Reform Warum haben die steigenden Kassenbeiträge nur wenig mit dem Gesundheitsfonds zu tun?

Warum eigentlich haben die 2009 steigenden Kassenbeiträge nur wenig mit dem ungeliebten Gesundheitsfonds zu tun?

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So funktioniert der Gesundheitsfonds

Er ist extrem kompliziert, kaum umzusetzen, den meisten Fachleuten verhasst, bringt keinen Vorteil und geht dennoch Anfang 2009 an den Start: der Gesundheitsfonds. Als „Missgeburt“ bezeichnet ihn der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Bert Rürup. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält das Vorhaben von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt für so sinnvoll wie eine „Autobahnbrücke ohne Autobahn“, die Opposition warnte vor dem „bürokratischen Monstrum“. Vergeblich. Das „wichtigste Projekt dieser Legislaturperiode“ (Angela Merkel), das jeden der 71 Millionen Kassenpatienten betrifft, kommt – und in diesen Tagen werden die Umwälzungen für Krankenkassen und Beitragszahler immer klarer.

Der Fonds ist der gewaltigste Eingriff in das deutsche Gesundheitswesen der vergangenen Jahrzehnte. Von Beginn 2009 an werden rund 156 Milliarden Euro im deutschen Gesundheitssystem nach neuen Regeln verteilt. Für 90 Prozent der Bevölkerung wird ein einheitlicher Beitragssatz gelten, den die Regierung Anfang Oktober festlegt. Die rund 215 Kassen überweisen dann all ihre Einnahmen an den Fonds, die zentrale Geldsammelstelle. Dieser „Topf“ befindet sich beim Bundesversicherungsamt in Bonn. Von da aus überweisen die Mitarbeiter der Behörde feste Pauschalen je Versicherten an die Kassen. Für besonders Kranke fließt mehr Geld, die Zuschläge werden für 80 Krankheiten mit rund 3400 Diagnosen gezahlt.

Wo der Einheitsbeitrag liegen wird, ist derzeit eine der heiß diskutiertesten Zahlen der Gesundheitspolitik. Die Prognosen schwanken zwischen 15,5 und 15,9 Prozent. Heute liegt der durchschnittliche Beitragssatz von AOK & Co. bei 14,92 Prozent – inklusive der 0,9 Prozent Beitragssatz, die jeder Versicherte alleine zahlen muss.

Doch bei aller berechtigten Kritik an der fragwürdigen Veranstaltung Gesundheitsfonds: Mit dem gewaltige Anstieg der Beiträge, der allen ins Haus steht, hat er eher wenig zu tun. Das fast alle Versicherten von 2009 an mehr zahlen müssen, liegt hauptsächlich an den finanziellen Zugeständnissen, die sich Bundesgesundheitsministerin Schmidt von Ärzten und Krankenhaus-Funktionären hat abringen lassen.

So dürfen sich die Ärzte vom kommenden Jahr an über 2,5 bis 2,7 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen freuen. Den Krankenhäusern hat die Politik ebenfalls mehr Geld in Aussicht gestellt, nämlich 2,5 bis 3 Milliarden Euro. Darüber hinaus gibt es im Gesundheitswesen ohnehin den Trend steigender Ausgaben, die in den vergangenen Jahren immer über dem Anstieg der beitragspflichtigen Einnahmen lag. So stieg im ersten Halbjahr 2008 die Grundlohnsumme um zwei Prozent, die Leistungsausgaben der Krankenkassen jedoch um 4,5 Prozent.

Der Fonds selbst treibt zwar auch die Kosten in die Höhe, ist insgesamt aber nur für einen kleineren Teil des Beitragsanstiegs verantwortlich: In der neuen zentralen Geldsammelstelle muss eine Liquiditätsreserve von drei Milliarden Euro angespart werden, voraussichtlich auf sechs Jahre gestreckt. Dafür müssen die Versicherten rein rechnerisch pro Jahr 0,05 Prozentpunkte mehr zahlen. Teurer könnte es für die Versicherten auch durch den bürokratischen Aufwand werden, der den Kassen durch den Fonds entsteht. Etwa, wenn sie Zusatzbeiträge bei ihren Mitgliedern eintreiben müssen. Diese werden dann fällig, wenn eine Kasse mit den Zuweisungen aus dem Fonds nicht hinkommt.

Liegt der Zuschlag bei über acht Euro, wird es kompliziert: Dann muss die Kasse sich über Einkommen und Vermögen ihres Versicherten informieren. Denn niemand darf mit mehr als einem Prozent seines Einkommens belastet werden. Sollte eine Kasse im Geld schwimmen, muss sie an ihre Versicherten eine Prämie ausschütten – auch dies ist Zusatzaufwand. Der AOK-Bundesverband schätzt, dass das neue Prämien- und Zuschlagssystem die Kassen mit bis zu 1,5 Milliarden Euro Kosten belastet. Das entspricht rein rechnerisch 0,15 Beitragssatzpunkten – und wird von der Bundesregierung als „nicht nachvollziehbar“ zurückgewiesen.

Dass der Fonds so unter Dauerbeschuss steht, hat gleichwohl andere Gründe: Er löst nicht die großen Probleme des Gesundheitswesens. Im Gegenteil: Er verhindert sogar sinnvolle Ansätze, das System besser und effizienter zu machen.

Erstens: Der Fonds gibt keine Antwort auf die Finanzierungsprobleme des Systems, das durch den demografischen Wandel und den technischen Fortschritt immer teurer wird. Weil die Beiträge an die Arbeitskosten gekoppelt sind, ist jeder Anstieg der Gesundheitskosten beschäftigungsfeindlich.

Zweitens: Im deutschen Gesundheitssystem existieren Über-, Unter- und Fehlversorgung nebeneinander, es gibt Steuerungsdefizite, Missmanagement und Qualitätsmängel. Experten sind davon überzeugt, mehr Wettbewerb unter den Leistungserbringern könnte ein Teil des Problems lösen. Die Regierung behauptet zwar, dass durch die Reform der Wettbewerb gestärkt werde, zahlreiche Experten sehen mit dem Fonds jedoch den Marsch in die staatliche Einheitsversicherung besiegelt. Zudem führen komplizierte Zusatzregelungen wie die „Härtefallklausel“ für einkommensschwache Versicherte durch Konstruktionsfehler zu Wettbewerbsverzerrungen unter den Kassen.

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