Tag der betrieblichen Mitbestimmung Betriebsräte sind Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft

Deutschland war mit dem Betriebsrätegesetz von 1920 ein Vorreiter für die Mitspracherechte von Arbeitern und Angestellten. Die Digitalisierung konfrontiert die Betriebsräte jetzt mit neuen Fragen.

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Das-Betriebsrätegesetz-wurde-1920-eingeführt Quelle: Fotolia

Fragt man nach den großen Erfolgsfaktoren der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich, so gehört ohne Zweifel die betriebliche Mitbestimmung dazu. Die Idee dahinter ist die Selbstorganisation des betrieblichen Alltages durch die Arbeitnehmerschaft. Mitbestimmung macht die Arbeit effizienter und ermöglicht den Beschäftigten die demokratische Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen. Deutschland war hierbei ein Vorreiter.

Grund genug den 4. Februar zum Tag der betrieblichen Mitbestimmung zu erheben. Denn am 4. Februar 1920 beginnt deren Geschichte, als die verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung das Betriebsrätegesetz beschloss.

„Zur Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber und zur Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke sind in allen Betrieben, die in der Regel mindestens zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen, Betriebsräte zu errichten.“ So lautete der erste Paragraph von insgesamt 106 Paragraphen, unterschrieben von Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichsarbeitsminister Alexander Schlicke, beide SPD.

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Diese Geburtsstunde der betrieblichen Mitbestimmung war allerdings von einem tragischen Ereignis überschattet: Am Tag der Beratung im Reichstag (13.Januar 1920) demonstrierten etwa 100.000 Berliner Arbeiter und Angestellte vor dem Reichstagsgebäude. Ihrer Ansicht nach sah der Gesetzesentwurf nur sehr wenige Mitsprachrechte für Betriebsräte vor. Am Ende der Demonstration lagen 41 Tote vor dem Reichstag und über 100 Verletzten wurden auf die Krankenhäuser verteilt oder versorgten sich selbst, soweit das möglich war.

Mit dem neuen Gesetz war Deutschland zwar zu einem Pionier der betrieblichen Mitbestimmung in der Welt geworden, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Betriebsratsarbeit sich damals nur auf soziale und beratende Funktionen beschränkte.

Die so auf den Weg gebrachte Mitbestimmung der Arbeitnehmer fand mit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933 ein jähes Ende. Von da an bildeten sogenannte Vertrauensmänner ohne selbstständige Funktionen mit dem „Führer des Betriebs“ den Vertrauensrat. Erst ab 1946 gab es wieder gemäß eines von den Besatzungsmächten erlassenen Gesetzes demokratisch gewählte Betriebsräte.

Wie umstritten eine vernünftige Arbeitnehmermitbestimmung weiterhin war, zeigte sich bei den Bemühungen um das Betriebsverfassungsgesetz von 1952. Scharfe Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb des Parlaments - zum Beispiel ein zweitägiger Warnstreik der IG Druck und Papier im Mai 1952 – prägten die Debatte. Der Entwurf entsprach zunächst nicht den gewerkschaftlichen Vorstellungen.

Aber dieses neue Betriebsverfassungsgesetz hatte Bestand. Nach den Novellierungen und Änderungen in den Jahren 1972, 1988 und 2001 wird es im Oktober 2017 65 Jahre alt.

Was macht dieses Gesetz so widerstandsfähig, so notwendig?

HR – darunter verstehen die meisten Menschen Personalauswahl und Gehaltsabrechnungen. Zeitgemäßes Human Resources Management ist aber vor allem eine Schlüsselfunktion für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens.

Im Mittelpunkt des Betriebsverfassungsgesetzes stehen die Mitwirkungs-und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen, personellen sowie wirtschaftlichen Angelegenheiten. Was so nüchtern klingt, bestimmt präzise alle Ordnungs-und Verhaltensregeln im Betrieb: Arbeitszeiten, Mehr- oder Kurzarbeit, technische Einrichtungen zur Kontrolle der Arbeitnehmer, Urlaubsregelungen und Urlaubspläne, Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, Festsetzen der Akkord- und Prämiensätze, Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und vieles mehr.

Die Mitbestimmungsrechte des gewählten Betriebsrats wirken zudem tief hinein in die unternehmerische Personalplanung. Er hat ein Mitsprachrecht bei der Förderung der Berufsbildung und ist an dem von ihm selbst eingerichteten Wirtschaftsausschuss beteiligt.

Digitalisierung stellt Betriebsräte vor neue Herausforderungen

Im Laufe der Jahrzehnte ist nun der Einfluss des Betriebsrats auf die Unternehmenspolitik ständig gewachsen. Der Gesetzgeber gestand dem Betriebsrat immer mehr Rechte zu. Man kann heute sagen, das in den vergangenen 65 Jahren eine Verquickung von betrieblicher Mitbestimmung und Unternehmenspolitik stattgefunden hat. Der Betriebsrat hat bekanntlich sogar die Aufsichtsräte erobert: Rund 10.500 Betriebsratsmitglieder sind hier heute mit tätig. Die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Aktiengesellschaften sind meistens auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und im Aufsichtsratspräsidium vertreten.

Das Arbeitsleben in den global tätigen Unternehmen hat sich nun allerdings dahingehend verändert, dass viele tarifpolitische Entscheidungen immer häufiger auf die betriebliche Ebene verlagert werden. Der Betriebsrat wurde so zum „tarifpolitischen Ausgestalter“. Es fand eine Professionalisierung der Betriebsratsarbeit statt. Vorteil gegenüber den unternehmerischen Führungskräften: Die regelmäßige Wiederwahl von Betriebsratsmitgliedern im Vergleich zu der hohen Fluktuationsrate der Führungskräfte stärkt den Betriebsrat zusätzlich.

Im Blick zurück auf die Geschichte der Mitbestimmung wird deutlich, dass der Betriebsrat zum wichtigen Produktionsfaktor geworden ist. Bei der Diskussion um das „Für“ und „Wider“ der betrieblichen Mitbestimmung kann es nicht mehr um das „Ob“, sondern nur noch um das „Wie“ in der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat gehen. Und zum anderen wurde Mitbestimmung für beide Seiten zur Chefsache. Mitbestimmung ist längst unternehmensweite Langfriststrategie.

Welche neuen Herausforderungen stellen sich der modernen Betriebsratsarbeit? Betriebsräte müssen sich zunehmend mit internationaler Unternehmenspolitik beschäftigen und dürfen dabei die permanenten Unternehmensreorganisationen und die damit verbundenen ständigen Umwälzungsprozesse in der Arbeitswelt nicht aus dem Blick verlieren.

Und diese Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen: die Vision „Industrie 4.0“ / „Wirtschaft 4.0“ wird zukünftig in hohem Maße die Betriebsratsarbeit beherrschen. Es geht dabei um die Digitalisierung in Kombination mit Automatisierung und Vernetzung. Hier werden Betriebsräte mit Fragen konfrontieren wie zum Beispiel: Wie können sie die Interessen der Menschen in einer „Smart -Factory“ optimal vertreten? Welche Chancen haben die Menschen durch Digitalisierung? Wie kann die Breitenqualifizierung in den Unternehmen realisiert werden? Wie kann der Gesundheitsschutz bei einer immer stärkeren Belastung der Arbeitnehmer aufrecht erhalten bleiben? Passen „Big-Data“ und Datenschutz zusammen? Wie können arbeitnehmerähnliche Personen wie Solo-Selbständige, Crowd-Worker und andere in das Betriebsverfassungsgesetz integriert werden?

Für jeden Beteiligten bedeutet das eine große Herausforderung: Ohne moderne unternehmensspezifische Mitbestimmungsmodelle wird diese nicht zu bewältigen sein.

Die betriebliche Mitbestimmung von morgen muss gewissermaßen eine Miteinanderbestimmung sein. Sie muss eine in gemeinsamer Verantwortung angelegte Zweckbeziehung sein. Wenn wirtschaftliche und soziale Ziele erfolgreich umgesetzt werden sollen, kommt es auf ein effizientes voneinander abhängendes aber herrschaftsfreies Zusammentun an. Dann hat die betriebliche Mitbestimmung als konstruktive Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat einen Mehrwert für beide Seiten.

Sichtbar wird dieser Mehrwert dann in einem geordneten Miteinander, klaren Regelungen, dauerhaften Konsenslösungen, einer Kontinuität in der Arbeitsordnung, einer nachvollziehbaren Planungssicherheit, einer wachsenden Identifikation und dauerhaftem Betriebsfrieden mit einem angemessenen sozialen Ausgleich.

Nur so können Konfliktkosten reduziert und Entscheidungen schneller gefasst werden. Das alles trägt zur Wettbewerbsfähigkeit von
Unternehmen bei und sichert damit auch Arbeitsplätze. Und darum geht es ja im Kern beim unternehmerischen Schaffen. Das war 1920 nicht anders als heute.

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