Die Deutschen werden immer älter und benötigen immer öfter Pflege. Sei es durch Familienangehörige, ambulante Dienste oder Heimbetreuung. Wer nicht privat für den Pflegefall vorgesorgt hat, dessen Kosten werden meist von den Angehörigen, in vielen Fällen aber auch vom Staat, getragen. Und die Betreuung in einem Pflegeheim ist nicht billig. Ein durchschnittlicher Heimplatz schlägt laut dem Industrie-Pensions-Verein e.V. mit rund 3.300 Euro im Monat zu Buche.
Um einen Anreiz zu schaffen, sich privat gegen das eigene Pflegerisiko abzusichern, hat die Bundesregierung am 6. Juni beschlossen, private Pflege-Zusatzversicherungen monatlich mit fünf Euro zu bezuschussen. Denn, so sagt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP): "Der Staat muss weniger einspringen, wenn die Menschen selber vorsorgen." Das Kabinett hat dem in der Koalition bis zuletzt umstrittenen Vorhaben am Mittwoch zugestimmt. Der Gesetzentwurf soll im Eilverfahren bis zur Anfang Juli beginnenden Sommerpause über die parlamentarischen Hürden gebracht werden, ab 2013 soll es dann den Zuschuss geben. 100 Millionen Euro sind im Bundeshaushalt dafür eingeplant. Laut Bahr handelt es sich hierbei aber nicht um eine Obergrenze. Wenn in 2013 oder den Folgejahren mehr Verträge abgeschlossen werden, muss der Betrag entsprechend erhöht werden.
Fünf Fakten zur staatlichen Förderung
Bahr will die Regelung zur Privatvorsorge noch in das Gesamtpaket zur Pflegereform einarbeiten, das sich in den parlamentarischen Beratungen befindet. Die Verabschiedung im Bundestag ist laut dem FDP-Politiker noch für die letzte Juniwoche geplant. Die Reform tritt dann 2013 in Kraft.
Der Bund stellt 2013 für die Zulagenförderung 100 Millionen Euro zur Verfügung, was für rund 1,7 Millionen Verträge reicht. Steuerliche Vorteile soll es nicht geben, da Geringverdiener sonst nicht in den Genuss der Förderung kämen. Allerdings kämen steuerliche Abzugsmöglichkeiten für den Staat billiger, weswegen Finanzminister Wolfgang Schäuble diesen Weg favorisiert hatte.
Wer die 60 Euro im Jahr von Staat dazuhaben möchte, muss im Monat mindestens zehn Euro in eine private Pflegeversicherung einbezahlen. Außerdem muss der Versicherer im Pflegefall - bei Pflegestufe III - mindestens 600 Euro im Monat zahlen. Sonst gibt's kein Geld vom Staat dazu.
Bei privaten Pflegeversicherungen dürfen Versicherungsunternehmen niemanden wegen seines Alters oder Vorerkrankungen ablehnen. Auch Risikoprämien dürfen nicht erhoben werden. Die Verwaltungs- und Abschlusskosten dürfen eine bestimmte Höhe nicht überschreiten.
In Deutschland gibt es bereits rund 1,88 Millionen Menschen, die eine private Pflegeversicherung haben. Da die meisten der bestehenden Verträge laut Gesundheitsminister Bahr die Vorgaben für die Bezuschussung nicht erfüllen, ist die Mehrheit wohl ausgeschlossen.
Die Summe von 100 Millionen soll für knapp 1,7 Millionen Verträge reichen. Das ist besonders obskur, da es bereits 1,88 Millionen bestehende Verträge in Deutschland gibt. Um den Etat für die Bezuschussung nicht von vornerein wegen der Bestandskunden zu verprassen, sind ältere Verträge ausgenommen. An die Förderung seien so enge Voraussetzungen geknüpft, die würden die meisten der existierenden Verträge ohnehin nicht erfüllen, sagt Bahr. Die Versicherer müssen laut Bahr prüfen, ob Altverträge gegebenenfalls angepasst werden können.
Kritik von allen Seiten
Bahr selbst nannte die private Pflegevorsorge "sozial ausgewogen", weil jeder diese Förderung in Anspruch nehmen könne. Gerade Menschen mit geringem Einkommen könnten schon mit kleineren Beträgen eine Menge für die Absicherung ihres persönlichen Pflegefallrisikos erreichen. Deutlich weniger begeistert ob der Neuerung zeigte sich die Opposition. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hatte kritisiert, der Zuschuss nutze vor allem der Versicherungswirtschaft. Beiträge für eine private Zusatzpflegeversicherung könnten sich nur Bessergestellte leisten.
Und auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagt, dass „die geplante Förderung der privaten Pflegevorsorge kein Beitrag ist, um die nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung zu sichern.“ Die langfristigen Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung würden durch Leistungsausweitungen sogar noch verschärft. „Anders als bei der Einführung der Riester-Rente, die gezielt zum Ausgleich des sinkenden Leistungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt wurde, werden keine Leistungsbestandteile aus der Umlagefinanzierung herausgenommen“, kritisiert Hundt. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach geht sogar noch weiter und nennt die Förderung angesichts des Pflegenotstands "eine politische Bankrotterklärung".
Wofür die gesetzliche Pflegeversicherung aufkommt
Die gesetzliche Pflegepflichtversicherung gehört seit 1995 fest zur sozialen Absicherung. Im Juli 2007 wurde die Versicherung reformiert - dennoch übernimmt die Versicherung nur den sogenannten Grundschutz. Das heißt: Die Versicherung trägt - zumindest anteilig - die Kosten für ambulante und stationäre Pflege.
Die Pflegepflichtversicherung versorgt den Pflegebedürftigen dementsprechend mit Dienst- und Geldleistungen. Wie viel es für den ambulanten Pflegedienst, Essen auf Rädern oder sonstige Hilfsangebote dazu gibt, ist abhängig von der Pflegestufe des Betroffenen. Diese legt ein medizinischer Gutachter fest.
Die Pflichtversicherung zahlt bei Pflegestufe III maximal bis zu 1.510 EUR für einen Pflegeplatz in einem Heim - allerdings nur für die Pflegekosten. Für Unterbringung und Verpflegung muss der Heimbewohner selbst aufkommen. Bei außergewöhnlichen Härten übernimmt die Versicherung Leistungen von bis zu 1.918 Euro.
Aber auch die Versicherungsbranche, die von neuen Verträgen durchaus profitieren würde, ist nicht begeistert: So sagte Thomas Ballast, der Vorstandsvorsitzender des Verbands der Ersatzkassen e. V. (vdek), dass die Förderung das grundsätzliche Finanzierungsproblem des Pflegebedarfs nicht lösen könne. "Die fünf Euro staatlichen Zuschuss sollte der Staat besser in die gesetzliche Pflegeversicherung stecken und damit eine Demografiereserve aufbauen, anstatt damit die privaten Versicherungsunternehmen zu subventionieren", sagte er. Einer Aufstockung der Pflegeversicherung hält Gesundheitsminister Bahr dagegen nicht für nötig: „Für die nächsten Jahre sind wir ausreichend finanziert“, sagte er. Eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen bei einer gleichzeitig sinkenden Zahl von nachkommenden Jungen bedeute aber, dass künftig mehr getan werden müsse für ein menschenwürdiges Altern und für die Pflege.
Förderung verteuert Vorsorge
Neben der Opposition, den gesetzlichen Krankenkassen sowie den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sind auch die Privaten Versicherer wenig überzeugt. Volker Leienbach, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV), sagt, es sei zwar grundsätzlich sehr zu begrüßen, dass "die Regierungskoalition die Bürger beim Aufbau einer privaten Pflegevorsorge unterstützt." Gerade, da sich die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahrzehnten mehr als verdoppeln werde, müsse man einen Weg finden, dies zu finanzieren. "Ob der Förderrahmen die Bereitschaft der Bürger zu privater Vorsorge deutlich steigern kann, ist zu hoffen, bleibt aber abzuwarten", sagt Leienbach. Er weist außerdem daraufhin, dass die Förderung private Vorsorge teurer machen werde: "Einige an die Förderwürdigkeit geknüpfte Bedingungen werden die neuen Tarife zwangsläufig teurer machen als es der bereits heute erhältliche, nicht-geförderte Versicherungsschutz ist", warnt er.
Wie sich die Pflegestufen unterscheiden
Die Pflegestufe I greift bei erheblichem Pflegebedarf, das heißt, wenn eine Person täglich mindestens 90 Minuten lang Hilfe braucht und davon mindestens 46 Minuten für mindestens zwei Verrichtungen der Grundpflege aufgewendet werden. Zur Grundpflege gehören Waschen, Hilfe beim Toilettengang oder beim Anziehen.
Die Pflegestufe II wird bei schwerer Pflegebedürftigkeit fällig. Personen, die unter Pflegestufe II eingeordnet werden, brauchen täglich mindestens drei Stunden lang Hilfe von einem Pflegedienst oder den Angehörigen. Mindestens eine Stunde davon wird auf Waschen, Anziehen oder den Toilettengang verwendet. Außerdem muss diese sogenannte Grundpflege dreimal am Tag geleistet werden. Zusätzlich muss mehrmals pro Woche Hilfe beim Einkaufen oder Saubermachen der Wohnung nötig sein.
Pflegestufe III oder "Schwerstpflegebedürftigkeit" bedeutet, dass täglich durchschnittlich mindestens fünf Stunden lang Hilfe geleistet werden müssen und davon mindestens vier Stunden auf die Grundpflege entfallen. Außerdem muss die Person rund um die Uhr Versorgung benötigen, um als schwerstpflegebedürftig zu gelten.
Die Branche werde nun zwar prüfen, welche Produkte im Rahmen der Förderkriterien möglich sind, und ob die 60 Euro im Jahr vom Staat "einen echten Anreiz zur Absicherung des Pflegerisikos" schaffen können, müsse sich aber erst erweisen.
Denn Pflege ist teuer - da helfen 60 Euro im Jahr nicht weiter. Nach Berechnungen der PKV bekommen Menschen, die eine Pflege-Tagegeld-Versicherung von 50 Euro abgeschlossen haben, bei Pflegestufe I pro Monat 600 Euro (40 Prozent) ausbezahlt, bei Pflegestufe II 1.050 Euro (70 Prozent) und bei Pflegestufe III 1500 Euro (100 Prozent). Männer, die im Alter von 40 Jahren eine solche Police abschließen, müssen monatlich 22,50 Euro zahlen, Frauen 34,70 Euro. Laut PKV zahlen 50-jährige Männer rund 37 Euro, Frauen in dem Alter 57 Euro. Preiswerter werde es, wenn das Tagegeld nur bei Pflegestufe III ausgezahlt werden soll. Dennoch deckt das nicht einmal die Durchschnittskosten einer Heimunterbringung. Hier muss also die Familie oder der Staat einspringen - Förderung hin oder her.