Verkehrte (Finanz-)Welt Mensch oder Maschine – wer geht besser mit Geld um?

Roland Ullrich ist Mitglied der CFA Society Germany und arbeitet seit 2010 als freiberuflicher Managementberater. Quelle: Presse

Der Mensch handelt nicht rational, nicht einmal, wenn es um Geld geht. Vernünftiges Investieren lässt sich aber lernen. Bei der Geldanlage ist die Kombination menschlicher und künstlicher Intelligenz vielversprechend.

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Die klassische Ökonomie hat sich mittlerweile vom idealtypischen Prinzip vollständiger Rationalität („homo oeconomicus“) verabschiedet. Durch die Arbeiten von Amos Tversky und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann wurde in den 1980er Jahren die verhaltensökonomische Forschung („Behavioural Finance“) ins Leben gerufen. Mit ihrer Prospekttheorie konnten die beiden Ökonomen eindrucksvoll belegen, wie irrational unser Entscheidungsverhalten ist.

Die Liste der kognitiven Verzerrungen ist lang. Wir überschätzen systematisch unsere Fähigkeiten und sind kaum in der Lage, Fehler zu korrigieren. Emotionen wie Angst und Gier bestimmen unbewusst unser Verhalten, wenn es um finanzielle Entscheidungen geht. Risiken werden je nach Gemütslage konsequent falsch eingeschätzt. Anleger zum Beispiel neigen systematisch dazu, Gewinne zu früh mitzunehmen und Verluste laufen zu lassen. Mit anderen Worten reagieren Anleger im Gewinnbereich risikoscheu und im Verlustbereich risikofreudig. Das widerspricht jeder ökonomischen Vernunft.

Die Entwicklung der Hirnscanner

Was Behavioural Finance nicht erklären kann, ist aber die grundlegende Frage, wie der menschliche Entscheidungsmechanismus funktioniert. Antworten liefern die Laborexperimente der noch jungen Neurofinance-Forschung. Erstmalig haben sich Ende der 1990er Jahre Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen – Ökonomen, Neurologen, Neurobiologen – zusammengetan, um zu ergründen, wie das menschliche Gehirn zu seinen irrationalen Schlüssen kommt.

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Mit Hilfe neuer Messverfahren – vor allem der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) – konnten irrationale Finanzentscheidungen, Emotionen und der enorme Einfluss der Evolution auf unser Verhalten an den Kapitalmärkten nachvollzogen werden. Das asymmetrische Risikoverhalten der Anleger nach der Prospekttheorie lässt sich dadurch erklären, dass unser Gehirn Analyseschritte, die aus ökonomischer Sicht zusammengehören, in verschiedenen Gehirnarealen vornimmt. Gleichzeitig werden Verlustrisiken sehr viel stärker gewichtet als Gewinnchancen. In der Evolution war die Sensibilität für Verluste vorteilhafter als die Dankbarkeit für Gewinne.

Eine Überreaktion war in der Regel harmlos, eine unzureichende Reaktion auf reale Risiken unter Umständen tödlich. Eine ausgeprägte Reaktion auf potenzielle Gefahren bildet den Kern des Urinstinkts der Selbsterhaltung, kann aber zu wenig rationalen Finanzentscheidungen führen.

Menschliche versus künstliche Intelligenz

Die Frage, ob sich unsere evolutionsgeschichtlich uralten Gehirnsysteme überhaupt dafür eignen, vernünftig mit Geld umzugehen, hat die Neurofinance Forschung beantwortet: Unser Gehirn ist uns zum Überleben gegeben und von Natur aus einfach nicht dazu gemacht, ökonomisch rationale Entscheidungen an komplexen Finanzmärkten zu treffen. Finanzmärkte folgen völlig anderen Gesetzen.

von Daniel Schönwitz, Sebastian Kirsch

Aber, das ist die gute Nachricht: Es gibt Wege aus dem evolutionsbiologischen Dilemma. Da unser Gehirn vollkommen plastisch, das heißt lebenslang wandelbar ist, können wir lernen, die Kontrolle über unsere unbewussten Gehirnaktivitäten zu erlangen. Hirnforscher sind heute in der Lage, Anlegerverhalten vorherzusagen und zu beeinflussen. Mit dem Bewusstsein, wie unser Gehirn finanzielle Entscheidungen trifft, können wir Methoden erlernen, die uns helfen, im ökonomischen Sinn rationaler und damit besser mit Geld umzugehen. Mindfulness Training oder „Nudging“, also das bewusste „Anstoßen“ von klügeren Entscheidungen, sind Beispiele dafür.

Allein auf künstliche Intelligenz sollten wir hingegen nicht setzen. Wenn wir uns zunehmend auf entsprechende Lösungen verlassen, anstatt das eigene Gehirn zu benutzen, wirkt die Plastizität nämlich in die andere Richtung und wir machen uns abhängig. Das Auslagern von Denkaufgaben („cognitve offloading“) führt zum Abbau von Gehirnfunktionen.

Kräfte bündeln

Die spannende Frage lautet daher, welche Rolle die Megathemen Künstliche Intelligenz und Big Data bei finanziellen Entscheidungsprozessen spielen können und sollten. Sind Algorithmen-basierte Anlageprodukte und digitales Asset Management die logische Konsequenz, um irrationales Anlageverhalten auszuschalten? Lassen sich so kognitive Verzerrungen ausschließen, die zwangsläufig bei persönlichen Finanzentscheidungen auftreten? Überspitzt formuliert: Kann die Maschine den Menschen ersetzen, wenn es um Geld geht?

Angesichts der geschilderten Unzulänglichkeiten des menschlichen Gehirns wundert es nicht, dass alle Versuche, die Qualität finanzieller Entscheidungsprozesse zu verbessern, sich darauf konzentrieren, menschliche Intelligenz durch künstliche Intelligenz zu ersetzen. Diese Entwicklung führt allerdings in eine Sackgasse. Menschen und Maschinen sind zwei völlig verschiedene Systeme mit völlig unterschiedlichen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Im Fokus sollte daher stehen, die verschiedenen Formen der Intelligenz zu kombinieren.

Small and Large World Problems

Künstliche Intelligenz ist gut geeignet, sogenannte „small world problems“ zu lösen. Diese sind definiert durch klare Aufgabenstellungen, replizierbare Prozesse, identifizierbare Kriterien und Alternativen, bekannte Korrelationen und Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Selbstlernende Maschinen sind heute in der Lage, aus großen unstrukturierten Datenmengen Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Aus Vergangenheitsdaten und impliziten Wissen wird neues explizites Wissen generiert. Das wird ein menschliches Gehirn nie leisten können.

Bei sogenannten „large world problems“ stößt die künstliche Intelligenz allerdings an ihre Grenzen. Programmierte Algorithmen sind rückwärtsgewandt und folgen starren Regeln. Oftmals sind Aufgaben und Ziele nicht klar definiert, da die Ergebnisse vom Verhalten Dritter abhängen, Korrelationen und Wahrscheinlichkeitsverteilungen ändern sich, Prozesse sind nicht replizierbar und das Umfeld verändert sich dynamisch. Die Beispiele disruptiver Technologien zeigen eindrucksvoll, wie in kurzer Zeit Geschäftsmodelle und ganz Märkte zerschlagen werden können. In diesen Situationen sind grundlegende Entscheidungen zu treffen, die Ihnen kein Computer abnehmen kann. Das menschliche Gehirn ist hier überlegen. Es besteht aus effizienten Assoziationsnetzwerken, die sich permanent weiterentwickeln Informationen werden nicht einfach abgespeichert, sondern verknüpft mit bestehendem Wissen, Verbindungen und unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis. So entstehen kreative Ideen und intelligente Konzepte („deep thinking“), um komplexe Probleme zu lösen.

Die Kräfte bündeln

Die Frage, wer besser mit Geld umgeht, lässt sich also klar beantworten. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind bestens geeignet, „small world problems“ zu lösen. Automatisierte Anlageberatung („Robo-Advisory“) und digitales Asset Management tragen mit klaren Regeln und langfristigen Strategien dazu bei, emotionale Reaktionen bei Finanzentscheidungen auszuschalten.

Bei „large world problems“ geht es nicht ohne menschliche Intelligenz. Pablo Picasso sagte einmal über Computer: „Sie sind nutzlos! Sie können nur Antworten geben.“ Maschinelle Intelligenz beantwortet Fragen, stellt aber keine. Das kann aber wiederrum das menschliche Gehirn. Welchen Wert und welche emotionale Bedeutung der Anleger bestimmten Entscheidungssituationen beimisst, muss er selber beurteilen. Auch in Zukunft müssen Menschen entscheiden, was ihnen wichtig ist, ob und wofür sie ihr Geld ausgeben, ob sie ihr Geld selber anlegen oder digitalen Vermögensverwaltern vertrauen.

Am Ende stehen wir vor der Frage, wie wir die verschiedenen Formen der Intelligenz bestmöglich kombinieren können, ohne uns davon abhängig zu machen.

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