Stromtrassenausbau Bürgeranleihe übervorteilt Privatinvestoren

Anwohner sollen den Stromnetzausbau für die Energiewende über spezielle Papiere mitfinanzieren. Die locken mit hohen Zinsen, sind aber trotz dem Segen der Regierung riskant und trickreich konstruiert.

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Fragwürdige Anreize sollen die Bürger zur Teilnahme an der Finanzierung neuer Stromtrassen verlocken Quelle: dpa

Die Strommanager aus Holland kommen derzeit viel herum in der norddeutschen Provinz. An vergangenen Montag fanden sich Führungskräfte des Netzbetreibers Tennet TSO in Garding ein, einem Marktflecken mit 2500 Seelen in Nordfriesland. Im Verwaltungsgebäude des Amtes Eiderstedt standen sie besorgten Bürgern von 8 bis 12.30 Uhr Rede und Antwort. Tags darauf ging es weiter nach Heide, dem Zentrum der ehemaligen Bauernrepublik Dithmarschen. Die Rundreise endete am Donnerstag in der Gemeinde Marne in der Südermarsch, wenige Kilometer entfernt vom stillgelegten Atomkraftwerk Brunsbüttel.

Kaum einer will die neue Anleihe

Die Fragen, die die Tennet-Manager beantworten müssen, sind stets dieselben: Wo genau wird die 150 Kilometer lange neue Stromtrasse verlaufen, die das niederländische Unternehmen entlang der Westküste von Schleswig-Holstein bauen will? Gefährdet Elektrosmog die Gesundheit der Anwohner? Werden die umliegenden Wohnhäuser und Bauernhöfe an Wert verlieren, wenn sich die 380-Kilovolt-Leitung dereinst von Niebüll bis nach Brunsbüttel erstreckt?

Die neue Stromtrasse und ihre Varianten. Zum Vergrößern auf die Grafik klicken

Nicht zuletzt machten Tennet-Geschäftsführer Lex Hartman und seine Kollegen auf ihrer Landpartie Propaganda für ein Wertpapier, das derzeit kaum jemand haben will – die neue Anleihe, die das Unternehmen den Anwohnern der geplanten Stromautobahn anbietet. Die Resonanz ist bislang schwach. Von den 160.000 Haushalten, die Tennet im Juni angeschrieben hat, forderten bislang gerade einmal 2000 Informationsmaterial an – gekauft hat den Strombond offensichtlich so gut wie niemand.

Die umworbenen Investoren aus Dithmarschen und Nordfriesland tun gut daran, die Zeichnung zu verweigern: Die Rendite ist zu niedrig, die Risiken sind zu hoch, verkauft werden kann die Anleihe womöglich nur unter hohen Verlusten.

Vor allem aber ist der Bond – eine Hybridanlage mit unbestimmter Laufzeit – hoch kompliziert. "Für Kleinanleger ist dieses Produkt schwer zu durchschauen", warnt Analyst Jannik Prochnow von der Nord/LB.

Scheitert die Emission des Strombonds von Tennet, dann scheitert womöglich auch ein ehrgeiziger Plan, den Umweltminister Peter Altmaier Ende 2012 ausgeheckt hat. Er will den weitverbreiteten Widerstand in der Bevölkerung gegen den Ausbau des Stromnetzes mit finanziellen Anreizen überwinden.

Die "Bürgerleitung" als Konzept

Wie in Schleswig-Holstein sollen sich in ganz Deutschland Anwohner am Bau neuer Trassen beteiligen, mit denen Windstrom aus Norddeutschland zu den Verbrauchern im Süden transportiert wird. Bundesweit müssen schätzungsweise 20 Milliarden Euro in den Bau neuer Höchstspannungsleitungen investiert werden, damit die Energiewende nicht ins Stocken kommt. Dies lässt vielerorts die Fantasie blühen.

Anfang Juli haben Altmaier, Wirtschaftsminister Philipp Rösler sowie die vier Netzbetreiber Amprion, 50 Hertz, Tennet und Transnet BW ein gemeinsames Rahmenkonzept für sogenannte "Bürgerleitungen" vorgestellt. Mit bis zu 15 Prozent können sich Anwohner an den Investitionen für neue Stromtrassen beteiligen. Damit möglichst viele Bürger Anleihen zeichnen, sollen diese eine Mindeststückelung von nur 1000 Euro haben. Im Gegenzug versprechen die Betreiber "marktgerechte Renditen" bis zu fünf Prozent pro Jahr. "Die Bürgerdividende kann damit zu einem hilfreichen Instrument bei der Umsetzung der Energiewende werden", behaupten Regierung und Stromkonzerne in ihrem Eckpunktepapier.

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