass einer aussteigt, um so die Liebschaft vielleicht zu retten, kam für beide allerdings nie infrage. „Das wäre so, als ob ein Elternteil keinen Kontakt mehr zu dem Kind haben dürfte, nur um die Ehe zu retten“, sagt Hiltl.

Stattdessen haben sich beide zusammengerissen und das Beste aus ihrer Freundschaft gemacht. Inzwischen fahren sie sogar wieder zusammen in den Urlaub. „Für die Firma ist es gut, wenn man ein Paar ist“, sagt Hiltl, „nur die Liebe bleibt leicht auf der Strecke.“

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