Pädagogen ohne Arbeit Wohin mit den ganzen Lehrern?

Ein Lehramtsstudium galt einst als sicherer Weg, eine Stelle zu bekommen. Damit ist es vorbei - denn es gibt mehr Absolventen als Stellen. Was Lehramtsstudenten dagegen tun können – und was Experten raten.

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Was wirklich hinter Lernmythen steckt
Bloß nicht mit den Fingern rechnen Quelle: Fotolia
Eine Lehrerin schreibt mit Kreide an die Tafel Quelle: dpa
Schüler mit dem Smartphone auf dem Schulhof Quelle: dpa
Fehler helfen beim LernenWer sich beim Lernen häufig verhaspelt und die Lösung raten muss, lernt trotzdem was. Eine kanadische Studie hat gezeigt, dass die Gedächtnisleistung sogar von den Fehlern profitiert. Dies gilt allerdings nur, wenn die Raterei nicht völlig ins Kraut schießt, sondern nur knapp an der richtigen Lösung vorbei ist. Wer häufig fast richtige Vermutungen anstellt, dem helfen diese wie kleine Brücken beim Erinnern an die korrekte Information. Diesen Vorteil konnten die Forscher sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Probanden feststellen. Wer sich selbst herantastet, profitiert davon also mehr, als wenn ihm die richtige Antwort vorgesagt wird. Quelle: Fotolia
Texte wiederholt zu lesen, heißt viel zu lernen Quelle: dpa
Gelerntes erzählen, hilft es sich zu merken Quelle: AP
Hochbegabte sind LernüberfliegerWer einen ungewöhnlich hohen IQ hat, ist in der Schule noch lange kein Überflieger. Weil viele Hochbegabte in der Schule unterfordert sind, markieren sie den Klassenclown und bekommen entsprechend schlechte Noten. Quelle: Fotolia

Julia Zobel, die eigentlich anders heißt, hat direkt nach dem Abitur angefangen zu studieren: Latein auf Lehramt für Gymnasien an einer Universität in Thüringen. Bis zum Ende des Referendariats, mittlerweile schon in Nordrhein-Westfalen, ging es für sie rasant weiter - doch dann war Schluss.

Nach dem Referendariat durfte sie noch bis zum Ende des Schuljahres an ihrer Ausbildungsschule bleiben. Seitdem schlägt sie sich mit verschiedenen Jobs durch, trotz eines guten Abschlusses.

"Ich habe mindestens bei 100 Schulen im Umkreis von 100 km angerufen und mich vorgestellt, um wenigstens die Chance auf eine Vertretungsstelle in der Nähe zu bekommen", sagt sie. "Keine Chance."

Der Beruf des Lehrers galt lange als besonders sicher. Aber das ist ein Irrglaube. Fast alle Bundesländer klagen heute über zu viele Bewerber auf zu wenige Stellen. Nur wer günstige Fächerkombinationen studiert und ein überdurchschnittliches Examen macht, hat heute noch Chancen.

Insgesamt gab es in Deutschland im Schuljahr 2012/2013 665.892 Lehrer an allgemeinbildenden Schulen. Glaubt man Experten wie dem Bildungsforscher Klaus Klemm, so ist Julias größtes Problem ihre geisteswissenschaftliche Fächerkombination, die viele Studienfänger anzieht. Klemm erwarten in den kommenden Jahren in allen Schulformen und über alle Fächer hinweg "ein Überangebot an zur Verfügung stehenden Lehrern". Durchschnittlich, sagt Klemm, werden pro Jahr bis zu 8000 Menschen mehr Stellen suchen als angeboten werden: "Vor allem an Gymnasien in Westdeutschland."

 

2025 soll das Überangebot bei mehr als 13.000 Lehrern liegen, zurzeit sind es 2000. Es sind düstere Prognosen, die einzelne Bundesländer besonders hart treffen. Im nordrhein-westfälischen Bildungsministerium wird damit gerechnet, dass bis 2029 mehr als 20.000 Lehrer auf Stellensuche sein werden.

Ein Grund: Die doppelten Abiturjahrgänge, die den Bedarf an Absolventen deutlich übersteigen. Abnehmende Schülerzahlen und eine geringen Anzahl an Lehrern, die in den kommenden Jahren pensioniert werden, verschlimmern das Problem.

Düstere Aussichten für angehende Lehrer

Die Prognosen sind also alles andere als vielversprechend. Sollte man deshalb auf seinen Traumjob verzichten? Darauf gibt es keine einfache Antwort.

"Der Arbeitsmarkt für Lehrer ist und bleibt ein sehr gespaltener", sagt Josef Kraus, der schon seit 1987 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes ist. Heißt im Klartext: "Günstige Aussichten für Lehrer gibt es bei Gymnasien, Realschulen, Gesamtschulen in den sogenannten MINT-Fächern, aber auch in den Berufsschulen. Ungünstig sind die Aussichten in Fächern wie Deutsch, Englisch und Geschichte."

Hannah Moormann aus Köln hat scheinbar alles richtig gemacht. Sie hat bis vor kurzem Mathematik auf Lehramt studiert und Glück gehabt: Im November beginnt sie mit ihrem Referendariat. Einer der wenigen Wehrmutstropfen ist, dass sie wenige Wochen vor dem Start noch nicht weiß, an welche Schule sie kommen wird. Klar ist lediglich, dass sich diese Schule dem Studienseminar Solingen zugeteilt ist.

Sie ärgert sich darüber, dass die angehenden Referendare keinen Einfluss darauf hatten, wo sie die nächsten anderthalb Jahre ihr Referendariat absolvieren dürfen. „Solingen war nicht gerade mein Traumziel, andere hat es schlimmere getroffen“, sagt sie.

Noch vor zehn Jahren prognostizierte die Kultusministerkonferenz einen Lehrermangel. 70.000 Pädagogen sollten damals fehlen – im Jahr. Heute gibt es zu viele Lehrer, weil das Studium nach wie vor großer Beliebtheit erfreut und die Abbruchquoten nur punktuell hoch sind.

Moormann glaubt deshalb, dass der Beruf des Lehrers auch in Zukunft eine "recht sichere Anstellung" ist. "Bildung ist ein wichtiger Grundstein für unsere Gesellschaft und Stellen für Lehrer kann man nun nicht einfach wegrationalisieren."

Lehrer werden immer vor neue Herausforderungen gestellt

Bereits vor 30 Jahren herrschte eine ausgeprägte Arbeitslosigkeit unter Lehrern. Das hat bis heute Auswirkungen: Schließlich gehen deshalb heute weniger Menschen in Pension und entsprechend weniger Stellen sind neu zu besetzen, sagt Kraus vom Lehrerverband. Das hat negative Auswirkungen für Menschen, die gerne unterrichten möchten: "Angehenden Abiturienten würde ich zu einem Studium der MINT-Fächer raten, wenn man sich dafür begabt hält. Deutsch, Englisch und Geschichte können auch studiert werden, aber Lehramtsanwärter sollten sich klar darüber sein, dass sie dann nur eine Chance haben, wenn sie deutlich überdurchschnittliche Examina vorweisen." Er selbst ist das beste Beispiel. Er hat Deutsch und Sport auf Lehramt für Gymnasien studiert hat und leitet mittlerweile seit knapp 20 Jahren ein Gymnasium in der Nähe von Landshut.

Doch klar ist auch: Die Anforderungen an die Lehrer haben sich ebenfalls gewandelt. Der Beruf erfordere "ein hohes Maß an reflexiver Kompetenz", sagt Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der GEW und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung. "Beispielsweise bei Themen wie der sozialen Herkunft oder dem Geschlecht. Dabei gilt es, die eigene Lernbiografie genauso zu reflektieren, wie die der Schüler."

In den meisten Ländern sei der Praxisbezug im Lehramtsstudium in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt worden, sagt Bildungsforscher Klemm. Julia Zobel allerdings war recht unzufrieden mit ihrem Studienseminar im Nordwesten Nordrhein-Westfalens: „Das Seminar war sehr oberflächlich und man hat oftmals keinen Sinn darin gesehen, überhaupt hinzugehen, weil es inhaltlich wenig gebracht hat. Auf eine Abschlussprüfung war man dadurch nicht unbedingt gut vorbereitet", sagt sie rückblickend. Der Vorsitzende des Lehrerverbandes sieht noch ein ganz anderes Problem: "Heute haben wir eine schwierigere Schülerschaft, weil sie weniger ausdauernd, unkonzentrierter und zum Teil auch auffälliger ist.

Vorbeugen könne man diesem Trend durchaus, und zwar durch weniger Schüler in den Klassen - und zusätzliches pädagogisches Personal.

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