Es schien ein Naturgesetz zu sein: Häuser und Wohnungen werden teurer, Jahr für Jahr. Doch das galt nur, solange die Zinsen immer tiefer sanken. Schon zu Beginn des Jahres 2022 brach dieser Trend. Und waren es anfangs noch einzelne Stimmen aus dem Markt, die vor einem Ende des Booms warnten, zeigte sich im weiteren Jahresverlauf ganz deutlich: Der Boom ist beendet, die Preise beginnen zu sinken.
Der Markt befinde sich im „völligen Umbruch“, sagt Karsten Schiefelbein aus Essen. Als Kreditvermittler verdient er eigentlich nur, wenn ein Immobilienkauf samt Finanzierung zustande kommt. Und doch ist Schiefelbein ein Freund klarer Worte. So seien die derzeitigen Preisprognosen noch viel zu optimistisch. Schon jetzt seien Preisnachlässe möglich, nach Jahren, in denen sich Interessenten beim Wettbieten in schwindelerregende Höhen gesteigert hatten. Obwohl Schiefelbein die Herausforderungen offen anspricht, sieht er keinen Absturz auf uns zukommen.
Der Zins ist der entscheidende Faktor
Zentral für die weitere Preisentwicklung sei der Zinstrend. Auf dem derzeitigen Zinsniveau rechnet der Kreditvermittler mit einem Preisrückgang bei Immobilien von 10 bis 15 Prozent. Zwar müssten die Preise eigentlich noch etwas mehr nachgeben, so Schiefelbein, doch dafür sei die Nachfrage schlicht zu hoch. Und wenn die Zinsen wieder sinken, weil auch die Inflation schneller verschwindet als gedacht? Dann könnte der Preisrückgang schon auf halbem Wege beendet sein, so Schiefelbein. Lesen Sie hier das Interview mit Finanzierungsvermittler Schiefelbein.
So unterschiedlich die Stimmen in unserer Serie Umbruch am Immobilienmarkt auch klingen, eine gemeinsame Botschaft gibt es: Der Zins steuert den Markt. Der rasante Zinsanstieg hat den Boom abgewürgt, nun geben die Preise nach. Doch einen Absturz, den vielfach befürchteten Crash, den sehen die Experten nicht. Und dabei haben sie einige gute Argumente auf ihrer Seite. Die hohe und noch zunehmende Nachfrage bei einem schon knappen und künftig noch knapperen Angebot ist wohl das wichtigste.
In diese Richtung argumentiert auch Reiner Braun, Geschäftsführer des Berliner Datendienstleisters empirica regio. So verstelle die derzeitige „multiple Problemlage“ den Blick auf das Wesentliche – die Knappheit am Markt. Und die werde sich noch verschärfen, weil kostendeckende Neubaumieten jetzt eher jenseits von 20 Euro pro Quadratmeter liegen müssten. Das aber, so Braun, sei selbst für die obere Mittelschicht unbezahlbar.
Der Neubau lahme daher, Wohnraum werde noch knapper. Aus dem politischen und sozialen Blickwinkel ist das ein großes Problem. Allein aus der Marktlogik aber spricht es für einen Kauf, da der Immobilienbestand in diesem Umfeld eher noch an Wert gewinnen dürfte. Wer ausreichend Eigenkapital habe und nicht auf teurere Finanzierungen angewiesen sei, der solle gerade jetzt kaufen, erklärt Braun. Die Analyse des Marktexperten Reiner Braun lesen Sie hier.
Investor Jakob Mähren würde damit noch etwas warten. Denn noch säßen viele auf ihrem teuren Bestand, noch herrsche eine Art Schockstarre. Dabei sieht auch er im kommenden Jahr ein Jahr der Chancen. Im zweiten Quartal rechnet er mit einer Beruhigung der Lage – und die gilt es zu nutzen.
Die größten Finanzierungsfallen für Immobilienkäufer
Wer seine finanzielle Belastungsgrenze für Zins und Tilgung überschätzt, gefährdet die gesamte Finanzierung. Die Monatsraten sollten ein Drittel der Einkünfte nicht übersteigen. Schließlich geht das Alltagsleben auch für Immobilienbesitzer weiter. Unvorhergesehene Ausgaben, etwa eine größere Autoreparatur, müssen problemlos bezahlbar bleiben. Dafür sind Reserven in Höhe von drei bis sechs Monatsgehältern empfehlenswert.
Quelle: Bausparkasse Schwäbisch-Hall, eig. Recherche
Stand: 2022
Bauherren sollten genau kalkulieren, ob sie mindestens zwei oder besser drei Prozent Tilgung im Monat stemmen können. Ein weiterer Anhaltspunkt für die Rechnung: Spätestens bei Renteneintritt sollte die Immobilie abbezahlt sein. Die Bauzinsen sind zuletzt zwar gestiegen, die Zinsaufschläge für lange Kreditlaufzeiten von 20 oder gar 30 Jahren sind aber nicht besonders hoch. Eine möglichst lange Zinsbindung ist deshalb sinnvoll und sichert gegen einen weiteren Zinsanstieg ab.
Je mehr Eigenkapital in die Finanzierung eingebracht wird, desto weniger Geld muss sich der Kreditnehmer leihen. Als Faustregel gilt: Mindestens 20 Prozent der Gesamtkosten (Bau-, Kauf- und Kaufnebenkosten) sollten Käufer aus eigenen Mitteln bestreiten können. Wer den Kreditbedarf unterschätzt, muss womöglich eine teure Nachfinanzierung in Kauf nehmen. Setzt man die Bedarfssumme dagegen zu hoch an, verlangen Banken eine Nichtabnahmeentschädigung.
Banken finanzieren sie nur ungern mit: Die Gesamtnebenkosten aus Grunderwerbsteuer, Gebühren für Notar und Grundbucheintrag sowie mögliche Maklerprovisionen können sich auf bis zu 15 Prozent des Kaufpreises summieren. Wer eine Immobilie im Wert von 300.000 Euro finanzieren will, sollte also bereits 45.000 Euro für die Nebenkosten angespart haben.
Guthaben aus Riester-Verträgen, Darlehen aus öffentlicher Hand, wie Kredite der KfW-Bank, oder auch Baugeld vom Bürgermeister können den Kreditbedarf senken. Zusätzlich kann es weitere Zuschüsse geben. Wer die besonders für Familien mit Kindern lukrative Wohn-Riester-Förderung oder das Baukindergeld nicht für die Finanzierung nutzt, verschenkt mitunter eine fünfstellige Summe. Oberländers Tipp: „Käufer sollten sich im Vorfeld gezielt nach Zulagen und Förderungen erkundigen.“
Wann kommt die Zeit der Schnäppchen?
Zu diesem Zeitpunkt, so Mähren, „würden auch Projektentwickler und Immobilienverkäufer an den Markt zurückkehren, um ihre abgeschlossenen Projekte oder Bestandsimmobilien, die im ersten Quartal noch zurückgehalten wurden, an den Markt zu bringen. Frisches Geld muss in die Kassen. Der Verkaufsdruck durch erste Transaktionen dürfte die Immobilienpreise deutlich sinken lassen, das dann erhöhte Angebot wird wohl zu nachhaltig tieferen Preisniveaus für Immobilien führen.“ Erst gegen Jahresende erwartet Mähen eine echte Normalisierung. Die Zeit der Schnäppchen sei dann vorbei. Hier lesen Sie den Gastbeitrag vom Immobilieninvestor Jakob Mähren.
Allerdings sollten Investoren die sozial-politische Dimension des Themas knapper Wohnraum nicht aus dem Blick verlieren. Schon, weil der Mietwohnungsmarkt streng reguliert wird. Ein Trend, der sich angesichts allgemein steigender Lebenshaltungskosten und knapper Haushaltskassen noch verschärfen dürfte.
Jens Rautenberg vom Analysehaus Conversio macht wenig Hoffnung darauf, dass an der Mietfront Beruhigung einkehrt. Denn obwohl die Kaufpreise bereits sinken, steigen die Mieten weiter, sogar stärker. Dieses Paradoxon aus steigenden Mieten bei sinkenden Kaufpreisen werde noch bis ins Frühjahr zu beobachten sein, schreibt Rautenberg in seinen drei Trends für das Jahr 2023.
Die anderen beiden Trends: Die Schere am Immobilienmarkt gehe weiter auseinander, zwischen zukunftsfähigen Objekten (vor allem Neubauten in guten Lagen, aber auch Bestandsbauten, die energieeffizient und seniorengerecht sind) und zukunftslosen Immobilien (insbesondere nicht energetisch sanierte Altbauten). Der in der Coronazeit ausgerufene Trend ins Ländliche, ins Umland, hat eine kurze Halbwertszeit – die Urbanisierung geht stattdessen weiter.
Die drei Trends für den Immobilienmarkt im Jahr 2023 – lesen Sie hier den Text von Jens Rautenberg vom Analysehaus Conversio.
Bietet die Wohnungspolitik vielleicht sogar Chancen? Jürgen Michael Schick vom Maklerverband IVD hat für uns einen Masterplan entworfen, mit dem die absehbare Knappheit an Wohnraum bekämpft werden sollte. Steigende Baukosten und gestiegene Zinsen hätten politisch gesetzte Neubauziele in reine Illusionen verwandelt. „Alles deutet darauf hin, dass es einen dramatischen Einbruch geben wird“, so Schick. Dies sei besonders brisant, weil andererseits die Bevölkerungsanzahl in Richtung 90 Millionen steigen dürfte.
Dabei könne die Politik die Lage durchaus entschärfen: mit weniger strengen gesetzlichen Anforderungen an den Neubau, mit kürzeren Genehmigungsverfahren und gesenkten Mindeststandards. Nötig, das verschweigt Schick nicht, sei aber auch eine stärkere Förderung. Er fordert ein „verbindliches Förderkonzept“ mit einem Volumen von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Den Masterplan für den Wohnungsmarkt von Jürgen Schick vom Maklerverband IVD finden Sie hier.