Streitfall des Tages Geheimwaffe Eigenbedarf

Gekündigt wegen Eigenbedarf – für Mieter ein Schock. Laut Schätzungen des Mieterbundes werden bundesweit wegen solcher Kündigungen etwa 40.000 Prozesse geführt. Meist geht es darum, was Eigenbedarf überhaupt ist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Schmu des Tages. Illustration: Tobias Wandres

Marion W. aus Pulheim erhielt nach 14 Jahren Mietdauer die Kündigung wegen Eigenbedarfs – der Vermieter brauchte die Wohnung für seine Tochter, die einen eigenen Hausstand mit dem neuen Lebensgefährten gründen wollte. Auch Harald S. und seine Frau Solveig wurden wegen Eigenbedarfs gekündigt. Der Vermieter wollte selbst in die Erdgeschosswohnung eines Zwei-Familien-Hauses in Saarbrücken ziehen, da seine Frau ihn verlassen habe und er das gemeinsame Haus nicht mehr allein bewohnen wollte.

Bei Monika L. aus Erftstadt machte ihre Vermieterin Eigenbedarf für ihre Nichte geltend, da sie selbst in ein nahe gelegenes Pflegeheim ziehen wollte. Im Zuge einer vorweggenommenen Erbfolge erhielt die Nichte das Niesbrauchrecht an der Wohnung, da sie sich von dort aus um den Hausstand der alten Dame im Pflegeheim kümmern wollte.

Dreimal gekündigt wegen Eigenbedarfs. Und dreimal Fälle aus der Praxis, in denen dem Vermieter Recht gegeben wurde. Angesichts der Tatsache, dass sich nach dem Mikrozensus der Bundesrepublik rund 66 Prozent des gesamten Mietwohnungsbestandes in Deutschland in privaten Händen befinden, ist Eigenbedarf für private Vermieter mit Abstand der wichtigste und formaljuristisch auch der einzig mögliche Grund für die ordentliche Kündigung eines Mietverhältnisses.

Abhängig von der Mietdauer kann der Vermieter die Kündigung binnen drei bis neun Monaten verlangen. Bundesweit werden nach Schätzungen des Deutschen Mieterbundes mehr als 50.000 Kündigungsprozesse geführt, circa 40.000 davon landen mit dem Kündigungsgrund Eigenbedarf vor Gericht. Wann Eigenbedarf vorliegt und wann nicht, ist jedoch eine Frage, um die heftig gestritten werden kann.

Wann ist Eigenbedarf rechtmäßig?
Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ist rechtens, wenn der Vermieter die Wohnung benötigt und zu Wohnzwecken nutzen will und zwar für sich oder seine Familienangehörigen. Familienangehörige sind demnach:

  • Kinder
  • Eltern
  • Geschwister
  • Großeltern
  • seit einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 (Az.: VIII ZR 159/09) auch Nichten und Neffen


Auch für Au Pairs müssen Mieter weichen

Doch nicht nur das Mietinteresse von Familienmitgliedern schlägt den Mieterschutz:

  • Kündigungen wegen Eigenbedarfs sind auch rechtens, wenn die Wohnung von einem Au Pair oder von Pflegekräften bewohnt werden soll.
  • Auch die Absicht des Vermieters, eine Wohnung zu beruflichen Zwecken zu nutzen, kann eine Eigenbedarfskündigung begründen. Und zwar dann, wenn beispielsweise die Ehefrau beabsichtigt, ihre Anwaltskanzlei in die vermietete Wohnung zu verlegen (BGH, Az.: VIII ZR 330/11).

Ernsthafte und vernünftige Gründe
Mit dem Wunsch allein, die eigene Wohnung für sich oder Angehörige zu nutzen, ist es für den Vermieter aber nicht getan. Die Wohnung muss tatsächlich benötigt werden, der Gesetzgeber spricht von „berechtigtem Interesse“ an der Beendigung des Mietverhältnisses nach Paragraph 573, Absatz 1 BGB. Außerdem ist eine Eigenbedarfskündigung nach Paragraph 573, Abs. 2, Nr. 2 BGB nur dann zulässig, wenn der Vermieter „ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe“ für den Eigenbedarf im Kündigungsschreiben benennen kann. Er muss schriftlich belegen, warum er selbst oder eine andere Person in die bislang vermietete Wohnung ziehen soll und warum das gerade zum genannten Zeitpunkt geschehen soll. Eine eindeutige Begründung ist beispielsweise der Wunsch nach einem Altersruhesitz.

Ganz aktuell hat der Bundesgerichtshof am 30.04.2014 erneut zugunsten eines Vermieters geurteilt. Dieser hatte sich auf sein Recht auf Eigenbedarf berufen und mit Schreiben vom 23.10.2012 seinem Mieter eine 158 Quadratmeter große Wohnung gekündigt. Die Begründung: Seine Tochter, die bisher eine 80 Quadratmeter große Wohnung in der benachbarten Doppelhaushälfte bewohnte, brauche die größere Wohnung für sich und ihren Lebensgefährten, um dort einen gemeinsamen Haushalt zu gründen (BGH, Urteil vom 30.4.2014, Az.: VIII ZR 107/13). Diese Erklärung ließen die Richter gelten.

Fristgerechte Kündigung durch den Vermieter

Der Vermieter muss zudem fristgerecht kündigen. Lebt der Mieter erst bis zu fünf Jahren in der Wohnung, beträgt die Kündigungsfrist drei Monate. Bei einer Mietdauer von bis zu acht Jahren verlängert sich die Frist auf sechs Monate, bei mehr als acht Jahren sogar auf neun Monate.

Bestimmte Sperrzeiten schützen Mieter zusätzlich vor willkürlichen Kündigungen. Beim Verkauf eines Mehrfamilienhauses, das in mehrere Eigentumswohnungen unterteilt ist und an unterschiedliche neue Eigentümer veräußert wird, dürfen die neuen Eigentümer grundsätzlich drei Jahre lang keinen Eigenbedarf geltend machen, erklärt Jurist Gerold Happ vom Eigentümerverband Haus und Grund Deutschland in Berlin. Je nach Lage des Gebäudes kann sich diese Frist sogar auf bis zu zehn Jahre verlängern, wenn es dort einen entsprechenden Beschluss der Landesregierung gibt.


Vermieter muss Alternativen prüfen


Der Vermieter hat zudem die Pflicht, vor der Kündigung zu prüfen, ob er nicht eine andere Wohnung für seinen Eigenbedarf nutzen kann, wenn er mehrere Wohnungen besitzt. Wird im Haus oder in Wohnanlage eine vergleichbare Wohnung frei, muss der Vermieter dies benennen.

Eigenbedarf vorgetäuscht?
Angesichts steigender Mieten gerade in Ballungszentren liegt für manche Vermieter die Versuchung nahe, den langjährigen Mieter loszuwerden, um sein Eigentum lukrativer neu zu vermieten. Das ist nach den Beobachtungen des Deutschen Mieterbundes vor allem in begehrten Stadtlagen in letzter Zeit vermehrt zu beobachten, auch wenn es keine konkreten Zahlen gibt. „Überall, wo es auf dem Wohnungsmarkt knapp ist, steigen die Kündigungszahlen wegen Eigenbedarf“, stellt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes fest.

Schadenersatz
Wird Eigenbedarf vom Vermieter vorgetäuscht, können sich erhebliche Regressansprüche ergeben. Denn der Mieter kann den Ersatz aller mit dem Umzug in Zusammenhang stehenden Kosten von im verlangen – und das sind einige. Dazu zählen etwa Umzugskosten, Maklercourtage, Anschaffung neuer Möbel und Teppichböden. Auch der Ersatz der Mehrkosten für die Anmietung einer vergleichbaren Wohnung für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren ist nach ständiger Rechtsprechung rechtens. War ein Gerichtsverfahren anhängig, sind dem Mieter auch diese Kosten zu erstatten, erklärt Uwe Beisheim von Haus und Grund Düsseldorf.

Härtefall für den Mieter

Die Eigenbedarfskündigung kann auch dann scheitern, wenn der Mieter oder eines seiner Familienmitglieder einen außergewöhnlichen Härtefall geltend machen kann. Paragraph 574 BGB greift hier. Deutsche Gerichte entschieden in folgenden Fällen zu Gunsten des Mieters:

  • aus Altersgründen
  • bei langer Mietdauer
  • bei Schwangerschaft
  • bei kleinen Kindern
  • kein Ersatzwohnraum

Häufig kommen mehrere Gründe zusammen – dann ist es für den Mieter umso leichter, die Eigenbedarfskündigung abzuwehren.


Im Einzelfall kann die Interpretation der Paragraphen aber durchaus unterschiedlich ausfallen. Wie zuletzt in dem Fall des Landgerichts Berlin (LG Berlin, Urteil vom 22.8.2013 – Az.: 67 S 121/12). Eine alleinerziehende Mutter wohnte seit 1987 mit ihrem Sohn in einer 2-Zimmer-Wohnung mit 57 Quadratmetern Wohnfläche für 262 Euro Kaltmiete. Sie erhielt nach 26 Jahren die Kündigung wegen Eigenbedarfs, da ihr Vermieter, wohnhaft mit Familie in Hannover, die Wohnung für monatliche Treffen mit seiner minderjährigen Tochter aus einer früheren Beziehung brauchte. In zweiter Instanz gab das Landgericht dem Vermieter Recht, indem es auf das gemeinsame Sorgerecht für die Tochter abstellte. Dies wiege schwerer als 26 Jahre Wohnen in derselben Wohnung.

Ob das Urteil des Landgerichts Berlin das letzte war, ist noch nicht sicher. Mit Unterstützung des Deutschen Mieterbundes hat die Mieterin im März 2014 Verfassungsbeschwere in Karlsruhe eingelegt. Sie will klären lassen, ob gelegentliche Treffen bereits unter den Begriff Wohnen fallen und damit einer Eigenbedarfskündigung standhalten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%