Wirtschaft im Weitwinkel

Eine Trennung für größeres Vertrauen in Europa

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Schnelle Stärkung des Vertrauens in Europa

Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass die nationalen aber auch die europäischen Spitzenpolitiker das angeschlagene Vertrauen in die europäische Idee wieder herstellen. Hierfür muss man nun wieder zu einer klaren Vision finden, was Europa, die EU und auch der Euro-Raum sein sollen und perspektivisch sein können. Dass die Idee der europäischen Union eine erfolgreiche Idee ist, steht außer Frage.

Jedoch hat man in den letzten Jahren zunehmend vergessen, die Menschen mitzunehmen und die Ideen und Visionen zu erklären. Das muss jetzt nachgeholt werden. Dazu gehört auch, dass man in den anstehenden Verhandlungen mit UK eine klare Verhandlungsstrategie zeigt, die auch von der Idee Europas geprägt wird. Großbritannien braucht die Verträge mit der EU dringender als die EU, dies sollte man hierbei nicht vergessen.

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Wenn die europäischen Spitzenpolitiker die Idee von Europa wieder angemessen und glaubhaft vertreten, sollte das Vertrauen in Europa auch schnell wieder gestärkt werden. Dies ist für Investoren in die wirtschaftliche Infrastruktur, wie auch für die Kapitalinvestoren wichtig. Denn Europa war und ist auch weiterhin ein attraktiver Platz für Investitionen. Dieses wertvolle Kapital sollte man nun nicht verspielen.

Wenn sich diese politische Entwicklung einstellt - und hierfür gibt es einige positive Anzeichen - dann hätte das Referendum in Großbritannien und die britische Bevölkerung die EU einen großen Schritt nach vorne gebracht. Der Brexit wäre dann das Beste, was der EU in den letzten Jahren passiert ist. Zudem könnte sich dann auch die britische Bevölkerung nochmal fragen, ob sie tatsächlich bei ihrem jetzigen Entschluss bleiben will.

"Wir müssen Europa entgiften"
Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien muss Europa aus Sicht von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zur Überwindung der Vertrauenskrise sozialer und gerechter werden. Es gebe eine „massive Spaltung zwischen Gewinnern und Verlierern“ in der Europäischen Union, sagte der Vizekanzler am Samstag in Bonn zum Auftakt einer Reihe von SPD-Regionalkonferenzen. Ob sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland in Zukunft weiter positiv entwickle, hänge entscheidend davon ab, ob Europa „stabil und kräftig“ bleibe. Gabriel betonte, Deutschland sei „Nettogewinner“ und nicht „Lastesel der Europäischen Union“, wie oft behauptet werde. Der Blick der Welt auf Europa werde sich ohne Großbritannien in der EU verändern. Rund 25 Millionen Menschen suchten in Europa Arbeit, darunter viele junge Leute - das sei „verheerend“, betonte Gabriel. „Da geht die Idee Europas verloren“ - und das erzeuge Wut und Verachtung. Der Zorn richte sich gegen das „Sparregime aus Brüssel“ und oft ebenfalls gegen Berlin. Klar sei daher, „dass wir Europa entgiften müssen“. Die EU sei von Anfang an auch als „Wohlstandsprojekt“ gedacht gewesen. Das gehöre dringend wieder stärker in den Fokus. Die EU-Schuldenländer brauchten mehr Freiraum für Investitionen in Wachstum, Arbeit und Bildung, forderte Gabriel. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den britischen Premierminister scharf kritisiert. Auf die Frage, was er davon halte, dass David Cameron erst im Oktober zurücktreten will, warf Schulz dem Premier vor, er nehme aus parteitaktischen Überlegungen erneut einen ganzen Kontinent „in Geiselhaft“. dpa dokumentiert den Wortlaut: „Offen gestanden: Ich finde das skandalös. Zum wiederholten Male wird ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen für die parteiinternen Überlegungen der konservativen Partei Großbritanniens. Er hat vor drei Jahren, als er in seiner Partei unter Druck stand, den Radikalen am rechten Rand der Tories gesagt: Ich gebe Euch ein Referendum, dafür wählt Ihr mich wieder. Das hat geklappt. Da wurde ein ganzer Kontinent verhaftet für seine parteiinternen taktischen Unternehmungen. Jetzt ist das Referendum gescheitert. Jetzt sagt der gleiche Premierminister, ja, Ihr müsst aber warten, bis wir (...) mit Euch verhandeln, bis der Parteitag der Konservativen im Oktober getagt hat. Dann trete ich zurück, dann gibt's einen neuen Parteichef, der wird dann Premierminister. Also ehrlich gesagt: Man kann einen Parteitag auch morgen früh einberufen, wenn man das will. Ich finde das schon ein starkes Stück, das der Herr Cameron mit uns spielt.“ Quelle: dpa
Obama, Brexit Quelle: AP
Putin, Brexit Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: REUTERS
Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa erklärt, dass der Ausgang des Referendums „uns alle nur traurig stimmen kann“. In einer vom Präsidialamt am Freitag in Lissabon veröffentlichten Erklärung betonte das 67 Jahre alte Staatsoberhaupt aber auch: „Das Europäische Projekt bleibt gültig.“ Allerdings sei es „offensichtlich“, so Rebelo de Sousa, dass „die Ideale (der EU) neu überdacht und verstärkt“ werden müssten. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Quelle: dpa

Falls die europäische Politik sich jedoch nicht ändert und den teilweise selbstverliebten Kurs, der sich nur wenig um die Menschen kümmert, beibehält, dürften wir mit einer andauernden Fragmentierung konfrontiert sein, die auch in einem Zerfall der EU enden kann. Die politischen, wirtschaftlichen und auch sozialen Folgen wären dann sehr negativ, aber in ihrer Ausprägung sehr unterschiedlich in den EU-Ländern.

Die jetzige Situation könnte von manchen Ländern im Euroraum genutzt werden - quasi unter dem Deckmantel einer größeren Integration in Europa - die lange geforderte Vergemeinschaftung von Risiken voranzutreiben. Dies brächte aber für den Euro-Raum ebenfalls erhebliche Gefahren, denn diesen Kurs würden die Bevölkerungen in den Ländern, die das Risiko der anderen Länder übernehmen sollen, kaum akzeptieren. Dies wäre dann wieder die Stunde der Populisten und Manipulatoren. Die Brexit-Abstimmung hat gezeigt, dass eine zunehmende Politikverdrossenheit es den politischen Manipulatoren sehr leicht macht, ihre Ideen zu verkaufen.

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