Rückblick 2013 Die politischen Bilder des Jahres

Ausgestreckte Stinkefinger, gekenterte Boote, abgehörte Handys: Das Jahr 2013 wird nicht nur wegen der Bundestagswahl in Erinnerung bleiben. Die weitreichendsten und die kuriosesten Momente in der Politik.

20. Januar: Das Jahr beginnt mit Jubel bei der SPD. Stephan Weil (Mitte) gewinnt die Wahlen in Niedersachsen, wird neuer Ministerpräsident. Rot-Grün hat einen Sitz im Landtag mehr als Schwarz-Gelb. Die Genossen sehen darin ein Signal für die Bundestagswahl im September. Zu früh gefreut? Jedenfalls hat die Opposition aus SPD, Grünen und Linken ab diesem Tag eine Mehrheit im Bundesrat, kann Gesetze der Regierung nun verzögern oder gar komplett kippen. Quelle: dpa
24. Januar: Im Stern erscheint ein Porträt über den FDP-Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle, geschrieben von der Journalistin Laura Himmelreich (rechts). Ein Auszug: „Brüderles Blick wandert auf meinen Busen. ,Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.'“ Die Konsequenz: Eine wochenlange Sexismus-Debatte in deutschen Talkshows und bei Twitter unter dem Stichwort #aufschrei, unter dem innerhalb kürzester Zeit 60.000 Einträge eingingen, in denen tausende Frauen von sexueller Belästigung und Herrenwitzen berichteten. Kurz zuvor war Brüderle zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl bestimmt worden – Kritiker warfen dem Stern daraufhin eine Kampagne vor. Brüderle hat sich zu den Vorwürfen nie geäußert. Quelle: dpa
22. Mai: Der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP, Mitte) joggt mit Startup-Unternehmern und Journalisten vor der Golden Gate Bridge in San Francisco in Kalifornien (USA). Rösler ist vom 19. bis zum 24. Mai mit mehr als 100 Managern von deutschen Startups und IT-Firmen in die USA gereist. Quelle: dpa
19. Juni: US-Präsident Barack Obama (links) redet vor dem Brandenburger Tor. Anlass ist der 50. Jahrestag der Kennedy-Rede „ich bin ein Berliner“. Für Kanzlerin Angela Merkel ein symbolträchtiger Termin, nur drei Monate vor der Bundestagswahl. Als Obama an diesem heißen Sommertag sein Jackett ablegt, sagt er, „unter Freunden“ könne man ja ein bisschen formloser sein. Im Oktober kommt durch den Whistleblower Edward Snowden heraus: Jahrelang wurde Merkels Handy vom US-Geheimdienst NSA abgehört. Tut man das – unter Freunden? Quelle: dpa
3. Juni: Hochwasser in Mitteleuropa. Für Passau (Bayern, im Bild) war es die schwerste Überschwemmung seit 500 Jahren. Extrem viel Regen hatte zahlreiche Flüsse über die Ufer steigen lassen. Bund und Länder legten einen acht-Milliarden-Euro-Hilfsfonds auf, um den Betroffenen zu helfen. Quelle: dpa
3. Juli: Das ägyptische Militär setzt den Präsidenten Mohammed Mursi ab. In der Folge demonstrieren Anhänger für seine Freilassung, es kommt zu Straßenschlachten. Viele liberale Kräfte aber begrüßen den Sturz, weil sie eine Islamisierung Ägyptens befürchtet hatten. Im Jahr 2014 sollen ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt werden. Quelle: rtr
31. Juli: Der Sommer 2013 ist für die Grünen kein glücklicher. Die Debatte über pädophile Gruppen in der Gründungszeit der Partei produziert immer neue Meldungen, die von der Bild befeuerte Debatte zum Veggie-Day lässt die Grünen als Verbotspartei dastehen. Und Spitzenkandidat Jürgen Trittin (2. von links) geht buchstäblich baden: Er fällt bei einem Kanuausflug in die Werra. Die Umfragen von 15 Prozent schmelzen dahin, am Ende steht ein Wahlergebnis von 8,4 Prozent. Deutlich weniger als erhofft für eine Partei, die in Baden-Württemberg einen Ministerpräsidenten stellt und in ihrer Umfrage-Hochphase vor der SPD stand. Quelle: dpa
2. September: Die „Merkel-Raute“ auf dem Wahlplakat. 70 mal 20 Meter am Berliner Hauptbahnhof zeigen Merkels Hände, zusammengesetzt aus Bildern von CDU-Unterstützern, jeweils in der typischen Merkel-Pose. Kritiker monieren die Inhaltsleere des Wahlkampfes und werfen den Politikern vor, Politik werde nur noch zum Symbol. Quelle: rtr
3. September: Diese Bundestagssitzung wird in Erinnerung bleiben, dank herrlich schiefer Töne. Andrea Nahles, damals Generalsekretärin der SPD, singt im Bundestag – und zwar die Titelmelodie von Pippi Langstrumpf, gemeint als Kritik am Eigenlob der Bundesregierung: „Ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt.“ Die Linke-Abgeordnete Sabine Zimmermann hakt schriftlich nach: Wie steht die Bundesregierung „zu dem seitens der Abgeordneten Andrea Nahles in ihrem melodischen Redebeitrag (...) geäußerten Vorwurf, es gebe Parallelen zwischen dem Agieren der Bundesregierung in den vergangenen vier Jahren und den Handlungsabsichten und Verhaltensweisen der Figur Pippi Langstrumpf aus dem bekannten Kinderbuch von Astrid Lindgren?“ Der Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden (CDU), schreibt zurück: „Pippilotta Viktualia Rollgardine Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf hat in der Bundesregierung viele Fans.“ Politikerhumor. Quelle: dpa Picture-Alliance
4. September: Joachim Gauck (Mitte) besucht als erster Bundespräsident die Mahn- und Gedenkstätte Oradour-sur-Glane in Frankreich. Im Juni 1944 ermordete eine SS-Einheit 642 Bewohner des Dorfes. Gauck und der französische Präsident Franҫois Hollande (links) umarmen den Überlebenden Robert Hébras. Quelle: dpa
13. September: Nur gut eine Woche vor der Bundestagswahl zeigt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dem SZ-Magazin den Mittelfinger. In der Rubrik „Sagen Sie jetzt nichts“ antwortet jede Woche ein Prominenter auf Fragen nur mit Gesten. In diesem Fall: „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“ Steinbrück rechtfertige sich später: „Ich hoffe, dass die Republik auch den Humor hat, diese Grimassen und diese Gebärdensprache bezogen auf die Fragen richtig zu verstehen.“ Die Republik hatte zumindest nicht den Humor, ihm ein starkes Wahlergebnis zu schenken – sondern das zweitschlechteste SPD-Ergebnis der Nachkriegsgeschichte mit 25,7 Prozent. Quelle: Alfred Steffen/SZ-Magazin via dpa
22. September: Die CDU feiert mit 41,5 Prozent ihr stärkstes Bundestagswahlergebnis seit 1990. Nur fünf Sitze fehlen zur absoluten Mehrheit. Auf der Wahlparty im Konrad-Adenauer-Haus singen die alte und neue Kanzlerin Merkel, Generalsekretär Hermann Gröhe (Mitte) und Fraktionschef Volker Kauder „Tage wie diese“ von den Toten Hosen. Merkels einziges Problem: Die FDP, ihr bisheriger Koalitionspartner, hat es nicht wieder in den Bundestag geschafft. Sie braucht einen neuen Bündnispartner. Die Grünen sagen der CDU nach zwei Sondierungsgesprächen ab. Union und SPD handeln eine Große Koalition aus. Quelle: REUTERS
Oktober 2013: Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden enthüllen, dass der der US-Geheimdienst NSA nicht nur Verbindungsdaten überwacht, sonder auch dezidiert die Gespräche der Kanzlerin mitgehört hatte. Merkel äußerte sich empört: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“ US-Präsident Barack Obama ist der New York Times zufolge bereit, das Ausspähen verbündeter Staats- und Regierungschefs einstellen zu lassen. Damit wolle er die sich vertiefende diplomatische Krise wegen der Berichte über die jahrelange Überwachung des Handys von Merkel abwenden. Doch politische Vertreter, die nach Washington reisen, kommen mit weniger Hoffnung zurück, weil die US-Regierung selbst nicht die komplette Übersicht über die Aktivitäten seiner Geheimdienst habe. In der Folge wird eine Einstellung der Verhandlung über das Transatlantische Handelsabkommen der EU mit den USA diskutiert oder die Forderung, diese mit mehr Datenschutz zu verknüpfen. Quelle: dpa
31. Oktober 2013: Dem Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele gelingt ein Coup. Er besuchte Edward Snowden in Moskau und brauchte eine Neuigkeit mit. Ihm zufolge sei Snowden nämlich bereit, in Deutschland über die Aktivitäten des US-Geheimdienste auszusagen, wenn ihm freies Geleit und ein anschließendes Aufenthaltsrecht zugesagt werden. Snowden könnte nach Ansicht Ströbeles in Deutschland viele offene Fragen klären. „Er kann Zusammenhänge schildern, die wir nicht wissen oder nicht wissen können“, sagte Ströbele in den „ARD-Tagesthemen“. Dass es dazu kommt, ist allerdings unwahrscheinlich, CDU-Politiker hatten sich mit Verweis auf das Auslieferungsabkommen mit den USA skeptisch geäußert. Quelle: dpa
27. November: Sigmar Gabriel (SPD, links), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) unterzeichnen den Koalitionsvertrag mit dem Titel „Deutschlands Zukunft gestalten“. SPD und CDU besetzen je sechs Ministerien, die CSU drei. Merkel beginnt das neunte Jahr ihrer Kanzlerschaft in einer Großen Koalition. Passend dazu hat die Gesellschaft für Deutsche Sprache die „GroKo“ zum Wort des Jahres gekürt. Quelle: dpa
15. Dezember: Willy Brandts Erbe. Sigmar Gabriel, seit vier Jahren Vorsitzender der SPD, hat die Wahlniederlage seiner Partei in einen Sieg umgewandelt. Die SPD steht mit der CDU auf Augenhöhe, bekommt genau so viele Ministerposten, trotz eines deutlich schlechteren Ergebnisses. Der Koalitionsvertrag trägt eine starke sozialdemokratische Handschrift, beim Mindestlohn, in der Rentenpolitik. Gabriel hat den Mitgliederentscheid durchgesetzt, für das „ja“ der Basis geworben und wurde belohnt: mit 76 Prozent Zustimmung für die Große Koalition. Nun ist er Superminister für Wirtschaft und Energie, Vizekanzler und Parteichef. Die nächste Kanzlerkandidatur wird ihm kaum zu nehmen sein. Auch Willy Brandt war zuerst Vizekanzler, in der ersten Großen Koalition in den 1960ern. Drei Jahre später war er Kanzler. Quelle: dpa Picture-Alliance
17. Dezember: Es ist die wohl die überraschendste Personalie der Großen Koalition: Ursula von der Leyen (CDU) wird Verteidigungsministerin. Sie ist damit die erste Frau auf diesem Posten. Als eine Art Neben-Außenministerin kann sie damit auf internationalem Parkett glänzen, hat aber auch immer wieder mit heiklen Rüstungsfragen zu tun. Die Euro-Hawk-Affäre hat ihren Vorgänger Thomas de Maizière beschädigt. In Berliner Kreisen wird gemunkelt, Merkel wolle von der Leyen mit dem Posten testen: Glänzt von der Leyen in dem Amt und bringt die Bundeswehrreform zu einem guten Ende, kann sie sich Hoffnungen machen, Merkel eines Tages zu beerben. Quelle: AP
18. Dezember: Ist das die politische Zukunft Deutschlands? In Hessen bilden Union und Grüne erstmals in einem Flächenland eine Koalition – 2017 auch eine Möglichkeit im Bund? Ministerpräsident bleibt Volker Bouffier (CDU, links), sein Vize wird Tarek Al-Wazir verkünden das Bündnis. Die CDU muss sich wegen des Absturzes der FDP nach neuen Partnern umsehen. Hessen ist für Koalitionsspiele seit jeher ein Versuchslabor: Die erste rot-grüne Koalition kam dort 1985 zustande, Joschka Fischer trug bei der Vereidigung seine berühmten Turnschuhe. Quelle: dpa Picture-Alliance
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