Viele Geldanleger, private wie institutionelle, zeigen großes Interesse an Prognosen, vor allem an Prognosen, die zum Jahresanfang veröffentlicht werden. Sie wollen wissen, wie sich die Aktienkurse, Zinsen, Wechselkurse und Rohstoffpreise künftig entwickeln werden. Solche Prognosen sind für viele eine wichtige Grundlage, um Anlageentscheidungen zu treffen.
Das aber ist alles andere als unproblematisch. Denn Konjunktur- und Finanzmarktprognosen sind nicht verlässlich, wie man es aus der Naturwissenschaft gewohnt ist, und sie können es auch gar nicht sein – so überzeugend die prognostizierenden Analysten und Volkswirte auch daherkommen mögen.
In den Naturwissenschaften gewinnt man Erkenntnisse üblicherweise im Zuge von Laborversuchen. Unter gleichen Bedingungen wird zum Beispiel getestet, wie sich Substanz X verhält, wenn sie mit Substanz Y gemischt wird. Auf diesem Wege kommt man Naturgesetzen auf die Spur. Etwa in dem Sinne, dass man sagen kann: Wenn Substanz X mit Substanz Y in Verbindung gebracht wird, dann stellt sich stets die Reaktion Z ein. Solch ein Vorgehen ist im Bereich des Wirtschaftens – allgemein gesprochen: im Bereich des menschlichen Handelns – nicht möglich. Warum nicht?
Menschliches Handeln ist weder Mathematik noch Chemie
In der Naturwissenschaft lassen sich die für Untersuchungszwecke erforderlichen gleichartigen Beobachtungen mittels Laborversuchen in beliebiger Zahl beschaffen. Im Bereich des menschlichen Handelns ist das nicht möglich. Menschliches Handeln vollzieht sich stets unter ganz bestimmten, nicht wiederholbaren Bedingungen und ist einmalig. Denn der Mensch ist lernfähig. Das ist eine (handlungs-)logische Erkenntnis, die sich nicht widerspruchsfrei verneinen lässt.
Lernfähigkeit bedeutet nun aber, dass der Wissensstand, der Ziele, Vorlieben und Wertungen der Handelnden (mit-)bestimmt, nicht unveränderlich ist. Er verändert sich vielmehr im Zeitablauf fortwährend. Daher ist eine Datenbasis, wie es sie in der Naturwissenschaft gibt, im Bereich des menschlichen Handelns nicht verfügbar.





Das ist der Grund, warum man nicht davon ausgehen kann, dass Menschen auf einen bestimmten Faktor immer und überall in der gleichen Weise reagieren. Erhöht beispielsweise die Zentralbank die Geldmenge, so kann es sein, dass die Marktakteure – weil sie optimistisch gestimmt sind – mit dem neu erhalten Geld beispielsweise Aktien kaufen. Die Folge wären steigende Aktienkurse (im Vergleich zu einer Situation, in der die Geldmenge nicht erhöht und keine Aktien nachgefragt worden wären). Die Erhöhung der Geldmenge kann aber auch gehortet werden – weil die Marktakteure pessimistisch gestimmt sind. In diesem Falle blieben die Güterpreise, einschließlich der Aktienkurse, unverändert, obwohl die Geldmenge gestiegen ist. Im Bereich des menschlichen Handels gibt es halt keine im Zeitablauf konstanten (zeitinvarianten) Verhaltensparameter.
Selbst wenn man schon heute wüsste, was die Zentralbank künftig macht, ließe sich daraus noch nicht verlässlich ableiten, wie die Marktakteure darauf reagieren werden, wie Aktienkurse, Zinsen und Edelmetallpreise sich dann verändern. Denn um die Folgen der Zentralbankpolitik zu prognostizieren (also selbst wenn man sie schon heute kennen würde), muss man auch die sonstigen Faktoren – die „besonderen Umstände“ – kennen. Hebt die Zentralbank in sechs Monaten die Zinsen an, spricht das zwar für künftig fallende Aktien- und Häuserpreise. Wenn aber zum Zeitpunkt der Zinserhöhung die Wirtschaft brummt, könnte sich der Zinsanstieg als zu gering erweisen, und die Aktien- und Häuserpreise steigen.