Verbraucherschützer Lebensversicherer sollen zwölf Milliarden zahlen

Einige Klauseln in den Verträgen von Lebensversicherungen sind fehlerhaft. Deshalb müssen die Versicherer ihren Ex-Kunden nun mehr Geld zurückzahlen. Der Haken: Kunden müssen den Nachschlag schriftlich einfordern.

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Wenn es nach den Verbraucherschützern geht, sollten die Versicherer nun so wie die Autohersteller handeln. „Kaputte Autos werden vom Hersteller zurückgerufen und kostenlos repariert“, meint die Verbraucherzentrale Hamburg. „Für fehlerhafte Abrechnungen von Policen muss das Gleiche gelten.“

Der Versicherer Allianz hat gerade einen entsprechenden Prozess verloren. Daher forderten die Hamburger den Konzern auf, „ihren Kunden das ihnen zustehende Geld unverzüglich zu erstatten.“ Wenn das alle Lebensversicherer täten, könnten viele Milliarden Euro an die Kunden zurückfließen, glauben die Verbraucherschützer.

Freiwillige Rückzahlungen und dann auch noch in großem Stil wird es jedoch wohl nicht so oft geben. Zwar haben Allianz-Kunden, die ihre Kapitallebens- oder Rentenversicherung gekündigt haben, nun theoretisch einen Anspruch auf einen Nachschlag. Doch diesen müssen sie schriftlich einfordern, wie die Stiftung Warentest feststellt.

Immerhin: Ein Sprecher der Allianz kündigte nach Berichten von Nachrichtenagenturen an, betroffene Kunden zu entschädigen. Wer noch entsprechend versichert sei, bekomme automatisch eine Erhöhung der beitragsfreien Leistungen.

Urteile gegen Lebensversicherer: Worum geht es?

Wer hingegen eine entsprechende Versicherung gekündigt habe, müsse sich melden, um sein Geld zurückzubekommen, da beispielsweise viele Adressen früherer Kunden nicht mehr aktuell seien, so der Allianz-Sprecher. Die beanstandeten Vertragsklauseln seien inzwischen korrigiert worden.
Eine wichtige Grundlage für all dies ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. August 2011, das jetzt rechtskräftig geworden ist (Aktenzeichen 2 U 138/10). Das Gericht hat Allianz-Klauseln in Verträgen aus den Jahren zwischen 2001 und 2007 für unzulässig erklärt.

Die Folge: Ex-Kunden der Allianz können mehr Geld für ihre gekündigte Lebensversicherung erhalten, weil ihnen ein höherer Rückkaufswert und die abgezogenen Stornokosten zustehen.

Die zehn größten Lebensversicherer im Bilanzcheck

Nicht jeder Allianz-Kunde mit einer Lebensversicherung ist jedoch betroffen. Es geht bei dem Urteil um Kapitallebens- oder Rentenversicherungen, die zwischen 2001 und Dezember 2007 abgeschlossen und vorzeitig gekündigt oder beitragsfrei gestellt wurden. Mehr als 90 Prozent der betroffenen Verträge sind nach Angaben der Allianz beitragsfrei gestellt.

„Wir gehen davon aus, dass wir für die Erhöhung der Leistungen unserer Kunden weniger als die bereits zurückgestellten 117 Millionen Euro benötigen“, sagt Allianz-Sprecher Udo Rössler gegenüber test.de.
Insgesamt könnte auf die Lebensversicherer jedoch eine Belastung vielen Milliarden Euro zukommen. Denn auch gegen die Klauseln in den Verträgen anderer Lebensversicherer ist die Verbraucherzentrale Hamburg vorgegangen.
Der Bundesgerichtshof habe am 19. Dezember 2012 auf die Klage gegen den Versicherer Signal Iduna. Bereits am 25. Juli gab es ein Urteil gegen den Versicherer Deutscher Ring, am 17. Oktober gegen Generali und am 14. November gegen Ergo.

Die Versicherer rechnen eher mit Milliarden

Immer ging es darum, dass die vom Unternehmen verwendeten Klauseln zum Rückkaufswert und zum Stornoabzug im Falle der Kündigung von Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen unwirksam sind (Az. IV ZR 200/10 Signal Iduna; IV ZR 198/10 Ergo; IV 202/10 Generali; IV 201/10 Deutscher Ring).

Damit hätten die Verbraucherschützer nun die vierte Entscheidung des höchsten Gerichts zu entsprechenden Klauseln erstritten. „Millionen Versicherte haben Anspruch auf Nachzahlung, denn die Urteile haben Signalwirkung für die gesamte Versicherungsbranche“, glaubt die Verbraucherzentrale. „Wir schätzen die Summe, die von der Versicherungswirtschaft an ihre ehemaligen Kunden erstattet werden muss, auf rund zwölf Milliarden Euro.“

Wichtige Kennziffern für Lebensversicherer

Die Versicherer schätzen die im Raum stehenden Summen dagegen niedriger ein.

Beispiel Allianz: Bei ihrer Klage schätzte die Verbraucherzentrale Hamburg den Nachschlag zunächst auf insgesamt zwei Milliarden Euro. Dies sei aber völlig unrealistisch, erklärte damals ein Sprecher des Versicherers.

Die Schätzung der Verbraucherschützer basierte darauf, dass knapp vier Millionen Policen betroffen seien, denen im Schnitt jeweils 500 Euro zustünden. Die Allianz bildete aber nur Rückstellungen für die Nachzahlungen von 117 Millionen Euro.

Der größte Lebensversicherer, die Allianz Leben, hatte bereits im August 2011 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verloren. Doch danach begann ein juristisches Gefecht, wodurch die endgültige Entscheidung hinausgezögert wurde.

Die Richter lehnten damals zwar einen Antrag der Allianz zur Revision ab. Dagegen legte der Konzern jedoch Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Erst als auch dort eine Niederlage absehbar war, zog die Allianz Anfang Dezember 2012 die Beschwerde zurück, wie die Stiftung Warentest berichtet. Damit sei der Versicherer einem BGH-Urteil zuvor gekommen, das Anfang dieses Jahres gesprochen werden sollte.

Wen betrifft das Allianz-Urteil? Verbraucher mit Verträgen, die ab 1995 abgeschlossen und seither wieder gekündigt oder beitragsfrei gestellt wurden. Denn laut Bundesgerichtshof durften diese Verträge nicht mit einem Stornoabzug belastet werden, erläutert die Verbraucherzentrale Hamburg.

Ein Beispiel für einen Nachschlag

Die 10 größten Versicherer Europas
AllianzDie Allianz verfügt in Deutschland über die bekannteste Marke im Versicherungssektor. 2010 hat die Gruppe weltweit 5,2 Milliarden Euro verdient und Einnahmen von mehr als 100 Milliarden Euro erzielt. Neben dem Versicherungsgeschäft ist das Management großer Vermögen das zweite Standbein des Konzerns geworden. Mit Pimco besitzt die Allianz den am stärksten beachteten Anleihenmanager. Quelle: Handelsblatt Quelle: dapd
AxaDer größte französische Versicherer konkurriert mit der Allianz um die Marktführerschaft in Europa. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Einnahmen auf 91 Milliarden Euro. Der Gewinn sank um ein Viertel auf 2,75 Milliarden Euro, weil Sanierungsarbeiten nach der Finanzkrise das Ergebnis belasteten. Quelle: Reuters
GeneraliDer Marktführer in Italien ist traditionell stark im Geschäft mit Altersvorsorgeprodukten. 2010 flossen rund 73 Milliarden Euro in die Kassen, 1,7 Milliarden Euro verblieben als Gewinn. Quelle: dpa/dpaweb
AvivaDie britische Gruppe konzentriert sich in Europa neben dem Heimatmarkt auf weitere sieben Märkte: Frankreich, Spanien, Italien, Polen, Irland, die Türkei und Russland. Die Einnahmen beliefen sich 2010 auf mehr als 50 Milliarden Euro. Rund zwei Milliarden Euro verdiente der Konzern. Quelle: Reuters
Zurich FinancialLängst ist der Versicherer über die Schweiz hinaus gewachsen. International ist die in Dollar bilanzierende Gruppe ein direkter Konkurrent von Allianz und Axa. 2010 flossen umgerechnet 49 Milliarden Euro in das Unternehmen, über zwei Milliarden Euro betrug der Gewinn unter dem Strich. Quelle: Reuters
Munich REDer weltgrößte Rückversicherer hat zwei Standbeine: Das Geschäft mit anderen Versicherern sowie das Privatkundengeschäft, das vor allem über die Tochter Ergo läuft. Mehr als 45 Milliarden Euro an Prämien flossen 2010 in die Kasse, dabei verblieb ein Gewinn von rund 2,4 Milliarden Euro. Quelle: dpa
CNP AssurancesDer Versicherer ist in Frankreich führend im Verkauf von Lebensversicherungen. 33 Milliarden Euro an Prämien fließen im Jahr hinein, eine Milliarde Euro Gewinn zieht der Konzern daraus. Quelle: Screenshot

Zudem hätten die Verbraucher einen Anspruch auf einen Mindestrückkaufswert. Diese betrage knapp die Hälfte der eingezahlten Beiträge.

Wer also pro Monat 100 Euro Prämie gezahlt hat und nach 18 Monaten kündigt, hat einen Rückkaufswert von null Euro. Nach der Formel des Bundesgerichtshofs sei das zu wenig, so die Verbraucherschützer. Der Kunde könne knapp die Hälfte der eingezahlten Beiträge verlangen, also rund 850 Euro.

So sieht die Regierung Lebensversicherungen

Das Geld sollten die Allianz-Kunden fordern. Die Verbraucherzentrale Hamburg bietet einen Musterbrief als Hilfe an und will über das weitere Vorgehen informieren, wenn sie eine Kopie der Forderung erhält. Zudem können Ex-Allianz-Kunden ihren Vertrag und die Antwort des Versicherers prüfen lassen. Auch Verwandte und Bekannte sollte man informieren. Denn: „Viel zu wenig Betroffene machen ihren Anspruch geltend. Die Versicherer freut's: Sie sparen Geld.“

Wer Geld zurück möchte, sollte dabei wichtige Fristen beachten. Die Ansprüche aus gekündigten Versicherungsverträgen verjährten drei Jahre nach Vertragsende, erläutern die Verbraucherschützer. Die Verjährungsfrist beginne am 1. Januar des auf die Vertragskündigung folgenden Jahres.

Kunden, die im Jahr 2010 ihre Lebensversicherung gekündigt hätten, müssten also 2013 ihrem Versicherer schreiben und Geld nachfordern. Versicherte, die vor dem Jahr 2010 gekündigt hatten, behalten ihre Ansprüche, wenn sie ihren Versicherer innerhalb der Verjährungsfrist schriftlich zu Nachzahlungen aufgefordert haben. Auch eine Beschwerde beim Versicherungsombudsmann unterbreche die Verjährung.

Die Stiftung Warentest nennt eine Reihe von Versicherern, bei denen Kunden mit gekündigten Kapitallebens- oder privaten Rentenversicherungen Ansprüche anmelden sollten: Allianz, Deutscher Ring, Ergo, Generali und

Signal Iduna.

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat außerdem Finanztest zufolge folgende Unternehmen wegen unzulässiger Klauseln in Kapitallebens- oder Rentenversicherungen zwischen 2001 und Dezember 2007 abgemahnt:

  • Aachen+Münchener
  • Axa
  • BHW
  • DBV
  • HDI/Gerling (Aspecta)
  • Nürnberger
  • R+V
  • Skandia
  • Stuttgarter Leben
  • VGH Provinzial
  • Victoria
  • Zurich

Auch andere Lebensversicherer werden vielleicht mehr zahlen, glaubt die Stiftung Warentest. Wer seine Kapitallebens- oder Rentenversicherung vor 2008 bei einem anderen Unternehmen abgeschlossen und vorzeitig gekündigt habe, sollte ebenfalls Geld zurückfordern. In der Regel beherzigten die Unternehmen die BGH-Entscheidungen, auch wenn ihre Klauseln kein Gericht beanstandet habe.
Finanztest bietet dafür eine Checkliste.

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