Hinzu kommt, mindestens genauso den klaren Blick von West nach Ost trübend, dass sich im Westen in Konsequenz des geistig-gesellschaftlichen Sieges der Westlinken in den meisten Ländern schizophrenerweise im untersten Unterbewusstsein eine Art Philo-Stalinismus in den gedanklichen Nischen etabliert hat, der sich widersinnigerweise aktuell in einer ganz merkwürdigen Verböserung Putins als dem neuen, noch schlimmeren Stalin entlädt. Stalinvergleiche gibt es in den aktuellen Einschätzungen jedenfalls zuhauf und mit solchen Vergleichen spielt man ja eigentlich nicht.
Im Laufe der letzten Jahre hat sich Wladimir Putin, kontinuierlich anschwellend, zu einem Lieblingsbösewicht im Westen empor gearbeitet. Doch abgesehen davon, dass Putin auch mit Hitlerbärtchen gelegentlich im Netz auftaucht, ist er eben kein Stalin und auch niemand, der Stalin nacheifert. Putin ist auch kein Zar oder jemand, der welchem Zaren auch immer nacheifert. Trotzdem werden in vielen Texten, die derzeit Konjunktur haben, die Beschreibungen der aktuellen Lage gespickt mit Assoziationsöffnungen Richtung Militäraufmarsch, Zarentum oder Stalinphantasien. Selbst der als kühl geltende Politikvormann der FAZ, Berthold Kohler, konnte in seinem Beitrag "Putins wahres Gesicht", der insofern wenig Mehrwert brachte, offenbar nicht auf entsprechende Anspielungen verzichten.
Allerdings: Bis jetzt ist verdammt wenig passiert und das ist gut so. Putin hat mit den Säbeln gerasselt und auf der, historisch gesehen, neuralgischen Halbinsel Krim seine Soldaten, die dort vertragsgemäß stationiert sind, aus den Kasernen herausgelassen und ein paar zusätzliche Soldaten in die russischen Stützpunkte entsandt.
In der Ukraine und in den westlichen Medien ist man alles andere als cool. Man zündelt und man heizt an. Prompt tauchen Gerüchte von militärischen Ultimaten aus Moskau auf und die Börsen in Russland, aber auch weit darüber hinaus, reagieren mit ziemlich armseligen, reflexhaften, ja beinahe panischen Aktionen. Alle machen sich angeblich Sorgen, benehmen sich aber oft so, dass sie die Voraussetzungen für die Sorgen erst richtig schaffen oder die entsprechenden Szenarien anheizen, die Sorgen berechtigt erscheinen lassen können. Doch Russland, auch das Russland unter Putin, wird keinen Krieg, weder in der Ukraine noch speziell auf der Krim gegen wen auch immer beginnen. Und es wird auch den vielbeschworenen Flächenbrand bis hin zu dem bereits assoziierten dritten Weltkrieg nicht geben.
Die Politik im Westernstyle, wie sie den USA auch unter Obama immer wieder unterläuft, hat etwas Lächerliches. Die schon geäußerte Idee von US-Außenminister John Kerry, Russland jetzt aus der G-8-Runde zu entlassen, ist eine recht dumme Idee. Auch das Sanktionsgerede aus der EU Richtung Putin ist wenig sinnvoll, ganz davon abgesehen, dass weder die USA noch die EU noch einzelne Bündnisse des Westens, wie die Nato, ein tolles Sanktionsarsenal zur Verfügung haben. Russland ist geostrategisch ein echter Global-Player und wirtschaftlich ein kränkelnder Riese mit punktuellem High-Tech-Potenzial, siehe Raumfahrt, und einer schwergewichtigen Rohstoff-Industrie. Und viele Russen aus der Nomen Klatura haben entscheidende, höchst persönliche ökonomische Interessen im Westen und vielleicht auch dort, wo manch westlicher Kapitalist gerne aktiv ist, nämlich in den berühmten Steueroasen dieser Welt.