Urananreicherung Wie gefährlich ist das Atomprogramm des Iran?

Einfach nur Strom und Diagnostika oder Massenvernichtungswaffen? Was das Atomprogramm des Iran technisch hergibt und wie gefährlich es wirklich ist.

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Ein russischer Techniker arbeitet im Kernkraftwerk Bushehr, AP

In drei Jahren, wenn der Schwerwasserreaktor im iranischen Örtchen Arak fertig ist, sollen dort radioaktive Präparate für die medizinische Diagnostik hergestellt werden. Das beteuert jedenfalls Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Und in der unterirdischen Anlage zur Urananreicherung im Nuklearforschungszentrum in Natanz lässt er, wie er versichert, bloß Brennstoff für den Leichtwasserreaktor russischer Bauart produzieren, der in Bushehr im November 2007 ans Netz geht. Er soll die Stromversorgung des Landes verbessern. So die offizielle Version. Der Westen deutet das Programm des Iran bekanntlich ganz anders und fürchtet den Bau von Atombomben. Was sagen Experten: Wie gefährlich sind Ahmadinedschads Pläne wirklich? Nach Einschätzung von John Negroponte, von US-Präsident George W. Bush ernannter Director of National Intelligence und einstiger amerikanischer Irak-Botschafter, ist der Iran noch weit davon entfernt, zur Atommacht aufzusteigen. „Bis der Iran genügend Bombenuran produzieren kann, gehen mindestens fünf Jahre ins Land“, sagt auch Joachim Ohnemus, Geschäftsführer von Urenco Deutschland, dem Betreiber der derzeit einzigen deutschen Urananreicherungsanlage, die im westfälischen Gronau steht. Ingenieure, die in der Atomtechnik bewandert sind, aber allesamt nicht genannt werden möchten, können aus den Bauplänen der Iraner viel herauslesen. Einige wichtige Voraussetzungen für eine friedliche, aber auch militärische Nutzung der Kernenergie hat der Iran demnach bereits geschaffen. Die Anreicherungsanlage, die mit Uran aus eigenem Bergbau versorgt wird, ist in Betrieb, wenn auch noch in so kleinem Maßstab, dass sie in absehbarer Zeit keine nennenswerten Uranmengen für die Versorgung von Kernkraftwerken liefern kann. Erst recht reicht die Kapazität nicht zur ungleich aufwendigeren Produktion von hochangereichertem Uran, wie es für den Bombenbau benötigt wird. Urananreicherungsanlagen wie die in Gronau oder im iranischen Natanz südlich von Teheran bestehen aus Hunderten schlanken, meterhohen Zylindern, die in Hallen dicht nebeneinander stehen und mit mehr als 100.000 Umdrehungen pro Minute rotieren. Im Inneren dieser Zentrifugen befindet sich ein Gemisch aus einer gasförmigen Uranverbindung (Uranhexafluorid, das im Atomforschungszentrum Isfahan produziert wird). Es enthält spaltbares Uran-235 und nicht spaltbares Uran-238. Da letzteres ein wenig schwerer ist als das spaltbare Material, reichern sich die Uran-238-Atome wegen der Fliehkraft im Außenbereich der Zylinder an, sodass sie abgetrennt werden können. In zahlreichen Durchläufen entsteht so ein Gemisch, das drei bis vier Prozent Uran-235 enthält. Entsprechend mehr Durchgänge sind nötig, um eine Anreicherung von 70 Prozent und mehr zu erreichen, wie sie für den Bombenbau nötig ist. Im Natururan kommt Uran-235 nur zu mageren 0,7 Prozent vor. Der Iran, der die in Deutschland und Holland entwickelte Anreicherungstechnik wahrscheinlich von Pakistan bezogen hat, müsste noch Hunderte Zentrifugen aufstellen, um auch nur seinen eigenen Leichtwasserreaktor mit Brennstoff versorgen zu können. Dann allerdings ließe sich auch Bombenuran produzieren, das für Staaten, die nicht über jahrzehntelange Erfahrungen im Umgang mit Nuklearmaterial verfügen, besonders attraktiv ist: Es ist nicht giftig, gibt nur wenig radioaktive Strahlung ab und lässt sich nach der Anreicherung problemlos in eine feste Uranverbindung zurückverwandeln. Bis zu 86 Kilogramm hochangereichertes Uran sind für den Bau einer Atombombe nötig. Die Menge wird in mehrere Portionen aufgeteilt, die räumlich getrennt in der Bombe sitzen. Damit sie explodiert, werden die Teilmengen mit herkömmlichem Sprengstoff aufeinandergeschossen. Dadurch entsteht die sogenannte kritische Masse – jene kleinste Menge an Uran, in der spontan Atome gespalten werden, sodass eine verheerende Kettenreaktion beginnt. Natururan, das Ausgangsprodukt der Anreicherung, ist gleichzeitig Brennstoff für den Schwerwasserreaktor IR-40 in Arak südwestlich von Teheran, der 2009 fertig werden soll. Im Kern des IR-40 entsteht während des Betriebs Plutonium, das auch für den Bau von Bomben geeignet ist. Frühestens 2010/2011 könnte der Reaktor genügend Bombenplutonium produziert haben. Danach dauerte es noch ein bis zwei Jahre, schätzen Experten, ehe daraus eine Bombe gefertigt ist. Plutonium entsteht, wenn ein Uran-238-Atom ein Neutron einfängt. Diese Neutronen entstehen milliardenfach bei der Spaltung von Uran-235-Atomen in Schwerwasserreaktoren. Die Neutronen lassen sich auch zur Bestrahlung beispielsweise von Jod und anderen Rohstoffen für Medizinzwecke nutzen. In den Blutkreislauf gespritzt, sammelt sich schwach radioaktives Material in den Organen, die untersucht werden sollen. Ihre Strahlen werden von Kameras registriert, so entstehen Bilder des Inneren von Schilddrüse, Herzkranzgefäßen oder Gehirnzellen.

Das Plutonium, das während des Reaktorbetriebs entsteht, ist mit unverbrauchtem Uran und Reststoffen vermischt, die landläufig als Atommüll bezeichnet werden. Für den Bombenbau taugt dieses Plutonium nur, wenn die Brennelemente nach relativ kurzer Bestrahlungszeit aus dem Reaktor entfernt werden. Bleiben sie zu lange drin, entstehen weitere Plutoniumarten (Isotope), die die Bombenqualität beeinträchtigen würden, weil sie das Material gewissermaßen verwässern. Wenn die Iraner einzelne Brennelemente für den IR-40 aus dem Uran herstellen, das bei der Anreicherung übrig bleibt, können sie besonders hochwertiges Bombenplutonium produzieren. Ehe sich das Plutonium zum Bombenbau nutzen lässt, muss es aber isoliert werden. Das geschieht in einer Wiederaufarbeitungsanlage, die technisch äußerst anspruchsvoll ist. Die Technik beherrschen heute nur die Staaten, die Atomwaffen besitzen, sowie Deutschland. Der stark radioaktive Brennstoff wird dort in heißer Salpetersäure aufgelöst. Der Abfall – radioaktive Atome und Moleküle, die bei der Atomspaltung übrig bleiben – wird in der nuklearen Hexenküche mit einer weiteren Chemikalie von Uran und Plutonium getrennt: durch Tributylphosphat, das mit Kerosin versetzt ist. Um letztlich das Plutonium abzutrennen, wird diese höllische Lösung mit giftigem Hydrazin versetzt. Dadurch sammelt sich das Plutonium in der Salpetersäure, das Uran im Kerosin. Aufgrund der Schwerkraft trennen sich die Fraktionen: Die plutoniumhaltige Säure sinkt auf den Grund, das uranhaltige Kerosin schwimmt darüber wie Öl auf Wasser. Nach einigen weiteren chemischen Schritten liegt das Plutonium in metallischer Form vor und kann anschließend zum Bombenbau genutzt werden. Ob die Iraner all diese hochkomplexen Prozesse bewältigen können, ist unter Experten strittig. Den Schwerwasserreaktor bauen sie aus eigener Kraft, möglicherweise mit heimlicher Hilfe russischer Experten, die das Kernkraftwerk Bushehr fertigstellen. Es könnten auch chinesische Fachleute beteiligt sein. Die Schwerwasseranlage ist schon fertig. Sie produziert bis zur Inbetriebnahme des Reaktors genauso viel Schweres Wasser, wie für die Beladung des IR-40 nötig ist. Während normales Wasser aus Molekülen mit einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen besteht, enthält ein Molekül der schweren Variante neben dem Sauerstoff zwei Deuterium-Moleküle, die jeweils aus einem Proton und einem Neutron bestehen. Schweres Wasser sorgt im Reaktor dafür, dass die im Kern entstehenden Neutronen abgebremst werden, sodass sie den nächsten Urankern spalten. Wenn sie zu schnell sind, fliegen sie einfach wirkungslos vorbei. Diagnostische Präparate, wie sie schon im Atomforschungszentrum Teheran hergestellt werden, und Brennstoff zur Stromerzeugung auf der einen Seite, Bomben auf der anderen Seite – technisch ist für das Regime im Iran beides möglich. Sollten sie sich für die Bombe entscheiden und die Technik beherrschen, haben sie nur noch ein Problem: Die Sprengkörper zu ihren Zielen zu schaffen. Die Iraner werden es nach Einschätzung von Technikern kaum schaffen, die Bomben so klein und leicht zu bauen, dass sie mit den verfügbaren Raketen transportiert werden können. Sollten Verhandlungen mit dem Iran zur Kontrolle der atomaren Anlagen scheitern, haben US-Amerikaner und Israelis noch einige Jahre Zeit, die Systeme durch Luftangriffe auszuschalten. Erst wenn der Reaktor einmal in Betrieb ist, lässt er sich nicht mehr ohne Weiteres zerstören, weil bei einem Volltreffer große Mengen an radioaktivem Abfall frei würden. Selbst die unterirdische Urananreicherungsanlage, die nur ein sehr niedriges Strahlenpotenzial hat, ist für moderne amerikanische Bomben kein unerreichbares Ziel. Erfahrung in der Zerstörung eines Reaktors, der möglicherweise zur Entwicklung von Atomwaffen genutzt werden sollte, haben die Israelis bereits: Am 7. Juni 1981 zerstörten sie den Reaktor Osirak in der Nähe der irakischen Hauptstadt Bagdad, der bereits 1980 durch einen früheren Angriff beschädigt war. Diese Attacke flogen damals ausgerechnet Piloten des Iran – das Land war zu diesem Zeitpunkt mit den USA verbündet und führte Krieg gegen den Irak.

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