Ökonomen staunen, wenn sie Angela Merkels Kommentar zum aktuellen Gutachten der Wirtschaftsweisen hören: "Es ist nicht ganz trivial zu verstehen, wie ein Beschluss, der noch nicht in Kraft ist, jetzt schon die konjunkturelle Dämpfung hervorrufen kann", sagte sie mit Bezug auf den kommenden Mindestlohn in Deutschland.
Zu den Autoren
Rüdiger Bachmann ist Associate Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Notre Dame in den USA.
Benjamin Born ist Assistenzprofessor an der Universität Mannheim.
Als leidenschaftliche Hochschullehrer der Makroökonomik möchten wir verzweifeln. Da fast alle wirtschaftlichen Vorgänge über die Zeit stattfinden und Implikationen für die Zukunft haben, erklären wir den Studenten schon in den ersten Einführungsvorlesungen immer wieder, dass Erwartungen über die Zukunft das wirtschaftliche Geschehen schon heute beeinflussen.
Menschen, die befürchten müssen, morgen arbeitslos zu werden, kaufen heute keine Autos. Unternehmen, die für morgen höhere Steuern oder niedrigere Umsätze befürchten, investieren schon heute nicht mehr und stellen auch keine Arbeitskräfte mehr ein. Wenn Konsumenten fallende Preise erwarten, dann gehen sie heute nicht mehr auf Einkaufstour und warten stattdessen erst einmal ab, weshalb erwartete fallende Preise – die berüchtigten Deflationserwartungen – ja so gefährlich sind.
Bereits jetzt gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die geplante Mietpreisbremse die Mieten heute stark steigen lässt. Man hat sogar Anhaltspunkte dafür gefunden, dass angekündigte Erbschaftssteuererhöhungen in den USA zu früherem Sterben vor dem Stichtag der Erbschaftssteuererhöhung führen. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Egal, ob die irrationalen Instinkte von John Maynard Keynes oder – ganz ordnungspolitisch deutsch – das angebliche Erhardsche Diktum, dass Wirtschaft zu fünfzig Prozent Psychologie sei: Erwartungen sind nach allgemeiner Einschätzung nahezu aller Ökonomen von zentraler Bedeutung für das Verständnis moderner dynamischer Volkswirtschaften.
Es ist dabei wichtig zu betonen, dass ein sicher angekündigter Mindestlohn schon heute Auswirkungen auf das Konjunkturgeschehen haben dürfte, völlig unabhängig davon, auf welcher Seite man sich in der Debatte über die Richtung dieser Auswirkungen befindet.
Wir werden uns also aus der durchaus umstrittenen und leider ungelösten empirischen Debatte heraushalten, ob Mindestlöhne positive oder negative Beschäftigungswirkungen haben. Wir sehen uns auch außer Stande zu beurteilen, ob die aktuelle sogenannte konjunkturelle Eintrübung tatsächlich eher in Verbindung zum Mindestlohn steht oder – wie die Bundesregierung zu wissen behauptet – geopolitische Ursachen hat.