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Medizinbranche wird schneller wachsen als die Weltwirtschaft

Mark Haefele Quelle: PR
Mark Haefele Global Chief Investment Officer, UBS Global Wealth Management Zur Kolumnen-Übersicht: Geldanlage global

Der Gesundheitssektor bietet in einer globalisierten Welt interessante Investment-Möglichkeiten. Das Tempo der Innovationen in diesem Bereich ist beeindruckend, die Nachfrage nach Dienstleistungen steigt rasant.

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In den letzten Wochen richtete sich das Augenmerk der Anlegerinnen und Anleger vor allem auf Gesundheitsfragen, da sie sich Sorgen über die Auswirkungen des Coronavirus machten. Zum Zeitpunkt der Niederschrift hat die rasch um sich greifende Krankheitswelle bereits viele Menschenleben gefordert und zehntausende Infektionsfälle wurden bestätigt. Abgesehen von den tragischen Todesfällen könnte die Epidemie auch das globale Wachstum negativ beeinflussen und belastet bereits die Märkte.

Obwohl ich wachsam beobachte, ob sich die Lage weiter verschlechtert, gibt es meiner Meinung nach auch Gründe für einen vorsichtigen Optimismus, dass der Ausbruch unter Kontrolle gebracht werden kann, insbesondere angesichts der entschlossenen Maßnahmen Chinas. Anlegern rate ich, Panikverkäufe zu vermeiden und Kursschwächen eher als Chance anzusehen, das Engagement in Aktien aus Schwellenländern sowie Asien ohne Japan zu erhöhen.

Gerade der Ausbruch des neuen Coronavirus macht deutlich, vor welchen Herausforderungen der Gesundheitssektor in einer globalisierten Welt steht. Forschung und Entwicklung sowie kontinuierliche Verbesserungen und Innovationen können hier Abhilfe schaffen. Deshalb bietet der Gesundheitssektor für Investoren interessante Möglichkeiten, auch wenn nach zehn Jahren mit überaus hohen Aktienrenditen (von durchschnittlich zehn Prozent pro Jahr in Industrieländern) unseres Erachtens jetzt eine Phase mit geringeren Renditen bevorsteht. Ich erwarte, dass die Renditen in dieser Anlageklasse in den nächsten Jahren näher bei vier bis sechs Prozent liegen werden. Dadurch wächst der Druck auf Anleger, Segmente zu finden, die schneller wachsen dürften als die Weltwirtschaft und die Erträge insgesamt. Im Gesundheitssektor gibt es in meinen Augen mehrere solcher Segmente.

Dies beginnt mit der potenziellen Zunahme der Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen insgesamt. Ein wichtiger Treiber ist die Alterung der Weltbevölkerung. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der über 65-Jährigen, auf die zwei Drittel der Gesundheitsausgaben entfallen, wahrscheinlich mehr als verdoppeln. Die Häufigkeitsrate vieler Krankheiten – von Krebs bis zu Alzheimer und Parkinson – steigt mit zunehmendem Alter stark an. Darüber hinaus führt die Urbanisierung in den Schwellenländern zu einer höheren Prävalenz von Zivilisationskrankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes. Heute leiden weltweit 650 Millionen Menschen an Fettleibigkeit und fast zwei Milliarden sind übergewichtig.

Die immer stärker in die Städte drängende Bevölkerung und das steigende Pro-Kopf-BIP führen in den Schwellenländern zu einer immer höheren Kalorienaufnahme. Daher erwarte ich, dass diese Länder im nächsten Jahrzehnt maßgeblich zu der wachsenden Zahl fettleibiger und übergewichtiger Menschen beitragen werden. Fettleibigkeit wird mit einer Vielzahl medizinischer Probleme in Verbindung gebracht. Dies treibt die Nachfrage in vielen Bereichen in die Höhe, von Diabetes-Medikamenten bis zu orthopädischen Implantaten.

Es ist jedoch nicht nur die steigende Nachfrage, die das Gesundheitswesen zu einem so wichtigen Sektor für Anleger macht. Das Tempo und die Vielseitigkeit des technologischen Fortschritts sind ebenfalls beeindruckend. In diesem Zusammenhang möchte ich einige Branchensegmente hervorheben, die meiner Meinung nach für langfristige Anleger besonders vielversprechend sind.

Mit der wachsenden Nachfrage und den gestiegenen Kosten im Gesundheitswesen bieten sich auch immer mehr Chancen für Unternehmen, die Technologien einsetzen, um das Gesundheitswesen effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Eine Reihe von Pionierunternehmen, die wir als Healthtech-Segment des Sektors bezeichnen, erforschen den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse, zur frühzeitigen Prognose von Gesundheitsproblemen und zur Individualisierung von Medikamenten. Technologien werden auch eingesetzt, um Fehler zu reduzieren und unnötige Behandlungen zu vermeiden oder um die Behandlung ohne Qualitätsverlust an kostengünstigere Standorte zu verlagern. Die Gesundheitstechnologiebranche weist meines Erachtens ein Marktpotenzial von über USD 100 Milliarden auf. Ich sehe dies als Teil eines umfassenderen Trends zur digitalen Transformation, die alle möglichen Branchen verändert, vom Einzelhandel bis zum Finanzwesen.

Auch bei medizinischen Geräten macht die Innovation rasante Fortschritte. Roboterchirurgie ist zwar nichts Neues. Doch wir erkennen einen Wendepunkt bei ihrem Einsatz und immer mehr Medizintechnikunternehmen führen chirurgische Robotersysteme ein. Ebenso gibt es immer mehr Geräte, die eine minimal-invasive Chirurgie ermöglichen. Dies reduziert in der Regel nicht nur die Genesungszeiten der Patienten, sondern auch die Kosten. Ein aktuelles Beispiel ist die rasche Substitution von Herzklappenoperationen am offenen Herzen durch den Transkatheter-Aortenklappenersatz (TAVR) im strukturellen Herzsegment des Herz-Kreislauf-Markts. Dieser Bereich weist meinen Schätzungen zufolge eine jährliche Wachstumsrate von etwas über 10 Prozent auf.

Und nicht zuletzt haben die enormen Fortschritte in der Gentherapie das Potenzial, die Medizin zu revolutionieren. Bei Gentherapien werden genetische Informationen modifiziert, um eine Krankheit zu heilen. Der Austausch defekter DNA kann die Ursache einer Krankheit beseitigen und die Gesundheit wiederherstellen. Diese Technologie stellt gegenüber der traditionellen medikamentösen Behandlung, die in der Regel nur den Krankheitsverlauf verlangsamt oder Symptome lindert, einen Paradigmenwechsel in der medizinischen Versorgung dar. In den letzten zwei Jahren haben Gentherapien wichtige Meilensteine erreicht: den wissenschaftlichen Proof-of-Concept und die Schaffung regulatorischer Klarheit. Vier solcher Produkte wurden auf dem US-Markt lanciert und erzielen einen annualisierten Gesamtumsatz von über einer Milliarde Dollar. Dank der Unterstützung und des Kapitals von großen Pharma- und Biotech-Unternehmen und der umfassenderen Kostenübernahme durch Versicherer und staatliche Systeme dürften diese neuen Produkte die wirtschaftliche Tragfähigkeit erreichen. Sofern es gelingen sollte, damit auch verbreitetere Krankheiten wie Diabetes oder Alzheimer zu behandeln, könnten sie die bestehende Pharmaindustrie auf den Kopf stellen.

Für mich lautet das Fazit, dass die Anleger das Interesse am Gesundheitswesen nicht verlieren sollten, wenn das Coronavirus unter Kontrolle gebracht ist. Das Tempo der Innovationen in diesem Bereich ist beeindruckend und die Nachfrage nach Dienstleistungen steigt ebenfalls rasant. Nicht alle Technologien oder Unternehmen werden zu den Gewinnern zählen, daher ist Diversifizierung wichtig. Teile des Gesundheitssektors bieten meiner Meinung nach aber auch beträchtliches Potenzial für längerfristig orientierte Anleger.

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