Als Lego 1998 sein Produkt Mindstorms einführte, hackten sich drei Wochen später Legofans in die Software und entwickelten sie weiter. Viele ihrer Änderungen und neuen Funktionen waren originell und gingen über die Vorstellungskraft der internen Entwickler hinaus. Aus dem ungewollten Hackerangriff wurde so ein gewünschter Austausch: Der Erfolg von Mindstorm Open Innovation Experiments bescherte Lego eine enorme Imagesteigerung und Kundenbindung.
Was damals ein Zufallstreffer war, ist heute ein Trend: Crowdinnovation heißt das Phänomen.
Innovation durch Austausch
Damit eröffnen sich Unternehmen völlig neue Wege der Prozess- und Produktoptimierung. Längst ist nicht mehr für jede komplexe Fragestellung eine kostspielige Beraterfirma nötig. Etliche Fragen lassen sich auch genauso gut, ja besser, dem weltweiten Kundenstamm stellen. Crowd Ideation, wie das Phänomen auch genannt wird, bedeutet für ein Unternehmen im Klartext: Das Wissen und die Einschätzung Externer nutzen, um intern davon zu profitieren. Innovationsprozesse finden immer seltener hinter geschlossenen Türen statt, sondern im fließenden Austausch - auch mit externen Impulsgebern.
Über den Autor
Oliver Bludau ist Gründer von www.foxem.net, einer webbasierten Plattform, auf der Unternehmen ihre Herausforderungen, Fragen und Probleme offen oder vertraulich an die Crowd adressieren können. Bludau hat in den vergangenen 20 Jahren bereits 19 Unternehmen in den verschiedensten Branchen gegründet, geleitet und zum Erfolg geführt – in der Finanzbranche, im Maschinenbau, in der Fitness- und Freizeitindustrie und im Online Business. Ab Sommer 2017 teilt er sein Wissen u.a. an der Harvard Business School. Als Entrepreneur, Investor und Umsetzer leitet er zudem Bennet & Levi, ein Panel aus sechs erfahrenen Unternehmern, die Freude an der Umsetzung ausgewählter Ideen haben.
Völlig herkunfts-, zeit- und ortsunabhängig können Hersteller oder Dienstleister ebenso mit Brancheninternen wie –fremden kommunizieren, mit Anwendern wie Interessenten, mit Visionären wie Verbrauchern. Dabei unterstützen neue Online-Anwendungen wie User Design Tools, internetbasierte Test- und Analysewerkzeuge oder Ideation-Plattformen die gemeinsame Ideenentwicklung. Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner, externe Kreative, Studenten, Querdenker oder branchenfremde Experten mit verschiedenem Background lassen sich aktiv in die Ideenentwicklung einbinden.
Was nach „Viele Köche verderben den Brei“ klingt, ist tatsächlich der Weg zur Feinschmecker-Essenz. Die Erfahrung liefert nämlich eine erstaunliche wie verlässliche Gewissheit: Das Mittel aus dem Wissen vieler ergibt das optimale Ergebnis. Wer die goldene Mitte der Schwarmintelligenz zu nutzen weiß, landet Volltreffer. Das zeigen die Erfolge verschiedener Big Player.
Die bekanntesten Crowdinnovation-Erfolge
Bereits ein Jahr nach Markteinführung des iPhone lenkte Apple seinen Fokus weg von den Kernfunktionen des Smartphones, hin zur Weiterentwicklung nutzbringender Applikationen (Apps). Ob Restaurantbewertung, Hotelbuchung oder Online-Banking – alles, was das iPhone in den vergangenen zehn Jahren hinzugewonnen hat, ist dem Input externer Entwickler zu verdanken. Jede dieser Apps wurde von Menschen kreiert, die gar nicht bei Apple angestellt sind. Apple begründete mit seiner Form der Crowd-Ideation ein regelrechtes Ökosystem, als der Konzern rund vier Milliarden US-Dollar an externe App-Entwickler ausschüttete.
Die Kosmetikmarke entwickelte eine komplette Nagellackkollektion im Co-Creation-Verfahren gemeinsam mit seinen Kunden und Facebook-Fans. Dazu nutzte das Unternehmen eine Crowdsourcing-Plattform und stellte dort „DIY-Kits“ zur Verfügung, zeitgleich lief die „Community Colours“-Kampagne als Tab-Applikation auf der Manhattan-Facebook-Seite. Durch die vernetzte Implementierung des Projekts konnte Manhattan mehrere relevante Zielgruppen erreichen: Facebook-Fans, die ca. 20.000 Mitglieder starke Crowdsourcing-Community sowie die Beauty Community. Die Kollektion im August 2013 wurde zu einer der erfolgreichsten Nagel-Displays von Manhattan, der Dialog mit der digitalen Community indes hält weiter an.
Die Koffeeshop-Kette wollte das weltweite Abfallproblem des Einweg-Pappbechers lösen. Dazu schrieb Starbucks einen Online-Wettbewerb auf einer Crowd-Ideation-Plattform aus. Die ausgelobte Prämie: 20.000 US-Dollar. Die niedrige Eintrittsbarriere für Teilnehmer – zusammen mit einer ensprechenden IT-Infrastruktur – ermöglichte es den Betacup-Organisatoren, ein neues Publikum von Ideengebern zu erschließen. In nur zwei Monate erreichten das Unternehmen 430 Lösungsansätze, darunter die Siegeridee: eine Low-Tech-Lösung namens Karma Cup, einem wiederverwertbaren Becher. Kunden, die zehn Mal mit dem Karma Cup zu Starbucks kamen, wurden mit einem Freigetränk belohnt. Die extern generierte Idee führte nicht nur zu einer Verhaltensänderung bei den Kunden, sondern auch zum Imagegewinn als umweltbewusstes Unternehmen.
Als Lego sein Produkt Mindstorms einführte, hackten sich drei Wochen später Legofans in die Software und entwickelten sie weiter. Viele der extern ersonnenen Änderungen und neuen Funktionen waren sehr originell und gingen über die Vorstellungskraft der internen Entwickler hinaus. Das kreative Potenzial der Crowd ist um ein Vielfaches höher als das einer begrenzten Anzahl von Mitarbeitern. Aus dem ungewollten Hackerangriff wurde ein gewünschter Austausch: Der Erfolg von Mindstorm Open Innovation Experiments bescherte Lego eine enorme Imagesteigerung und Kundenbindung.
Damit das Projekt Crowdinnovation erfolgreich ist, muss das Wissen des Einzelnen unabhängig von den anderen übermittelt wird. Zu groß ist sonst die Gefahr, dass sich die Crowd untereinander beeinflusst und Meinungsmacher einen Trend vorgeben. Das Wissen mit gezielten Fragen, attraktiven Prämien und kompetenter Auswertung zu generieren, bleibt Aufgabe des Unternehmens.
Gemäß der „Crowd-Studie 2014“des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft möchte eine Mehrheit der befragten 200 deutschen Unternehmen die Crowd künftig in verschiedenen Funktionen nutzen. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2018 mehr als die Hälfte aller Hersteller von Konsumgütern Crowd Ideation einsetzen werden. Das ist gut. Denn nur, wer sich neuen Ideen öffnet, kann auch in Zukunft innovativ sein.