Es hat lange gedauert, bis die Krise Europas bei den Deutschen angekommen ist. In der Tagesschau liefen Bilder von Straßenschlachten in Athen oder Demonstrationen in Madrid. Aber das war weit weg. Zuhause in Deutschland lief doch alles super. Die Unternehmen schufen neue Jobs, die Zahl der Arbeitslosen sank auf ein Rekordtief. Und der deutsche Ottonormalverbraucher fing sogar an – ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit – mehr Geld für den Konsum auszugeben. Wen interessierte da schon, was im südlichen Teil des Kontinents oder etwa an den internationalen Finanzmärkten vor sich ging.
Doch Deutschland ist keine Insel der Glückseligen. Das wird jetzt mehr und mehr Menschen in Deutschland schlagartig klar. Es geht von einem Extrem ins andere. „Es ist ein großes Problem von Privatanlegern, dass sie sich von der Psychologie - und damit unausweichlich vom Herdentrieb und vom irrationalen Verhalten - anstecken lassen“, sagt der Ökonom und Buchautor Max Otte.
Was vorher erfolgreich verdrängt worden war, schlägt in Angst um; die Angst um das eigene Vermögen. Ist mein Erspartes noch sicher? Wie rette ich mein Geld, wenn der Euro auseinanderbricht? Das sind die Fragen, um die aktuell kein Bankberater herumkommt. Auch wir beim Handelsblatt bekommen reihenweise solche Anfragen. Die Antwort lautet: Bewahren Sie Ruhe, handeln Sie überlegt. Weder Verdrängen noch Panik hilft in der aktuellen Lage weiter. „Ich warne davor, überstürzt zu handeln. Angst ist kein guter Ratgeber“, sagt Martin Weber von der Uni Mannheim. Der Professor erforscht das Verhalten von Anlegern.
Fest steht: Deutschland kann sich nicht vom Rest Europas abkoppeln – ob wir wollen oder nicht. Deutsche Exportunternehmen machen die Hälfte ihres Umsatzes in Europa. Und über die gemeinsame Währung sitzen wir im selben Boot mit Spanien, Italien oder Frankreich. Spätestens seit dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche gibt es keinen Zweifel mehr, dass der deutsche Steuerzahler bei der Euro-Rettung in die Pflicht genommen wird. In der nächtlichen Sitzung in Brüssel konnte Kanzlerin Merkel zwar die Einführung von gemeinsamen Anleihen aller Euro-Staaten vorerst verhindern.
Doch die gemeinsame Haftung kommt durch die Hintertür. Die europäischen Banken sollen sich demnächst direkt beim Rettungsfonds bedienen. Sie haben in Form von Anleihen einen großen Teil der Staatsschulden aufgekauft, sind also eng mit den Schuldenstaaten verbandelt. Die Banken müssen die Staaten finanzieren, der Staat muss die Banken stützen. Am Ende zahlt der Steuerzahler, dessen Geld in den Rettungsfonds fließt. Allein für die Rettungsschirme EFSF und ESM haftet Deutschland im äußersten Fall mit 310 Milliarden Euro.
„Der deutsche Staat wird immer tiefer in die südeuropäische Krise hineingezogen“, warnte Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, im Handelsblatt. Die finanzielle Stabilität Deutschlands sei gefährdet.