Streitfall des Tages Wenn sich der Schuldeneintreiber meldet

Das Geschäftsmodell ist Einschüchtern und Verunsichern: Mit Drohschreiben treiben unseriöse Inkassobüros Geld für angebliche Bestellungen ein. Wann Betroffene reagieren müssen und warum manche für Nichts zahlen müssen.

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Der Schmu des Tages. Illustration: Tobias Wandres

Der Fall


Ob sie mit ihrer Apotheke zufrieden sei, will die freundliche Anruferin wissen. Die Rentnerin ist überrascht, gibt aber Auskunft. Und schon geht es weiter: Ob sie nicht ein Nahrungsergänzungsmittel kaufen wolle. Die alte Dame verneint. Trotzdem kommen Pakete mit Präparaten an, die sie jedoch gar nicht erst annimmt und postwendend an den Absender zurückschickt.

Doch es geht weiter: Als nächstes landen Zahlungsaufforderungen in ihrem Briefkasten. Zunächst geht es um 100 Euro. Die Rentnerin teilt dem Unternehmen mit, dass sie nie etwas bestellt hat. Vergeblich: Die Firma beauftragt ein Inkassounternehmen, das ausstehende Geld einzutreiben. Mit sämtlichen Gebühren steigt die Summe von Juni bis September auf 195 Euro. Als noch ein Anwalt ins Spiel kommt, beläuft sich das Ganze auf 235 Euro.


Der Experte


„Das ist ein Fall, wie er sich sehr häufig abspielt“, urteilt Christian Gollner von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. „Oft ergeben sich Zweifel an einem wirksamen Vertragsschluss.“ Ziel der Machenschaften am Telefon sind bevorzugt alte Menschen. „Wir vermuten, dass solche unseriösen Inkassobüros regelmäßig mit Anbietern zusammenarbeiten, die Kunden Verträge unterschieben.“ Zumindest gibt es laut Gollner auffällige Häufungen zwischen einer bestimmten Masche am Telefon und bestimmten Inkassobüros. „Teilweise haben die beiden Firmen sogar dieselbe Adresse.“

Unseriöse Inkassobüros setzen auf Einschüchterung und spekulieren darauf, dass die Betroffenen entnervt aufgeben und zahlen. Da wird mit gerichtlichem Mahnbescheid gedroht, mit Pfändung des Lohns oder der Rentenansprüche oder mit einem Eintrag bei der Schufa.

Egal wie unberechtigt die Forderungen sein mögen: Betroffene müssen sich in jedem Fall wehren und von ihrem gesetzlichen Widerrufsrecht Gebrauch machen, lautet Gollners eindringlicher Rat. Und das am besten per Einschreiben mit Rückschein. Wenn sie das nicht tun, wird es für sie unangenehm:

„Auch unberechtigte Forderungen eines Inkassobüros können zu negativen Einträgen in Auskunfteien führen“, erläutert Gollner. Hinzu kommen die Gebühren. Die Höhe der Inkassokosten ist nämlich gesetzlich nicht geregelt. „Da wird einiges draufgeschlagen“, so Gollners Erfahrungen. Wer über längere Zeit hinweg nicht zahlt, muss mit einem gerichtlichen Mahnbescheid rechnen. Das Gericht prüft dabei aber nicht, ob die Forderung rechtmäßig ist. Erfolgt keine Reaktion, droht schnell die Zwangsvollstreckung.


Wer ins Visier der Inkassounternehmen geraten kann

Die Relevanz


Um das Ausmaß der Machenschaften unseriöser Inkasso-Unternehmen deutlich zu machen, haben die Verbraucherzentralen im August eine zweimonatige Umfrage gestartet. Gefördert wird die Aktion vom Bundesministerium für Verbraucherschutz. Mit Ergebnissen ist Anfang Dezember zu rechnen.

Die Rechtsgrundlage


Kauf- oder Dienstleistungsverträge, die zwischen Verbrauchern und Unternehmen per Telefon oder Internet geschlossen werden, regelt das Fernabsatzgesetz, das seit 2002 ins Bürgerliche Gesetzbuch integriert ist (§§ 312b ff. BGB sowie in der BGB-Informationspflichten-Verordnung). In ihm finden sich auch Vorschriften zum Verbraucherschutz wie das Widerrufs- und Rückgaberecht.

Jedes Inkassobüro muss gemäß §10 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registriert sein. Derzeit sind das in Deutschland an die 1900 Unternehmen. Sie alle haben eine Zulassung vom zuständigen Land- oder Amtsgericht. Daneben gibt es aber auch unseriöse Unternehmen, die Inkassoleistungen erbringen, obwohl sie keine Zulassung vorweisen können.


Die Gegenseite


Für den Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU), nach eigenen Angaben mit 560 Mitgliedern der größte Inkassoverband in Europa, stellen die Machenschaften solcher Inkassobüros die Seriosität der ganzen Branche in Frage. In Bezug auf eigene Mitglieder ist sich der Verband jedoch relativ sicher, dass keine schwarzen Schafe darunter sind. „BDIU-Mitglieder müssen Forderungen vor Geltendmachung einer grundsätzlichen Prüfung unterziehen“, so Pressesprecher Marco Weber. „Haben sie Zweifel an der Schlüssigkeit, müssen sie den Auftrag wieder zurückgeben.“ Hält sich ein Mitglied nicht an diese Pflichten, spricht der BDIU intern Sanktionen aus, die von Geldbußen bis zum Entzug der Mitgliedschaft reichen.

Grundsätzlich fordert der Verband eine öffentliche Aufsicht über Inkassounternehmen samt einem mit Auflagen verbundenen, abgestuften Sanktionskatalog. „Die Behörden brauchen Instrumente, mit denen sie wirkungsvoll gegen Abzocker und unseriöse Geschäftemacher vorgehen können“, so BDIU-Präsident Wolfgang Spitz in einer Pressemitteilung.

Derzeit kann eine Registrierung laut Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) nur entzogen werden, wenn ein Inkassounternehmen „dauerhaft unqualifizierte Rechtsdienstleistungen" erbringt. In der Praxis sei das ein stumpfes Schwert, bemängelt der Verband. So hat der Staat in drei Jahren nur drei Mal Registrierungen widerrufen.


Was Betroffene tun sollten


Das Fazit


Das Inkassowesen ist in Deutschland rechtlich nicht klar genug geregelt. Nach Einschätzung von Verbraucherschützern wie von Vertretern der Branche selbst besteht gesetzlicher Handlungsbedarf: Gefordert werden eine effektive öffentliche Aufsicht sowie klare Regelungen, was Zinsen, Gebühren und Kosten anbelangt. Außerdem sollte, so ein weiterer Vorschlag, die Verhältnismäßigkeit von Hauptforderung und Gebühren gewährleistet sein.

Betroffenen sollten auf entsprechende Schreiben sofort reagieren und keine unberechtigten Rechnungen überweisen.

Nützliche Adressen

Ob ein Inkassobüro zugelassen ist, lässt sich im Rechtsdienstleistungsregister nachprüfen:
http://www.rechtsdienstleistungsregister.de/

Musterschreiben, um sich gegen unberechtigte Forderungen eines Inkassobüros zu wehren (am Beispiel Internetverträge und Gewinnspiele):

Musterschreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bei ungerechtfertigten Rechnungen:

Bundesverband Verbraucherzentralen mit Wegweiser zu der nächsten Beratungsstelle:

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