Gesellschaft Männer: Job oder Baby?

Kinder und Karriere – beides miteinander zu vereinen wird auch für Männer neuerdings immer mehr zum Problem.

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An die Reaktion seines Chefs erinnert sich Olaf Tidelski genau. Um ein halbes Jahr Babypause hatte der 36-jährige promovierte Volkswirt gebeten – als erster Mann in der Führungsetage der Allianz Privaten Krankenversicherung. Sein Vorgesetzter war sprachlos. „Der ist tief in seinen Sessel gerutscht und war einfach nur baff“, resümiert Tidelski, der damals gerade frisch zum Referatsleiter befördert worden war und eine neue Abteilung übernehmen sollte. Tidelski wähnte sich bereits im beruflichen Aus: Karriere zu Ende. Als Weichei gebrandmarkt. Ab aufs Abstellgleis. Doch es kam anders: Der Chef willigte ein, schickte den Jungmanager in Elternzeit und übertrug ihm nach der Rückkehr sogar noch mehr Verantwortung. Tidelski führt das vor allem auf seine bis dahin erbrachten guten Leistungen zurück: „Mein Chef wusste, er kann sich auf mich verlassen.“ Von einer Lösung wie bei Aufsteiger Olaf Tidelski träumen inzwischen immer mehr Männer, doch nur für wenige wurde der Traum Wirklichkeit. Männer ernähren, Frauen erziehen – über Generationen hinweg war das ein ehernes Gesetz. Seit aber vor allem immer mehr junge Akademikerinnen nicht mehr auf Karriere verzichten wollen und von ihrem Ehemann mehr Verantwortung für das Aufziehen von Kindern fordern, stehen auch immer mehr Männer vor der Frage: Kinder oder Karriere?

Vor allem immer mehr Akademiker nehmen Elternzeit. Nach einer aktuellen Umfrage der IGS Organisationsberatung in Zusammenarbeit mit dem Managementportal MWonline und staffadvance (Feedbacksysteme für Personalentwicklung und Kundenbefragungen), die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, teilen sich heute immerhin schon zehn Prozent die Elternzeit mit ihren Frauen, zwei Prozent nehmen sie allein wahr (www.mwonline.de, www.staffadvance.com und www.igs-beratung.de). Befragt wurden mehr als 1000 berufstätige Väter, davon 85 Prozent Akademiker. „Wenn Männer Elternzeit nehmen, dann sind es überwiegend Akademiker“, bestätigt denn auch der Soziologe Harald Rost, Väterforscher am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg. Dennoch, auch das zeigt die Studie, dominiert nach wie vor das traditionelle Modell. Der Mann arbeitet Vollzeit im Büro, die Frau kümmert sich um die Kinder und jobbt vielleicht ein bisschen nebenher. Hauptgrund: 71 Prozent der Befragten sehen für sich einen deutlichen Konflikt zwischen Beruf und Familie. Dass ihnen die Elternzeit beruflich schadet, glauben fast zwei Drittel der befragten Führungskräfte. Nur zwei Prozent erwarten, dass sie sich positiv auf die Karriere auswirken wird – und das, obwohl 77 Prozent der Befragten durchaus eine stabilisierende, leistungssteigernde Wirkung in einer Familie mit Kindern sehen. Der primäre Konfliktherd ist das alte Männer-, beziehungsweise Managerklischee. „All die Diskriminierungen, denen Mütter im Unternehmen ausgesetzt sind, übertragen sich jetzt auf Männer, die Elternzeit fordern“, sagt Pia Bohlen-Mayen. Ihre Agentur Xbyte betreibt im Internet das Infoportal www.fast-4ward.de, ein Service für berufstätige Eltern und Arbeitgeber. Frauen kalkulierten den Karriereknick ein, so die Beraterin. Väter dagegen scheuten die Nachteile. Wie bewerbe ich mich mit Erfolg?

Kein Wunder, dass die meisten Männer das Problem neuerdings auf einfache Weise lösen: Sie entscheiden sich für die Vollzeit-Karriere – und wenn ihre Frau nicht die Verantwortung für die Kindererziehung übernimmt, verzichten sie gleich ganz auf den Nachwuchs. Das belegt eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Danach möchte inzwischen jeder vierte Mann (26 Prozent) zwischen 20 und 39 kinderlos bleiben. Die Zahl hat sich somit seit 1992 mehr als verdoppelt, da wollten nur 11,8 Prozent der Männer kinderlos bleiben. Auch bei den Frauen nahm der Wunsch nach Nachwuchs ab – jedoch allenfalls marginal: Aktuell wollen etwas über elf Prozent der Frauen auf Kinder verzichten, 1992 waren es knapp zehn Prozent. Damit sank zugleich der durchschnittliche Kinderwunsch pro Familie von 2,0 auf 1,7 Kinder. Andreas Halin, Unternehmensberater bei Spencer & Stuart, wundert das nicht. Häufig entscheide sich in den ersten acht Berufsjahren, wer in einem Konzern weiterkommt und wer nicht, sagt er. Karriere wird in jungen Jahren gemacht, einfach mal aussetzen gehe da nicht: „Wer das Potenzial zum Leistungsträger hat, bleibt am Ball und macht Karriere.“ Oder geht unter. Managerknigge: Mit Stil zum Erfolg

Männer, die ein aktives Familienleben führen wollen, müssen mit massiven Blockaden rechnen. Sie kommen in der Arbeitswelt schwer gegen das Stereotyp des „allseits bereiten, fitten und motivierten Mannes“ an, sagt der Identitätsforscher Heiner Keupp, Sozialpsychologe am Institut für Psychologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. „Ein Mann, der Teilzeit arbeitet, ist kein ganzer Mann“, heißt laut Arbeitszeitberaterin Angela Fauth-Herkner das Vorurteil, gegen das engagierte Väter ständig ankämpfen müssen. W.D. hat dies zur Genüge erfahren. Müde steht der Softwaremanager in der Küche seiner Altbauwohnung im Prenzlauer Berg in Berlin und rührt zerknirscht im Babybrei. Im Januar, kurz nach der Geburt seiner Tochter K., hatte sich der 35-jährige IT-Abteilungsleiter in die Elternzeit verabschiedet. Eigentlich wollte er für zwei Jahre Teilzeit arbeiten, parallel zur Babypause seiner Frau B., einer Produktmanagerin. Doch sein Chef stellte sich quer: „In Ihrer Position geht das nicht“, so der Vorgesetzte und stellte ihn vor die Wahl: Vollzeit oder raus. Rechtsanspruch hin oder her. Der junge Vater pokerte um einen Kompromiss und erzielte einen Teilerfolg. Sechs Monate hält ihn das Unternehmen noch auf einer Dreiviertelstelle, dann ruht der Arbeitsvertrag bis 2007. Im Büro führt bereits ein anderer die Geschäfte und wo das enden wird, ahnt D. schon. Erst neulich vergaßen ihn die Kollegen zu einem wichtigen Meeting einzuladen. Das frustet.

Nicht wenige Väter machen in der Situation aus der Not eine Tugend. In der Erwartung, nach der Rückkehr in den Betrieb schlechtere Karten zu haben, machen sich viele einfach selbstständig. Wie Volker Baisch. Heute gibt der 38-jährige Vater von zwei Töchtern seine Erfahrungen als Geschäftsführer des Hamburger Väterzentrums (www.vaeter.de) weiter. „Wie sage ichs bloß meinem Chef?“, fragen ihn Rat suchende Geschlechtsgenossen immer wieder. Baischs Antwort: Delegieren Sie Aufgaben rechtzeitig! Weihen Sie Kollegen in Ihr Vorhaben ein und suchen Sie sich Verbündete im Team! Und präsentieren Sie dem Vorgesetzten eine konkrete Strategie! Kai Altenfelder hat danach alles richtig gemacht. Der 37-Jährige leitet den technischen Support einer Nürnberger Softwarefirma und hätte vor einem Jahr beinahe nicht mehr weitergewusst. Seine Frau hatte gerade die Zusage für ihren Traumjob erhalten und wäre zur Not allein mit den beiden Kindern nach Buxtehude gezogen. Altenfelder entwickelte daraufhin einen Teilzeit-Plan: Weit vor Sonnenaufgang steigt der Manager nun montagsmorgens in den ICE, der ihn in fünfeinhalb Stunden vom Norden in den Süden Deutschlands bringt. Die Bahncard zahlt die Firma, die Nürnberger Zweitwohnung finanziert er selbst. Seine neue Lebensbalance: Montag bis Mittwoch knüppelt er im Firmenbüro in Nürnberg – Donnerstag und Freitag arbeitet er vom heimischen Schreibtisch aus und verbringt die Zeit mit seiner Familie in Buxtehude. Vor wenigen Jahren wäre so was noch undenkbar gewesen: Aber die Männer von heute lassen sich nicht mehr allein mit Geld ködern, „sondern suchen ein berufliches Umfeld, das stabile Freiräume bietet für private Interessen“, schreibt der Kölner Autor Thomas Gesterkamp in seinem Buch „Die Krise der Kerle“. Aus Sorge, die besten Talente zu verlieren, gehen Chefs zunehmend darauf ein. Deutschland: Wie gut kennen Sie Land und Leute?

Die Rolle der Väter rückt immer mehr auch in den Fokus der Unternehmen, bestätigt Stefan Becker, Geschäftsführer der Beruf & Familie GmbH, die besonders familienfreundliche Betriebe auditiert. Wenn Markus Möller von seinem Arbeitstag erzählt, wird dennoch deutlich, wie weit die Deutschen noch von der flexiblen Unternehmenskultur anderer Länder entfernt sind. Der 31-Jährige arbeitet als IT-Spezialist für Siemens in den USA und erledigt seine Aufträge weit gehend aus seinem Homeoffice in Boston. Morgens trifft er Kollegen von der Westküste oder aus Deutschland per Videokonferenz, sonnt sich mittags mit der dreijährigen Tochter und dem vier Monate alten Sohn im Park oder kocht das Mittagessen. Zur Not muss er halt nachts nochmal an den PC. In den USA ist das normal. Möller sieht sich und seine Frau, eine Konzertviolinistin, als Team, das sowohl im Beruf als auch im Privatleben Erfüllung finden will. Das sehen immer mehr Paare genauso. Wenn sie es sich leisten können, entscheiden sich die meisten für Tagesmütter oder Krippenplätze. Doch in Deutschland sind die, anders als in anderen Ländern wie Frankreich oder Dänemark, längst nicht überall in ausreichender Zahl und Qualität zu finden. In der Folge stehen selbst die emanzipierten Paare vor dem Dilemma: entweder berufliche Karriereeinschnitte für einen – oder doch auf Kinder verzichten. Oder sie müssen noch tiefer in die Tasche greifen, um auf dem privaten Markt für Kinderbetreuung zum Zug zu kommen. Das schränkt zugleich den Kreis derer, die sich das leisten können, enorm ein. Oftmals hilft dann nur noch eine Alternative: Die Familie insgesamt muss einspringen. Allianz-Manager Olaf Tidelski und seine Frau zum Beispiel sind, nachdem beide jeweils ein halbes Jahr Elternzeit genommen haben, jetzt wieder voll berufstätig. Und das Kind ist gut versorgt: Ihren 14 Monate alten Sohn Lennard bringen sie abwechselnd in die Kinderkrippe und zu den Großeltern, die dann ihren Enkel versorgen. „Wir haben unser Privatleben professionalisiert“, sagt der junge Vater. Sind Sie fit genug für die Karriere?

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