Gastbeitrag von Peter Zolling Die Büchse der Pandora

Die ultranationalistischen Bewegungen in Europa suchen den Schulterschluss. Der Historiker und Autor Peter Zolling warnt: Sollte ihnen die Dekonstruktion der EU gelingen, könnte das in einem Krieg enden.

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Die ultranationalistischen, völkisch-identitären, rechtsautoritären und antiliberalen Bewegungen in Europa, Russland und den USA suchen den Schulterschluss gegen das „System“, warnt Gastautor Peter Zolling. Quelle: AFP

Hamburg Die AFD-Vorstandssprecherin Frauke Petry trifft den russischen Rechtsextremisten Wladimir Schirinowski. Moskau unterstützt den Front National in Frankreich. Stephen Bannon, Chefideologe des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump und Bewunderer Lenins und der Machtergreifung der Bolschewisten während der Oktoberrevolution 1917, sinniert über die Zerschlagung des Staats, sehnt den Untergang Europas herbei (Oswald Spengler und dessen Apokalypse vom „Untergang des Abendlandes“ lassen grüßen) und wähnt sich und sein Land in einem gleichsam endzeitlichen globalen Krieg.

Kein Zweifel: Die ultranationalistischen, völkisch-identitären, rechtsautoritären und antiliberalen Bewegungen in Europa, Russland und den USA sind offensichtlich dabei, eine Achse zu schmieden, suchen den Schulterschluss gegen das „System“ der westlichen Demokratien in einer „Internationale der neuen Rechten“ und imitieren dabei mit Chuzpe die Internationalismus-Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert.

Und noch immer verniedlichen Medien und Öffentlichkeit diese fundamentalistische und im Kern totalitäre Erhebung als rechtpopulistisch. So als hätte es die historischen Vorgänger Lenin, Stalin, Hitler und Goebbels nie gegeben. Populismus ist in Demokratien, in denen unterschiedliche Interessen und Parteien um Mehrheiten ringen, nicht a priori schlecht. Wenn Politik populär ist, also Zustimmung im Volk findet, beruht sie auf Überzeugungskraft. Das kann, muss aber nicht zwangsläufig populistisch sein. Negativ konnotiert ist Populismus dann, wenn Stimmungen nicht nur aufgegriffen, kanalisiert und in politische Lösungen übergeführt, sondern manipulativ geschürt werden, wenn also gehetzt statt argumentiert wird.

Agitation, Demagogie und Propaganda sind die Wesensmerkmale des Populismus. Verschmelzen diese mit dem geistigen Rüstzeug des „Anti-Demokraten“, der die pluralistische, individuelle Grund- und Menschenrechte garantierende, auf der Trennung und Begrenzung politischer Gewalten basierende parlamentarische Ordnung per Machteroberung via Wahlen durch ein autokratisch-repressives Regime ersetzen möchte, schlägt Rechtspopulismus in eine „Konservative Revolution“ um – das eigentliche Ziel dieser Kräfte, die ihr Weltbild am Freund-Feind-Kampf des NS-Vordenkers Carl Schmitt ausrichten.

Doch wie schon die „Konservative Revolution“ vor nicht ganz einhundert Jahren in der Weimarer Republik an ihrem Grundparadoxon krankte – zerstören, um zu bewahren – so kann auch das grenzüberschreitende Techtelmechtel der neo-rechten Bewegungen von Amerika über Europa bis Russland nicht darüber hinwegtäuschen, dass die mit vereinten Kräften erstrebte Destruktion der EU und des internationalen Multilateralismus den Rückfall in einen sozialdarwinistischen Nationalismus heraufbeschwört. Bestenfalls mündet dieser in neuen Mächteallianzen zugunsten Weniger und zu Lasten Vieler, schlimmstenfalls im Kampf aller gegen alle und dem Recht des Stärkeren. Anders gewendet: Sollte der „rechten Internationale“ ihr unisono betriebenes Zerstörungswerk gelingen, wird sie an eben diesem Erfolg zerbrechen und möglicherweise im Krieg ihrer Protagonisten gegeneinander enden.

Wer auch nur schwache Erinnerungen an das wechselvolle deutsch-französische Verhältnis und die verhängnisvolle „Erbfeindschaft“ zwischen diesen beiden Nachbarländern hat, dürfte begreifen, wovon die Rede ist. Denn zu guter Letzt wurzelt jeder Nationalismus in der radikalen Überhöhung des Eigenen und im Ausschluss aller Anderen. Radikaler Nationalismus, erst recht in völkischem Gewand, ist nicht auf Koexistenz angelegt, sondern in letzter Konsequenz auf die Vernichtung konkurrierender Ansprüche. Wer die Union Europas, nach zwei verheerenden Weltkriegen Schritt für Schritt als Friedenszone erschaffen, und die zum gegenseitigen Schutz geschlossenen sowie auf Komplementarität und Interessenausgleich beruhenden Bündnisse der freien westlichen Demokratien unterminieren will, öffnet die Büchse der Pandora.

Peter Zolling ist Autor der „Deutschen Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart – Macht in der Mitte Europas“ (Carl Hanser Verlag) und lebt als Kommunikationsberater in Hamburg.

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