Langzeitarbeitslosigkeit "Wieso findest du nichts?"

Warum manche Fachkräfte selbst im Jobwunder arbeitslos bleiben.

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Prüfung eines Ventilators Quelle: dpa

Das Schlimmste sind die guten Nachrichten. Wenn die Zeitungen vom deutschen Jobwunder berichten. Wenn aus dem Radio tönt, Fachkräfte seien begehrt wie nie. Oder wenn es im Fernsehen heißt, Vollbeschäftigung sei nah, nur der "harte Kern" der Arbeitslosen sei noch übrig. Bei solchen Meldungen packt Hans Baumann* die Wut. Dann schimpft er über "Lügenpresse" und "böswillige Politik". Dann möchte er am liebsten laut schreien. "Dieses Gepupe vom Fachkräftemangel! Dieses Geschwätz, das die Medien nachplappern! Unerträglich!" Baumann kann sich in solchen Momenten kaum beruhigen. Denn das, was er selbst Tag für Tag erlebt, passt nicht zu dem, was die Medien berichten. Rosige Zeiten für Stellensuchende? Nicht für Baumann. Er kassiert eine Absage nach der anderen.

Dabei gehört Hans Baumann nicht zu jenen Langzeitarbeitslosen mit Jogginghose und Bierflasche, die das Fernsehprogramm bevölkern. Der Frankfurter hat ein Ingenieur-Diplom und 30 Jahre Berufserfahrung. Er will arbeiten. Trotzdem rutschte er in diesem Frühjahr in die Langzeitarbeitslosigkeit. Am 1. Mai war er seit einem Jahr ohne Erfolg auf Stellensuche. Der Tag der Arbeit war für ihn ein Tag der Wut.

Nicht viele Arbeitslose sind so gut qualifiziert wie der Hesse, aber er ist auch kein völliger Einzelfall. Rund 180.000 Erwerbslose verfügen über einen Hochschulabschluss, weitere 1,7 Millionen immerhin über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie alle sind Fachkräfte, sie alle können sich angesprochen fühlen, wenn vom Fachkräftemangel die Rede ist. Und noch ist der ein Thema, trotz Konjunktursorgen zeigt sich der Arbeitsmarkt weiter in guter Verfassung. Dennoch suchen auch manche qualifizierte Arbeitslose vergeblich eine Stelle. Ihre Situation ist für sie heute sogar noch schwerer zu ertragen, als zu den Zeiten extrem hoher Arbeitslosigkeit. Es erscheint paradox, aber sie sind frustriert wie nie. Ständig wird über den Fachkräftemangel geklagt – wie sollen sie sich und anderen da erklären, dass sie nichts finden?

Im Frühjahr 2010 war Hans Baumanns Welt noch in Ordnung. Er prüfte bei Siemens Baupläne für ein neues Gaskraftwerk, kontrollierte, ob Ventile, Kessel oder Manometer richtig angeordnet waren. Angestellt war er bei einem Ingenieurdienstleister, der ihn wie einen Zeitarbeiter bei dem Münchner Elektrokonzern einsetzte. Alle waren mit seiner Arbeit zufrieden. Weil Siemens aber zu wenig neue Aufträge für Kraftwerke bekam, verlor der Verfahrenstechnik-Ingenieur schließlich seinen Job.

Anfangs sah es so aus, als würde er gleich etwas Neues finden. Ein Hersteller von Windenergieanlagen war an ihm interessiert. Als aber klar wurde, dass für die Stelle dort ausgezeichnete Englisch-Kenntnisse nötig sind, zerschlug sich das. "Für den rauen Ton auf einer Baustelle reicht mein Englisch", sagt Baumann, "aber die Firmen meinen etwas anderes, wenn sie verhandlungssicheres Englisch verlangen."

Das größte Problem, vermutet der Ingenieur, ist aber sein Alter. Er ist 61. "Offen sagt mir das natürlich keiner, aber die wollen Jüngere." Und die bekämen die Firmen auch. "Der Fachkräftemangel", lautet Baumanns Fazit nach mehr als einem Jahr Stellensuche, "wird völlig übertrieben."

So wie der Ingenieur zweifeln viele Erwerbslose an den Jubelmeldungen vom Arbeitsmarkt. Manche halten sie für reinen Schwindel, vor allem in Internetforen ist das eine ausgemachte Sache. Da wird behauptet, in Wahrheit seien sieben oder gar zehn Millionen Menschen arbeitslos – auch wenn die dafür herangezogenen Statistiken das nicht hergeben. Nur wenn man selbst Kinder und Ehepartner von Arbeitslosen dazurechnet, kommt man auf solche Werte. Zwar spiegeln die registrierten Arbeitslosen tatsächlich nicht die ganze Misere wider – knapp eine Million Menschen im Vorruhestand und in Beschäftigungsmaßnahmen müsste man dazuaddieren. Aber auch so gerechnet, ist die Beschäftigungslage heute so gut wie nie seit der Wiedervereinigung. Statistische Tricks erklären also nicht, warum es für manche weiterhin schwer ist, in Beschäftigung zu kommen.

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