Andrea Nahles Bewegung bei der Rentenreform

Nahles will die betriebliche Altersversorgung stärken – als Teil ihrer Rentenreform. Bereits in der kommenden Woche könnte es einen Durchbruch geben. Dafür muss aber die Arbeitgeberseite zu Zugeständnissen bereit sein.

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„Wir brauchen eine Haltelinie beim Rentenniveau“, sagte Nahles am Dienstag in Berlin bei einer DGB-Veranstaltung. Quelle: dpa

Berlin Countdown bei den Rentenreformplänen von Andrea Nahles. Vor der Sommerpause hatte die Bundesarbeitsministerin versprochen, im Herbst ein umfassendes Reformkonzept vorzulegen. Ein Schwerpunkt sollte die betriebliche Altversversorgung sein. Nun sieht es aus, als könnte es bereits in der nächsten Woche den entscheidenden Durchbruch geben.

Denn am Dienstag kommender Woche trifft sich die SPD-Ministerin zum zweiten Mal mit Spitzenvertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. „Es wird erwartet, dass wir uns dieses Mal auf Eckpunkte verständigen werden“, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Nahles bestätigte dies indirekt, als sie am Dienstag bei einer Rententagung des Deutschen Gewerkschaftsbundes erklärte, sie rechne in den nächsten Tagen mit einem Durchbruch. Ihren Gesetzentwurf will die Ministerin jedoch erst im November vorlegen.

Erstmals machte Nahles deutlich, dass es bei dieser Reform auch um neue Festlegungen zum gesetzlichen Rentenniveau gehen wird. Nach geltendem Recht könnte das Niveau bis 2030 auf 43 Prozent absinken. Danach würde es aber ohne Rechtsänderung weiter nach unten gehen.

„Wir brauchen eine Haltelinie beim Rentenniveau“, sagte Nahles. Sie arbeite an einem Vorschlag, „wie wir ein stabiles Rentenniveau hinbekommen“.

An dem Treffen am Dienstag nehmen auf Gewerkschaftsseite die Vorsitzenden von IG Metall, Verdi und IG BCE teil. Auf Arbeitgeberseite waren die Chefs der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, des Bundesarbeitgeberverbands Chemie und des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall flankiert von ihren jeweiligen Rentenexperten vertreten.

Für einen Durchbruch wird es entscheidend auf die Bereitschaft der Arbeitgeberseite ankommen, eine Reihe von Zugeständnissen zu machen. So fordern die Gewerkschaften, dass sich die Unternehmen wieder stärker an der Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung (BAV) beteiligen. Zuletzt ist nur noch die arbeitnehmerfinanzierte betriebliche Altersversorgung gewachsen. Dabei zahlt der Arbeitnehmer bis zu vier Prozent seines Einkommens steuer- und sozialabgabenfrei in eine Betriebsrente ein. Dies führt beim Unternehmen ebenfalls zu Einsparungen, denn sie müssen auf diese vier Prozent des Lohns auch keine Arbeitgeberbeiträge zahlen. Die Gewerkschaften fordern nun, dass die Arbeitgeber verpflichtet werden, dieses Geld auf das Betriebsrentenkonto des Arbeitnehmers zu überweisen.


Mehr Förderung der betrieblichen Altersvorsorge

Überlegungen des Finanzministeriums, die Arbeitgeber durch direkte Förderung bei der Finanzierung der Betriebsrenten wieder mit ins Boot zu holen, gehen den Gewerkschaften nicht weit genug. Nach dem Vorschlag soll Arbeitgebern, die bereit sind 240 bis 480 Euro im Jahr in eine Betriebsrente einzuzahlen für Beschäftigte, die weniger als 30.000 Euro im Jahr verdienen, ein Drittel der Kosten vom Staat erstattet werden. Die Gewerkschaften drängen hier auf höhere Förderbeträge für Beiträge der Arbeitgeber zur betrieblichen Altersversorgung, die auf der Basis eines Tarifvertrages abgeschlossen worden sind.

Das passt zum Plan von Bundesarbeitsministerin Nahles, Sozialpartnervereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung besonders zu fördern. So sollen bei solchen Sozialpartnermodellen die Arbeitgeber von der Haftung für die Höhe der zugesagten Versorgung befreit werden.

Wie das umgesetzt werden soll, ist ein weiterer Streitpunkt zwischen den Sozialpartnern. Während etwa der Arbeitgeberverband Gesamtmetall fordert, bei Sozialpartnermodellen künftig auf jede Haftung zu verzichten, indem dem Arbeitnehmer nur noch eine vielleicht zu erwartende „Zielrente“ auf der Basis der eingezahlten Beiträge versprochen wird, wollen die Gewerkschaften auch in diesen Fällen „irgendeine Form der Haftung“. Im Zweifel soll nach ihren Vorstellungen der Staat das übernehmen.

Nicht mehr strittig ist dagegen, dass der Förderrahmen für die betriebliche Altersversorgung erhöht wird. Zwar soll es dabei bleiben, dass maximal vier Prozent des Einkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze sozialabgabenfrei eingezahlt werden können. Die Grenze für steuerfreie Einzahlungen soll jedoch auf 6,5 Prozent erhöht werden. Die Gewerkschaften würden auch hier gerne für tarifvertraglich geregelte betriebliche Altersversorgung noch etwas draufsatteln. Bis zu 8,5 Prozent sollen danach steuerfrei eingezahlt werden können, wenn ein Tarifvertrag zu Grunde liegt. Entsprechend höher wären die Steuerausfälle für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Im Finanzministerium hat man zudem Bedenken dagegen, tarifliche Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung so weitgehend zu privilegieren. Auf Seiten des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind die Befürchtungen daher sehr groß, dass man sich am Ende nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen wird.

Dies gilt auch für den Wunsch der Gewerkschaften, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu verbessern, dass in Zukunft etwa für das Gaststättengewerbe abgeschlossene Tarifverträge über eine Betriebsrente leichter für nicht tarifgebundene Arbeitgeber allgemeinverbindlich erklärt werden können. Bislang ist die betriebliche Altersversorgung vor allem in den Branchen wenig verbreitet, in denen es auch nur eine geringe Bindung an Tarifverträge gibt.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles wies bei der Rententagung des Deutschen Gewerkschaftsbundes darauf hin, dass die Spielräume der Politik für Verbesserungen bei der Alterssicherung neue Weichen zu stellen, heute deutlich größer seien als vor 15 Jahren. Damals wurde die schrittweise Kürzung des Rentenniveau beschlossen und zum Ausgleich die staatlich geförderte Riesterrente eingeführt.


Politik vor Legitimationskrise

Deutschland sei seinerzeit in einer deutlich schlechteren ökonomischen Lage gewesen, sagte Nahles. „Wir galten als der kranke Mann Europas. Die Arbeitslosigkeit war auf Rekordniveau, die Frauenerwerbstätigkeit am Boden.“ Bei der Einführung der Riesterrente und der Kürzung des gesetzlichen Rentenniveaus sei es daher darum gegangen, die sozialen Sicherungssysteme in einer ökonomisch schwierigen Lage zu stabilisieren.

Inzwischen habe sich die Lage deutlich verbessert. Die Handlungsspielräume seien größer. Es gebe eine realistische Perspektive, auf der Basis neuer Festlegungen über das zukünftige Niveau der gesetzlichen Rente festzulegen, wieviel ergänzende Vorsorge gefördert werden muss, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Klar sei, dass es Aufgabe der Rentenpolitik sei, ein würdevolles Leben im Alter ermöglichen, sagte Nahles.

Die „Gretchenfrage“ sei dabei in der Tat die Höhe des Rentenniveaus. Sie sei daher auch dankbar für die Rentenkampagne des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Der erzeuge hier durchaus an der richtigen Stelle Druck. Allerdings könnten beim Rentenniveau die Bäume nicht in den Himmel wachsen. „Die demografische Delle ist ja wegen des Wirtschaftsaufschwungs nicht verschwunden.“ Derzeit stünden 35 Rentnern hundert Menschen im erwerbstätigen Alter gegenüber. Im Jahr 2045 seien es nur noch 56 Erwerbstätige.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund wünscht sich eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf dem heutigen Level von 47,5 Prozent. Langfristig soll es sogar wieder auf das Niveau steigen, dass es vor den Riester-Reformen hatte, also rund 53 Prozent.

Dazu soll die Rücklage der Rentenversicherung von derzeit 35 Milliarden Euro nicht weiter ausgegeben werden, sondern stattdessen eine Demografie-Reserve aufgebaut werden, indem der Beitragssatz von derzeit 18,7 Prozent früher als geplant angehoben wird. Auch soll die Mütterrente nicht länger aus Rentenbeiträgen, sondern aus Steuermitteln finanziert werden.

Nach den bisherigen Modellrechnungen bleiben Rentenniveau und Beitragssatz auch ohne politische Reformen bis 2021 stabil. Danach wird der Rentenbeitrag deutlich steigen müssen und das Rentenniveau stark sinken, weil schrittweise die geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter erreichen. „Dies bedeutet für die heute Aktiven, dass sie deutlich mehr Beitrag für weniger Rente zahlen müssen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach auf der Rententagung.

Die Politik steure damit die Rentenversicherung sehenden Auges in eine Legitimationskrise. Und dabei gehe es nicht um die heutigen Rentner, sondern um die Jungen. Denn die würden die Folgen dieser Politik mit voller Wucht zu spüren bekommen. Auch Nahles betonte, dass es bei den aktuell anstehenden politischen Entscheidungen vor allem um die 35 bis 45-Jährigen gehe. „Es wird, wenn es um die Rente geht, gerne das Bild einer Bank mit zwei alten Leuten gezeigt. Das ist grundfalsch. Bei der Rentenpolitik geht es vor allem um die Zukunft der heute Jungen“.

Es gehe um das ganze Leben. Denn was einer im Alter hat, hänge auch davon ab, ob er eine Chance hatte zu fairen Löhnen zu arbeiten. Bessere Arbeitsbedingungen und Löhne sind auch ein Kern der Rentenkampagne der Gewerkschaften. So forderte DGB-Chef Reiner Hoffman am Dienstag, Geringverdiener-Jobs zurückzudrängen und das Unterlaufen von Tarifstandards bei den Löhnen durch Werkverträge und Leiharbeit endlich gesetzlich zu unterbinden.

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