Angela Merkel im Interview "Mit mir werden keine Reformen zurückgedreht"

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Angela Merkel: Wer, wie die Linken, die Wirtschaft unter Generalverdacht stellt, schadet unserem Gemeinwesen Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Wollen Sie die Spitzenverdiener stärker belasten, um den Mittelstand zu entlasten?

Davon halte ich wenig. Was wir brauchen, ist die Dynamik und das Wirtschaftswachstum, um alle Bevölkerungsgruppen zu entlasten. Wir wollen aber die Familien mit Kindern, die besonders unter Druck sind, besonders entlasten, und zwar noch in dieser Legislaturperiode.

Allein schon ein Inflationsausgleich schiebt die Mittelschicht in der Steuerprogression nach oben. Müsste die Einkommensteuerkurve nicht flacher werden?

Wir werden im kommenden Frühjahr unsere Konzeption vorlegen. Die Frage, welchen Winkel die Progression haben soll, ist sicherlich eine zentrale.

Sie wollen im oberen Bereich aber auch nicht den Steuersatz erhöhen, so wie es linke Politiker fordern?

Nein, das ist nicht unser Ziel. Wir wollen Bürger für Leistung ermutigen und nicht bestrafen.

Sie sprechen von Familie und Nachhaltigkeit. Aber gerade Familien, vor allem Familienunternehmen, setzen Sie mit einem bürokratischen Monstrum wie der Erbschaftsteuer unter Druck. Ist es eigentlich gerecht, Steuern auf Vermögen zu erheben, das aus bereits versteuertem Einkommen erworben wurde?

Es wird eine reformierte Erbschaftsteuer geben. Wichtig ist: Die Mittelschicht, die heute noch über 50 Prozent der Bevölkerung ausmacht, dürfte nach unserer Konzeption wegen der Freibeträge nahezu vollständig von der Erbschaftsteuer ausgenommen sein. Wir müssen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllen, das nun besondere Anforderungen an die Bewertung von Grundvermögen stellt. Aber alle, die ein normales Haus oder eine Wohnung erben, sollen bei der Reform nicht belastet werden. Das gilt auch für die Landwirte.

Viele Familienunternehmen sind massiv verärgert und befürchten zusätzliche Lasten.

Die Beratungen zu diesem Punkt laufen noch. Um die Bedenken der Familienunternehmer zu berücksichtigen, werden wir nach meiner Erwartung am jetzigen Entwurf gewisse Änderungen durchführen.

Was meinen Sie damit?

Unsere politische Absicht bei der Erbschaftsteuerreform ist, die Erbfolge gerade bei Familienunternehmen zu erleichtern. Derzeit sprechen wir über konkrete Änderungen am Entwurf. So könnten etwa die Haltefristen für die Befreiung der Unternehmer von der Erbschaftsteuer verkürzt werden. Außerdem sprechen wir über eine sogenannte Pro-rata-temporis-Regel. Bei einem Verkauf des Unternehmens während der Haltefrist wären dann nur die anteilig verbliebenen Steuern fällig.

"Wir haben viel erreicht, düfen aber in unseren Reformbemühungen nicht nachlassen."

Noch freut sich die Bundesregierung über sprudelnde Steuereinnahmen und sinkende Arbeitslosigkeit. Doch die Wirtschaftserwartung verschlechtert sich. Wie sehen Sie die Konjunkturaussichten?

Wir werden im nächsten Jahr nach Angaben der Experten ein geringeres Wachstum als 2007 und 2008 haben. Auch wenn wir in Deutschland eine robuste Konjunkturlage haben, können wir uns von den Folgen der Finanzkrise und der Weltkonjunktur nicht abkoppeln. Die Wirtschaft in den USA fasst noch nicht wieder Tritt. Besorgniserregend sind auch die Rohölpreise. Beim Stahl kam es in den letzten vier Wochen zu einer Verteuerung um 50 Prozent. Solche Steigerungen bei den Rohstoffen haben wir seit Jahren nicht mehr erlebt. Eine wachsende Weltbevölkerung und aufstrebende Schwellenländer tragen dazu bei, dass wir es über Jahre mit diesen Problemen zu tun haben werden. Deshalb müssen wir vernünftig darauf reagieren.

Ist denn Deutschland für eine konjunkturelle Schwäche wetterfest gemacht worden?

Wir haben viel erreicht, dürfen aber in unseren Reformbemühungen nicht nachlassen. Um in Ihrem Bild zu bleiben: Das Fundament steht, und die Statik stimmt. Das mag vielleicht kurzfristig ausreichen. Aber aus Sicht der Union ist noch einiges mehr zu tun. Dafür werde ich werben, wenn wir uns zur Wiederwahl stellen.

Für wie kritisch halten Sie die Inflationsentwicklung und ist diese nicht durch Maßnahmen Ihrer Regierung – Stichwort Mehrwertsteuer und Klimaschutzprogramme – befördert worden?

Natürlich belasten Preissteigerungen die Kaufkraft der Haushalte, insbesondere die der Familien und Geringverdiener. Aber die Mehrwertsteuer spielt hier nicht die entscheidende Rolle, denn im vergangenen Jahr sah die Preisentwicklung deutlich stabiler aus. Diese Inflationsentwicklung ist durch den Weltmarkt vor allem bei Energie und Rohstoffen getrieben.

Die USA haben auf diese Entwicklung mit niedrigen Zinsen reagiert. Halten Sie den Hochzins-Kurs der EZB für die bessere geldpolitische Antwort?

Die Politik ist gut beraten, die Unabhängigkeit der EZB zu respektieren und keine politische Zinsdebatte zu führen. Grundsätzlich gilt, dass Geldwertstabilität ein hoher Wert ist. Diesem Ziel war die Deutsche Bundesbank über Jahrzehnte verpflichtet, und nun ist es die EZB.

Welche Möglichkeiten der Inflationsbekämpfung hat denn die Politik?

Wir müssen uns auf die Bereiche konzentrieren, die wir als Politiker beeinflussen können. Dazu gehören im Energiebereich die Verringerung einseitiger Abhängigkeiten vom Öl, die Nutzung erneuerbarer Energien, der Weiterbetrieb sicherer Kernkraftwerke, der Bau moderner, CO2-armer Kohlekraftwerke, eine hohe Wettbewerbsintensität und Sparen beim Verbrauch. Damit können wir langfristig auf die Herausforderungen reagieren. Und was vielfach vergessen wird: Deutschland und seine Industrie hatten zwar seit den Neunzigerjahren gestiegene Umweltauflagen zu berücksichtigen, doch ist es damit auch gelungen, die hohen Energiepreise von heute besser abzufedern. Würden wir nicht so energieeffizient produzieren, wären wir von der Entwicklung an den Rohstoffmärkten viel heftiger getroffen. Ökologische und ökonomische Ziele sind hier eins.

Erfüllt die Marktwirtschaft damit auch eine ökologische Steuerungsfunktion?

Ja, das ist ein klarer Vorteil unseres Wirtschaftsmodells. Die Marktwirtschaft signalisiert Knappheiten und belohnt den effizienten Umgang mit knappen Ressourcen.

Worin sehen Sie Ihre wichtigste Aufgabe für die Weiterentwicklung der Marktwirtschaft?

Wir müssen unser Land und die soziale Marktwirtschaft einstellen auf die demografischen und globalen Herausforderungen. Besonders am Herzen liegt mir die Bildung. Wer über eine solide schulische und berufliche Ausbildung verfügt, kann sein Leben besser gestalten und hilft mit, den Wohlstand zu erhalten. Deshalb habe ich von der Bildungsrepublik Deutschland gesprochen. Deshalb setze ich auf Integration und begrüße zum Beispiel Sprachtests und Sprachkurse. Bildung und Integration sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Wenn ein Teil unserer jungen Leute den Anschluss verlieren würden schadet das dem friedlichen Zusammenleben, aber es schadet auch unserer wirtschaftlichen Basis.

Wie viel Geld wollen Sie dafür in die Hand nehmen?

Große Teile der Bildungspolitik sind in der Kompetenz der Länder. Für andere ist der Bund zuständig. Deshalb werden wir im Oktober in Dresden mit den Ministerpräsidenten und der Bundesregierung ausführlich über weitere Anstrengungen reden. Ich möchte das Bewusstsein für Bildung stärken. Nur so sind heutzutage Einstieg und Aufstieg in Gesellschaft und Berufsleben möglich. Erhards Wort vom „Wohlstand für alle“ bedeutet heute „Bildung für alle“.

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