Matthias Helberg ist ein kleiner Versicherungsmakler. Als Vermittler und Berater legt er viel Wert auf seine Unabhängigkeit. Bereits seit Jahren kämpft er verbissen gegen die Zeitschrift Finanztest, einen wahren Goliath im Versicherungswesen. Denn das Urteil der Berliner gilt etwas beim Verbraucher und auch in der Branche.
Bisher war Helbergs einsamer Kampf gegen die Tester jedoch weitgehend verpufft. Doch nun ist ihm ein Coup gelungen. Denn der Ableger der Stiftung Warentest hat einen Test veröffentlicht, mit dem die Zeitschrift mächtig an Ansehen verloren hat – jedenfalls bei Leuten, die sich auskennen. Wie Versicherungsmakler Helberg. Und das sprach sich dieses Mal viel schneller herum als früher – dank des Internets.
„Sehr gut bei Berufsunfähigkeit“, lautete die Überschrift des Textes, mit der das ganze Heft präsentiert wird. Von 75 geprüften Angeboten erhielten überraschend viele die beste Note: insgesamt 58, also rund drei Viertel. Ein paar waren bloß „gut“ und ganze sechs „befriedigend“. Eine tolle Branche mit erstklassigen Produkten, mag da der Laie denken.
Die Hauptgründe für eine Berufsunfähigkeit
Die Mehrheit, nämlich 28,67 Prozent, wird wegen psychischer Erkrankungen wie Burnout berufsunfähig.
(Angaben mit Stand April 2013)
Auf Platz zwei der Erkrankungen, die die Deutschen vorzeitig aus dem Berufsleben wirft, sind Erkrankungen des Skeletts und der Muskulatur. Mehr als 22 Prozent können wegen "Rücken" nicht mehr in ihrem Beruf oder auch gar nicht mehr arbeiten.
15,51 Prozent nehmen ihre Berufsunfähigkeitsversicherung wegen nicht näher kategorisierter Krankheiten in Anspruch.
Krebs und andere bösartige Geschwüre sind bei gut 15 Prozent der Grund für eine Berufsunfähigkeit.
Bei gut zehn Prozent sind Unfälle beziehungsweise deren Spätfolgen dafür verantwortlich, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können.
Bei fast acht Prozent aller Deutschen, die im letzten Jahr berufsunfähig wurden, spielten Erkrankungen von Herz und Gefäßen eine Rolle.
Weit gefehlt, sagt Helberg. „Unter den sehr guten Anbietern sollten sich Kunden den für sie günstigsten heraussuchen. Wie bitte sollen Verbraucher das hinbekommen, wenn die Bewertungsmaßstäbe selber unvollständig, lückenhaft, gar dilettantisch zu bezeichnen sind und mal eben in einem Rutsch drei von vier getesteten Tarifen eine Bestbewertung wie SEHR GUT bekommen?“
Mit solchen Anmerkungen war Helberg der Ausgangspunkt für eine Kritikwelle von Experten in sozialen Netzwerken, wie sie die renommierte Zeitschrift Finanztest bisher noch nicht erlebt hat.
Ein Grund für diesen ungewöhnlichen Sturm: Es geht hier nicht nur um einen Test, der besser gemacht werden könnte.
Im Fokus stand ausgerechnet zum 1. Juli zusätzlich das neue Siegel-System von Finanztest: Statt wenigen hundert Euro verlangt die Stiftung Warentest nun mehrere tausend Euro von den Versicherern, die ihren Namen für Werbezwecke nutzen wollen. Finanztest wehrte sich, fand aber nur wenige Helfer im Netz. Die Debatte, die eine ganze Branche bewegt.
Was leistet der umstrittene Test?
Eine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit wird von Verbraucherschützern fast durchweg empfohlen, weil damit ein wichtiges Risiko abgesichert wird: der Ausfall der Arbeitskraft. Gerade für die Geburtsjahrgänge ab 1961 ist dies wichtig, weil sie nicht mehr unter einen gesetzlichen Schutz fallen, der für ältere Jahrgänge gilt.
Finanztest wollte daher das Bewusstsein der Verbraucher für dieses große Risiko schärfen. Wie üblich wurden einige Versicherer besonders gelobt. So seien Spitzenreiter im Test die Premiumtarife von Aachen-Münchener, Europa, Hannoversche und VHV. Ideal für die Testkunden, einen Diplomkaufmann und eine Arzthelferin, seien die Tarife von der Hannoverschen und der Europa. Als sehr günstig für den Industriemechaniker wurden Huk 24 und Huk Coburg hervorgehoben. Eine Auswahl, die allerdings Widerspruch hervorrief. Denn Makler entdeckten Lücken.
Der Rat von Finanztest lautete dann: Unter den qualitativ guten Anbietern sollten sich die Kunden den für sie günstigsten heraussuchen. „Wir können es nicht oft genug betonen: Die Qualität eines Vertrags ist das erste Kriterium bei der Wahl von Berufsunfähigkeitsschutz, der Preis erst das zweite.“ Doch da es oft genug vorkomme, dass die optimale Absicherung für viele Menschen zu teuer sei, gab Finanztest auch noch Anregungen, wie Kunden den wichtigen Schutz vielleicht doch bezahlbar machen könnten.
Wann Kunden den Vertrag kündigen dürfen
Versicherte sollten sich gut überlegen, wie lange sie sich an eine Gesellschaft binden. Wer trotzdem vorher aus dem Vertrag raus möchte, muss sich an das Versicherungsvertragsgesetz halten. Dort gibt es klare gesetzliche Regelungen, die aber je nach Versicherungssparte unterschiedlich ausfallen.
Sind keine Vertragslaufzeiten vereinbart, können Policen grundsätzlich von beiden Vertragsparteien – Versicherer und Versicherungsnehmer – nur für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode (in der Regel das Kalenderjahr) gekündigt werden. Werden Policen nicht rechtzeitig in der Versicherungsperiode gekündigt, beträgt die folgende Vertragsperiode maximal ein Jahr. Ein Versicherungsvertrag, der für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen worden ist, kann vom Versicherungsnehmer zum Schluss des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.
„Sind laufende Prämien zu zahlen, kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen.“ (§ 168 VVG). Zu den Lebensversicherungen zählen Kapitallebensversicherungen, Rentenversicherungen und Risikolebensversicherungen, die nur im Todesfall des Versicherten zahlen.
Im Falle der Kündigung durch den Versicherungsnehmer, ist ihm vom Lebensversicherer – dies trifft in der Regel für Kapitallebensversicherungen und die meisten Rentenversicherungen zu – dann ein Rückkaufswert zu zahlen. Die Regelung dazu ist im § 169 VVG festgelegt.
Es gibt nach der Einführung der aktuellen Gesundheitsreform, dem GKV WSG nur noch zwei Kündigungsrechte der Mitgliedschaft in der GKV. Einmal wegen des Wechsels von einer GKV zu einer anderen GKV zum anderen wegen des Wechsels von der GKV zur privaten Krankenversicherung (PKV). Die Kündigung ohne den Nachweiß einer neuen Krankenversicherung ist nicht mehr möglich.
Kündigung wegen eines Wechsels zu einer anderen Gesetzlichen Krankenkasse: Es besteht die reguläre Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende, weitere Voraussetzung für eine Kündigung der GKV ist, dass die bisherige Mitgliedschaft bereits 18 Monate bei der bisherigen GKV bestanden hat. Wer also zum 01.04. seine Kasse wechseln möchte, muss spätestens im Januar zum 31.01. kündigen. Die alte GKV ist verpflichtet, diese Kündigung innerhalb von 14 Tagen zu bestätigen. Nach dem Wechsel der GKV, ist der Versicherte nach SGB V § 175 (4) 18 Monate an diese neue Kasse gebunden.
Wechseln dürfen nur Angestellte mit einem Verdienst oberhalb der Versicherungspflichtgrenze, Beamte, Freiberufler und Selbständige sowie Studenten. Für Angestellte hat sich seit 2011 die Wechselmöglichkeit in die PKV erleichtern. Zum einen können Angestellte bereits bei einmaligem Überschreiten der Pflichtgrenze (bisher drei Jahre in Folge) in die private Krankenversicherung wechseln.
Für die anderen Personengruppen existiert keine Einkommensgrenze. Damit können auch Berufsanfänger mit einem Gehalt oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze (kurz: JAEG. Für 2011: 49.500 Euro, für 2012 wird nun ein Anstieg auf 50.850 Euro erwartet) sofort in die PKV wechseln. Zudem können Selbständige, die in ein Angestelltenverhätlnis wechseln, mit einem Gehalt oberhalb der JAEG ihren PKV-Vertrag aufrecht erhalten.
Der Versicherungsnehmer kann den Vertrag, den er für die Dauer von mehr als einem Jahr eingegangen ist, zum Ende des ersten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten kündigen. Die Kündigung kann auf einzelne Tarife beschränkt werden.
Wird eine versicherte Person kraft Gesetzes kranken- oder pflegeversicherungspflichtig in der Gesetzlichen Krankenversicherung, kann der Versicherungsnehmer binnen drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht eine Krankheitskosten-, eine Krankentagegeld- oder eine Pflegekrankenversicherung sowie eine für diese Versicherungen bestehende Anwartschaftsversicherung rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen (näheres im § 205 VVG).
Der Versicherungsnehmer kann bei fast allen Sachversicherungen grundsätzlich nach jedem Versicherungsschaden sofort kündigen. Hier empfiehlt es sich aber, die Kündigung zwar sofort aber erst mit Wirkung zum Jahresende auszusprechen, um zuviel gezahlte Beiträge zurückerstattet zu bekommen.
Ebenfalls außerordentlich gekündigt werden kann beim Verkauf des versicherten Objektes. So muss kein Versicherungsnehmer beim Verkauf seines Autos erst bis zum Jahresende warten, ehe er seine Kfz-Versicherung kündigen kann. Hier gilt ein außerordentliches Kündigungsrecht zum Datum des Verkaufes.
Zudem besteht ein Sonderkündigungsrecht bei jeder Form von Erhöhungen der Versicherungsprämie (sofern die Erhöhung nicht über eine Progression vereinbart wurde).
„Bei Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit, die vom Versicherungsnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalles gegenüber dem Versicherer zu erfüllen ist, kann der Versicherer den Vertrag innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, ohne Einhaltung einer Frist kündigen, es sei denn, die Verletzung beruht nicht auf Vorsatz oder auf grober Fahrlässigkeit.“ (§ 28 VVG).
Sonst können auch die Versicherer unter Einhaltung der Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen die Verträge grundsätzlich kündigen. Eine Ausnahme stellt die Krankenvollversicherung dar. Kündigungen vom Versicherer sind im Wesentlichen nur für Versicherungen möglich, die über dem Umfang des gesetzlich definierten Pflichtversicherungsschutz (Krankenvollversicherung, Pflegeversicherung) hinausgehen. „Eine Krankentagegeldversicherung, für die kein gesetzlicher Anspruch auf einen Beitragszuschuss des Arbeitgebers besteht, kann der Versicherer ... in den ersten drei Jahren unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ende eines jeden Versicherungsjahres kündigen.“ (§ 206 VVG)
Eine private Krankenversicherung (PKV darf aber trotz der allgemeinen Versicherungspflicht in Sonderfällen einem Versicherten kündigen. Dies gilt bei arglistiger Täuschung, Betrug sowie anderen strafrechtlich relevanten Handlungen, so der Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH gab damit der Klage der Continentale und der Hallesche Krankenversicherung Recht (Az.: IV ZR 50/11 und IV ZR 105/11).
Dies ist der zweite Teil der Titelstory, der ebenfalls viel Kritik auf sich zog. Finanztest beschreibt hier „kleine Kniffe“, um guten Schutz bezahlbar zu machen. Allerdings sollten Verbraucher achtsam vorgehen, damit sie keine zu großen Leistungslücken riskieren. Die große Frage ist: Können Verbraucher dies und schauen sie am Ende nicht doch auf den Preis?
Die Tester jedenfalls identifizierten sieben Stellschrauben, um den Beitrag zu reduzieren. Dazu gehören der frühe Einstieg, die jährliche Zahlung und die Vermeidung von Berufswechseln genauso wie Alternativen zur Berufsunfähigkeitsversicherung, etwa eine günstigere Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Verbraucher könnten auch auf Rente verzichten, Einschränkungen im Schutz in Kauf nehmen oder die Laufzeit senken.
Fazit von Finanztest: „Unsere Beispiele zeigen: Es muss nicht immer der Standardschutz von der Stange sein.“ Ein Gespräch mit dem Versicherer könne Wege zeigen, auch sehr guten Schutz bezahlbar zu machen.
Was kritisiert Makler Helberg?
Wie üblich veröffentlicht Finanztest die wichtigsten Berichte seines neuen Heftes schon rund zwei Wochen vor Beginn des jeweiligen Erscheinungsmonats. Mitte Juni konnte der Versicherungsmakler Matthias Helberg daher bereits auf die Texte im Juli-Heft reagieren. Sein Fazit fiel vernichtend aus: Die Maßstäbe von Finanztest seien „unvollständig, lückenhaft, gar dilettantisch“, und der Test selbst sei „unverantwortlich gestrickt“.
Ganze 9,5 Klauseln habe Finanztest in diesem Test bewertet. Das sei sogar noch weniger, als der Bund der Versicherten (BdV) als Mindest-Anforderung für diese Versicherung formuliere. Er listete gut ein Dutzend Punkte auf, für die sich Finanztest nicht interessiert habe. Und er nahm in seinem Beitrag auch die Testsieger von Finanztest kritisch unter die Lupe und äußerte Zweifel, ob das Urteil „sehr gut“ in allen Fällen gerechtfertigt ist.
Aus manchen Zeilen spreche „die Leichtigkeit des Seins derjenigen, die für ihren Rat anders als Versicherungsmakler und Versicherungsberater nicht haften“, so Helberg. Das gelte beispielsweise für die Quasi-Empfehlung bei den Testkunden, dem Industriemechaniker und der Arzthelferin, eine Berufsunfähigkeitsversicherung nur bis zum Alter von 60 Jahren abzuschließen. Der Grund dafür: Die Police könnte so günstiger werden.
Helberg hält das für zweifelhaft: „Versicherungsschutz so lange auszuhöhlen, dass nur ja eine noch bezahlbare Prämie dabei herauskommt, kenne ich sonst nur von wenig vertrauenserweckenden Vermittlern in meiner Branche.“ Finanztest müsse berücksichtigen: Die Regelaltersrente gebe es heute bereits für jüngere Leute erst ab 67, die Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 65 Jahre. Die Tendenz steige, vor 63 gehe es nicht einmal mit Abschlägen.
Das Problem: Wer den Versicherungsschutz braucht, hat im Alter womöglich zu wenig Geld. Die Musterkunden von Finanztest jedenfalls erlitten bei einer Berufsunfähigkeit ab 60 einen möglichen Verlust von 18.000 Euro (Industriemechaniker) beziehungsweise 12.000 Euro (Arzthelferin) pro Jahr. In der Summe macht das für sieben Jahre „einen potentiellen Verlust von 126.000 Euro beziehungsweise 84.000 Euro aus“, kalkuliert Helberg. Und er fragt die Tester: „Warum rechnet Ihr das eigentlich Euren Lesern nicht vor?“
Überdies legt er den Finger auf eine wunde Stelle, das neue Logo-Lizenzsystem von Finanztest. Die Versicherer würden sicher mit Begeisterung ausgezeichnete Noten kaufen – umso besser also, wenn es dafür gleich mehr als 50 Kandidaten gibt. Nach seinen Recherchen kostet eine Lizenz für ein Jahr nun 7.000 bis 15.000 Euro. Bisher verlangte Finanztest dagegen nur wenige hundert Euro von den Versicherern. Helberg: „Das spült mehr Geld in die Kasse, als wenn man genauer hinsieht und feststellen müsste, dass es eigentlich nicht mehr als ein bis zwei Handvoll Tarife sind, die dieses Qualitätsurteil wirklich verdienen.“
Warum klatschen seine Kollegen Beifall?
Viele Kollegen, vor allem Vermittler mit einem Anspruch auf Unabhängigkeit, klatschten laut Beifall. „Ein Traum“, reagierte einer. „Endlich setzt ein Kollege einen feinen Kontrapunkt zu den unsäglichen “Urteilen”, die die selbsternannten “Richter” von Finanztest über Finanzdienstleistungen und ihre Protagonisten fällen.“
Ein anderer schrieb Helberg: „Mit den Kommentaren zum Finanztest-”Vergleich” sprechen Sie mir aus der Seele.“ Der Test lasse augenscheinlich wirklich jegliche Professionalität vermissen, und es werde endlich Zeit, gegen Pseudospezialisten vorzugehen. Die gute Idee, den Verbrauchern eine Entscheidungshilfe zu geben, werde durch die Oberflächlichkeit ad absurdum geführt.
Auf Facebook gründeten die Makler sogar eine Gruppe, um nur über diesen Test zu diskutieren: „Friends of Finanztest Baldrian Rabatt“, heißt dieses Forum. Der Name entstammt einem Wortspiel, das Helberg und einige Kollegen zunächst auf Twitter verbreiteten: „Man gebe mir Baldrian: @Finanztest hat wieder Berufsunfähigkeitsversicherungen getestet“, zwitscherte Helberg. Darauf reagierte Finanztest mit dem Satz: „Bitte Gruppe gründen Friends of Finanztest Baldrian Rabatt .RT @ms_DEVK_bo @VersRechtAngela @MatthiasHelberg.“
Die nahezu einhellige Entrüstung der Versicherungsmakler motivierte auch andere Akteure in der Versicherungsbranche, den Test genauer unter die Lupe zu nehmen. Unter allen diesen Reaktionen sticht die Abhandlung des anerkannten Hannoveraner Analysehauses Franke & Bornberg hervor. Deren Ergebnis: Sowohl die fachliche Sorgfalt als auch die notwendige Tiefe fehle in der Untersuchung.
Es sei zwar richtig, dass in dieser Sparte bereits ein Markt mit einem großen Angebot an Top-Leistungen und niedrigen Beiträgen existiere. Doch dieser sei nur noch für wenige Verbraucher offen. Das seien zudem Leute, die diesen Schutz am wenigsten benötigten. „Die Stiftung Warentest sollte sich daher nicht nur um die „Elite der noch Versicherbaren“ wenden, sondern stärker um die große Mehrheit der Nichtversicherten kümmern, statt weitere Anreize in die gegenteilige Richtung zu setzen“, stellt das Analysehaus fest.
Die Öffentlichkeitswirkung dieses Tests sei überdies deutlich größer als das Testdesign rechtfertige. Für einige der fachlichen Mängel beziehungsweise problematische Ratschläge der Tester stünden Versicherungsmakler wahrscheinlich in der Haftung. Genau das befürchtet Helberg auch, etwa mit Blick auf Vorschläge, die Prämie durch Verzicht auf Schutz kurz vor der Rente zu senken.
Die Makler fordern nun Konsequenten vom Gesetzgeber: „Was über allgemeine Informationen und Meinungsäußerungen hinaus geht, also individuelle Beratungen, oder die Anfertigung von Tests, Ratings und Rankings muss zur Haftung desjenigen führen, der sie erstellt“, fordert Helberg. Kollegen unterstützen dies: „Es wird Zeit, dass Politik und Gesetzgeber verstehen, dass Tests und Ratings in Finanz- und Versicherungsangelegenheiten und die Institutionen, die diese erstellen, den gleichen Voraussetzungen und Haftungsregeln unterworfen werden müssen, wie sie für Berater und Vermittler gelten.“
Wie verteidigt sich Finanztest?
Finanztest wehrte sich in vielfältiger Form. So diskutierten Experten der Zeitschrift mit dem Makler Helberg direkt. Etwa eine Woche nach Bekanntgabe des Tests reagierte Finanztest auf die Kritik der Makler. Später schaltete sich auch Finanztest-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen ein, der zum Beispiel auch Beiträge in der neuen Facebook-Gruppe veröffentlichte.
Hat Finanztest mit dem jüngsten BU-Test danebengegriffen? „Nein, Finanztest hat mit dem jüngsten BU-Test viele Verbesserungen bei den Bedingungen in den Angeboten gefunden“, reagierte Tenhagen auf Fragen von Handelsblatt Online. Alle Fachleute seien sich einig, dass Angebote für Berufsunfähigkeitsversicherungen heute weit kundenfreundlicher seien als früher.
Die Aufregung im Netz sieht er nicht als „Shitstorm“, sondern nennt sie einen „Maklerstorm“. Die Makler störe es, wenn viele Produkte gute Noten erhielten. Sie vermuteten, dass dann weniger Kunden ihre Beratung in Anspruch nähmen. Wichtig für die Einschätzung dieses Tests sei: „Wir bewerten keine Unternehmen, sondern nur einzelne, ausgewählte Tarife. Es geht bei unseren Urteilen immer um dieses eine konkrete Produkt.“
Ob die Zeitschrift im nächsten Test ihr Design verändern werde, wollte Tenhagen jedoch noch nicht verraten. „Wir schauen uns Reaktionen auf unsere Tests immer an und sind im Dialog“, erklärte Tenhagen. „Wir beantworten auch regelmäßig Verbraucherfragen nach einem großen Test in einer der Folgeausgaben von Finanztest. Vor jedem neuen großen Test diskutieren wir mit Verbraucherschützern und der Branche – natürlich auch beim Test der Berufunfähigkeitsversicherungen.“
Zum Streit über einzelne Tipps in den Beiträgen stellte Tenhagen klar: „Unsere Tests geben Ratschläge für viele Kunden, sie sind eben keine Einzelberatung. Unsere Frage lautet: Ist das generell ein guter Vertrag?“ Etwas völlig anderes sei es jedoch, ob im Einzelfall ein ganz bestimmtes Problem berücksichtigt werde. Wer Detailfragen habe, sollte als Verbraucher am besten einen Spezialisten heranziehen, rät Tenhagen.
Im übrigen hat er beim Thema Siegelvergabe schon einiges erlebt: „Wenn ein Test gut ausfällt für einen Anbieter, dann wird damit Werbung gemacht. Wenn ein Test schlecht ausfällt, dann bekommt man böse Briefe.“ Mitunter von Anwälten.
Wie urteilt eine neutrale Versicherungsberaterin
Finanztest hat nur wenige Unterstützer unter Vermittlern und Beratern. Eine der wenigen, die Finanztest zumindest teilweise verteidigte, ist Angela Baumeister. Sie genießt als Versicherungsberaterin einen vergleichsweise neutralen Status. Denn sie hilft ihren Kunden gegen ein Honorar und vermittelt keine Versicherungsverträge – im Gegensatz zu Maklern. Letztere legen zwar auch Wert auf ihre Unabhängigkeit, verdienen aber über Provisionen an der Vermittlung von Policen.
„Man kann so einen Test nicht vernünftig gestalten, wenn eben nur X von Y Kriterien in den Test einbezogen werden und es in der Berufsunfähigkeitsversicherung eigentlich keine Musterkunden mit Musterberuf und Musteralter gibt“, reagierte Baumeister auf die Kritik von Helberg. Ähnlich argumentierte Finanztest ja auch. Die Zeitschrift will für die Allgemeinheit testen.
Um so einen Test vernünftig und brauchbar zu gestalten, müsse man so viele verschiedene Tests machen, dass dies dann auf ein Fachbuch hinauslaufen würde. Denn: Es gebe viel zu viele individuelle Besonderheiten. Der eine sei noch Schüler oder Student, der andere Berufsanfänger, der nächste stehe mitten im Beruf, wieder einer sei Beamter oder wollen noch einen zweiten Bildungsweg einschlagen. Zudem gebe es eine Vielzahl von Berufen.
Aus ihrer Sicht sind die Unterschiede bei den besten Anbietern zudem nicht sehr groß. Bei den guten und sehr guten Tarifen gehe es nur um Nuancen. Wenn man auf der Basis des Grundschutzes teste, sei der Test so falsch nicht. Das Problem des Kunden dabei: „Die Kunst ist nicht den besten/billigsten Tarif zu finden, sondern den passendsten!“
Baumeister glaubt, ein wirklich gutes Ergebnis der ganzen Diskussion könne eigentlich nur sein, dass Finanztest seine Tests in dieser Sparte komplett einstellt. Sie weiß jedoch, dass dies völlig unrealistisch ist. Finanztest wäre auch schön blöd, dies zu tun, glaubt sie. „Verbraucher wollen diese Tests. Und irgendwie müssen sie eben auch einen ersten Anhaltspunkt bekommen können.“
Ihr Fazit: Der Test wäre wohl nicht so skandalös, wenn Finanztest deutlich auf folgende Punkte hinweisen würde:
Er ersetzt keine Beratung.
Er liefert einen ersten Anhaltspunkt liefert, welche Tarife man sich näher angucken kann.
Er gibt Hinweise, welche Tarife zumindest einen "gängigen" Grundschutz bieten.
Was ändert sich künftig?
„Unter dem Strich gehen Helberg und seine Kollegen aus der Debatte als Sieger hervor. Es ist den Versicherungsmaklern gelungen, Finanztest öffentlich vorzuführen“, urteilte der Versicherungsmakler Sven Hennig gegenüber Handelsblatt Online. Die Botschaft „Verlass Dich nicht uneingeschränkt auf Finanztest“ sei bei vielen Verbrauchern angekommen. Die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter oder auch Newsletter böten hier völlig neue Möglichkeiten.
Gleichwohl sind sowohl Hennig als auch Helberg pessimistisch. „Finanztest sitzt auf einem relativ hohen Ross“, sagt Hennig. Den Grund dafür sieht er auch in kommerziellen Interessen. „Einige Versicherer werben schon mit dem Siegel von Finanztest.“ Dieses Prinzip funktioniere seit Jahren und sei auch bei anderen Tests zum Thema nachzuvollziehen. Hennig: „Branchenkenner haben ausgerechnet, dass in solch einem Test ein Vermarktungspotenzial von 1,5 Millionen Euro steckt."
Für Helberg zeigen die Reaktionen aus der Finanztest-Redaktion: „Man gibt sich teflonbeschichtet - selbst fachlich fundiert begründete Kritik soll nicht anhaften. Jeder Versicherungsmakler, der so beraten würde, wie Finanztest es schreibt, müsste um seine Zulassung bangen“, sagt Helberg. Das eigentliche Desaster sieht er jedoch in folgendem Punkt: „Stiftung Warentest und Finanztest vergleichen Versicherungen wie Kaffeemaschinen oder Fotoapparate: Der Missgriff bei einer Kaffeemaschine bringt Verbraucher vielleicht um ein paar hundert oder höchstens ein paar tausend Euro. Der Missgriff bei einer Versicherung kann Kunden hunderttausende Euro kosten und ein Leben in Hartz IV bescheren.“
Immerhin kann er für sich persönlich ein positives Fazit ziehen. Die Anfragen in seinem Büro sind hochgeschossen. „Offenbar erkennen nun immer mehr Verbraucher, wie komplex das Thema wirklich ist. Gut so!“ Er sei sich sicher: Viele Kollegen würden ebenfalls profitieren, wenn sie auf fachlich versierte Beratung setzen.