Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher konnte zu Beginn seiner Politikerlaufbahn kein Englisch. Er lernte es. Seinen Kritikern entgegnete er, dass er Außenminister und nicht Dolmetscher habe werden wollen. Damit hat er eigentlich alles nötige gesagt.
Dennoch kann sich heute kein Politiker oder hochrangiger Manager eines internationalen Konzerns sicherer sein, verspottet zu werden, wenn Videos auftauchen, in denen sie Englisch mit kräftigem deutschen Akzent sprechen. Das Video "Oettinger spricht englisch" wurde auf Youtube bereits mehr als 800.000 mal aufgerufen. Die Freude am Fremdschämen übertrifft den Willen, sich mit dem auseinanderzusetzen, was gesagt wurde. Form über Inhalt.
Dahinter steckt ein folgenreicher Irrtum darüber, was bei einem Fremdsprachler gutes Englisch ausmacht. Gerne wird die Kritik an der vermeintlichen Unfähigkeit, die Fremdsprache zu meistern, verbunden mit der Schlussfolgerung, dass dann ja wohl der international agierende Manager oder Politiker fachlich inkompetent sei.
Das sagt im Ernstfall mehr über die Kritiker aus als über die Kritisierten. Sprache und Kommunikation dient in erster Linie der Vermittlung von Informationen und Fakten - jedenfalls in Wirtschaft und Politik. In Popmusik oder Poesie ist das anders, da kommt dem Laut eine größere Bedeutung zu. Wer sich mit einem möglichst akzentfreien Englisch, gar im Slang einer bestimmten Region, brüstet, sieht darin vielleicht ein Zeichen der intellektuellen Überlegenheit. Das enthebt ihn allerdings nicht der Pflicht, auch etwas Schlaues zu sagen.
Denn der Rückschluss, dass es sich bei stark eingefärbter Aussprache um eine mangelnde Qualifikation handelt, missachtet, dass das unterschiedliche Fähigkeiten sind. Seit Generationen singen Opernsänger auf der Bühne in fremden Sprachen mit perfekter Aussprache, die sie gar nicht im Sprachgebrauch beherrschen. Es ist für musikalische Menschen leicht, Laute nachzubilden - ohne zu wissen, was die Worte bedeuten.
Listen and repeat - etwas, dass Geiger und Sänger in der Regel besser beherrschen als Betriebswirte oder Verwaltungsfachleute. Verhandlungssicher macht sie das jedoch nicht. Wem es darum geht, verstanden zu werden, sollte Wert darauf legen, in klaren Sätzen das vorhandene Vokabular zu nutzen, statt am Digraph - wie im englischen dem TH - zu feilen.
Es scheint zudem ein typisch deutsches Phänomen zu sein, sich in einer möglichst lässigen Weise als vermeintlicher Muttersprachler zu gerieren - was in den seltensten Fällen gelingt. Wer sich auf internationalen Messen eine Reihe von Präsentationen anhört oder oft mit Außenstellen in Spanien, Italien oder Frankreich zu tun hat, wird schnell feststellen: Vom Marketing-Einsteiger bis zum CEO verhehlt kaum einer seine sprachliche Herkunft.
Im Gegenteil: Gerade französische Mitarbeiter internationaler Konzerne scheinen mit perfekter Grammatik und einem Akzent, der intensiver ist als ein Munsterkäse riecht, sagen zu wollen, dass sie zwar bereit sind englisch zu sprechen - aber nicht einen Hauch der Aussprache entgegenzukommen und so ihre Nationalität zu verbergen.
In dem Maße, in dem viele Menschen hierzulande jene Besucher aus anderen Nationen unterstützen und loben, wenn die sich mit Mühe unseren Umlauten stellen, steht es jedem gut zu Gesicht, tolerant zu sein, wenn Deutsche hörbar am Diphtong scheitern.
Wer jedoch partout seine eigene Aussprache verbessern mag, dem helfen von Computerprogrammen, die die Lautbildung überprüfen. Was der heutigen Jugend die korrekte Aussprache näher bringt als vieles andere: Youtube. Vor allem Skandinavier beherrschen oft eine verblüffend gute Aussprache - nicht, weil sie zwingend begabter oder intelligenter sind, sondern weil viele Filme weder ins Finnische noch Norwegische übersetzt werden, sondern als Original mit Untertitel nicht nur Unterhaltung, sondern zeitgleich Aussprachhilfe bieten.
Das lässt sich in Deutschland, wo jeder Blockbuster selbstverständlich synchronisiert wird, dadurch nachahmen, dass man auf Youtube Filme in der gewünschten Sprache anschaut. Wer seinem Nachwuchs also gutes tun will, lässt sie die Nachhilfestunde in englischer Aussprache durchgehen, die beim Konsum von internationalen Filmen entsteht. Ein Vorteil, den der 1927 geborene Hans-Dietrich Genscher nicht hatte, als er sich im Amt des Außenministers der englischen Sprache bemächtigte.