Gazastreifen Israel trifft Hamas hart

Die israelischen Streitkräfte greifen weiter Ziele im Gazastreifen an. Bomben zerstörten Schmugglertunnel an der Grenze zu Ägypten und Regierungsgebäude in Gaza. Militante Palästinenser kontern und schießen weiter Raketen auf israelische Städte. Nun will sich die EU stärker einschalten.

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Zerstörter SChmuggler-Tunnel an der ägyptischen Grenze des Gazastreifens. Quelle: Reuters

HB BRÜSSEL/ JERUSALEM. Den fünften Tag in Folge haben Israel und die militanten Palästinensergruppen ihre gegenseitigen Angriffe fortgesetzt. In Gaza bombardierten die Israelis auch das Büro des ehemaligen Ministerpräsidenten Ismail Hanija von der radikal-islamischen Hamas. Bei den schweren Luftangriffen sind nach Angaben der Gesundheitsbehörde in Gaza bislang mindestens 390 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, ums Leben gekommen. Mehr als 1 800 weitere Palästinenser seien verletzt worden.

Im Gegenzug feuerten militante Palästinenser am Mittwoch mehr als 20 Raketen auf Israel ab. Insgesamt vier Raketen schlugen in der südisraelischen Stadt Beerschewa ein. Die rund 40 Kilometer vom Gazastreifen entfernte Stadt ist das am weitesten entfernte Ziel, dass die Hamas bislang mit ihren Grad-Raketen angegriffen hat. In Beerschewa leben nach Angaben von Polizeisprecher Micky Rosenfeld rund 190 000 Menschen.

Zuvor waren erstmals auch Raketen in Aschdod eingeschlagen. Die Hafenstadt mit ihren mehr als 200 000 Einwohnern liegt rund 30 Kilometer nördlich vom Gazastreifen. Nach Angaben von Rosenfeld sind inzwischen eine Million Israelis durch den Raketenbeschuss militanter Palästinenser gefährdet.

Seit Beginn der israelischen Luftangriffe am vergangenen Samstag sind nach Angaben von Rosenfeld mehr als 250 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden. Als Folge starben vier Israelis. Dutzende weitere wurden verletzt. Im Gegenzug hat die israelische Luftwaffe seit Samstag nach Angaben einer Armeesprecherin 450 Ziele im Gazastreifen angegriffen, 30 davon am Mittwoch.

Israel will mit der Militäroffensive den Raketenbeschuss durch militante Palästinenser soweit wie möglich minimieren. Die Palästinensergruppen beschießen Israels, um die Aufhebung der Blockade und eine Öffnung aller Grenzübergänge zu erzwingen. Mit ihren Raketenangriffen auf weiter entfernte israelische Städte will die Hamas demonstrieren, dass sie eine große Zahl von Israelis gefährden kann. Darüber hinaus sollen die jüngsten Angriffe belegen, dass die seit fünf Tage anhaltenden israelischen Luftangriffe die Hamas weder geschwächt noch ihren Widerstand gebrochen haben.

Frankreich hatte am Dienstag Abend eine 48-stündige Waffenruhe vorgeschlagen. Der amtierende Ministerpräsident Ehud Olmert lehnte den Vorschlag allerdings sofort ab. Ein hochrangiger staatlicher Vertreter der israelischen Regierung sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Der vom französischen Außenminister Bernard Kouchner gemachte Vorschlag eines einseitigen befristeten Waffenstillstands wird nicht als nützlich betrachtet, weil klar ist, dass die Hamas den Raketenbeschuss auf Israel nicht einstellen wird". Auch die Europäische Union hatte zu einer sofortigen Waffenruhe und zu humanitärer Hilfe aufgerufen.

Nun wollen offenbar Spitzenvertreter der EU in der kommenden Woche nach Israel reisen. Das sei bei dem Krisentreffen der EU-Außenminister am Dienstagabend in Paris beschlossen worden, teilte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel mit. Einen konkreten Termin gebe es bisher nicht.

Für die Gemeinschaft wollen EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, EU-Chefdiplomat Javier Solana und der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg die Gespräche führen. Tschechien wird vom 1. Januar an die EU-Amtsgeschäfte führen. Die Reise soll, wie es heißt, vor dem 8. Januar beendet werden. Dann soll in Prag ein schon seit längerem geplantes Außenministertreffen der EU stattfinden.

Außerdem könnte auch der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy nach Israel reisen. Das prüfe die französische Regierung bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise derzeit, hieß es. Eine Reise nach Israel sei möglich, wenn Sarkozy kommende Woche zu einem Besuch im Libanon sei, sagte Außenminister Bernard Kouchner im Radiosender RTL. "Wir werden sehen, ob es möglich ist, nach Israel zu reisen." Derzeit sei dies aber noch nicht entschieden.

Kouchner forderte Israel auf, auf eine Bodenoffensive im Gazastreifen zu verzichten. Diese würde "viele Tote" zur Folge haben, sagte er. Kouchner verlangte erneut eine sofortige Waffenruhe, um der Bevölkerung in dem Gebiet humanitäre Hilfe leisten zu können.

Sarkozy, dessen EU-Ratsvorsitz mit dem Jahreswechsel endet, reist am 6. Januar in den Süden des Libanon, um dort vor französischen Soldaten der UN-Schutztruppe Unifil eine Neujahrsansprache zu halten. Der israelische Rundfunk hatte am Dienstag berichtet, Sarkozy werde am Montag nach Israel reisen, um Regierungschef Ehud Olmert zu treffen, und wolle auch Gespräche mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Westjordanland führen. Das französische Präsidialamt hatte darauf erklärt, nichts sei entscheiden. Sarkozy wolle erst sein Treffen mit der israelischen Außenministerin Zipi Livni am Donnerstag in Paris abwarten.

Neben der EU sollte sich auch das Nahost- Quartett stärker an der Suche nach einer Lösung für den Konflikt engagieren, forderte unterdessen der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Die Europäische Union habe alleine nicht die Kraft und die Glaubwürdigkeit, den Konflikt zu lösen, sagte Brok im rbb-Inforadio. Dies sei nur in der Zusammensetzung des Quartetts aus EU, USA, UN und Russland möglich. Dabei müsse das Nahost-Quartett gemeinsam mit Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien vorgehen.

Brok zeigte sich besorgt, dass sich der aktuelle Konflikt zu einem Flächenbrand im Nahen Osten ausweiten könnte. Er habe den Eindruck, dass die Hamas "systematisch, mit allen Mitteln" die Radikalisierung auf der arabischen Seite nutze. Deshalb werde eine Lösung von Jahr zu Jahr schwieriger.

Die Linke hat derweil die Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Nahostkonflikt als "beschämend und kontraproduktiv" kritisiert. Der Außenexperte der Linksfraktion im Bundestag, Wolfgang Gehrcke, forderte Merkel sowie Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Mittwoch mit Blick auf die israelischen Luftangriffe zu "offener Kritik unter Freunden" auf. Das sinnlose Blutvergießen dort müsse sofort gestoppt werden. Gehrcke schlug auch eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zur Lage in Gaza vor.

Merkel macht hingegen in ihrer vorab veröffentlichten Neujahrsansprache erneut die Hamas für die gegenwärtige Gewalt im Nahen Osten verantwortlich. "Der Terror der Hamas kann nicht akzeptiert werden", heißt es in ihrer Ansprache.

Auch wenn die israelische Regierung den aktuellen EU-Vorschlag abgelehnt hat, sucht sie derzeit nach einer strategischen Antwort auf die aktuelle Krise. Das Sicherheitskabinett berate über internationale Vorschläge, die zu einer dauerhaften Waffenruhe im Konflikt mit der Hamas führen sollten, sagte Außenamtssprecher Jigal Palmor. Es gebe "verschiedene Vorschläge", die aus unterschiedlichen Ländern eingegangen seien; darüber hinaus liefen "Gespräche" mit dem Ziel einer "dauerhaften Waffenruhe unter bestimmten Bedingungen". Sie müssten zu einem "vollständigen" Ende der palästinensischen Raketenangriffe auf Israel führen.

Im israelischen Sicherheitskabinett sind zwölf Minister, der Generalstabschef und mehrere andere Sicherheitsbeauftragte vertreten. Die israelische Regierung achte die "Stimmen ihrer Freunde" und suche "den Dialog mit ihnen", sagte Regierungssprecher Mark Regev. Zugleich bestehe Einigkeit darüber, dass die Bevölkerung im Süden des Landes nicht dauerhaft unter "der Raketenbedrohung der Hamas" leben könne.

Bei den jüngsten israelischen Angriffen sind unterdessen nach Angaben aus Sicherheitskreisen Teile des ägyptischen Grenzzauns zerstört worden, was rund 500 Palästinenser zur Flucht ins Nachbarland nutzten. Ein ägyptischer Polizeisprecher sagte in der Nacht zum Mittwoch, 125 von ihnen seien bereits festgenommen und zurück in den Gazastreifen geschickt worden. Einige Palästinenser wurden nach Angaben von Augenzeugen von ägyptischen Familien vor der Polizei versteckt.

Die Bombardierung, die wohl vornehmlich den Schmugglertunneln zwischen dem Gazastreifen und der ägyptischen Sinai-Halbinsel galt, hatte am Dienstag Abend bis zu 20 Kilometer von der Grenze entfernt die Erde erzittern lassen. Um die Grenze trotz der Zerstörungen geschlossen zu halten, wurden laut Augenzeugen rund 1 000 ägyptische Polizisten der Zentralen Sicherheitsbehörde dorthin geschickt.

Präsident Husni Mubarak hatte am Dienstag bekräftigt, der Grenzübergang Rafah sei trotz der massiven israelischen Angriffe nur für Hilfsgüter und Verletzte geöffnet. Ein Sprecher des Roten Halbmondes sagte am Mittwoch Morgen, seit Beginn der Luftangriffe am vergangenen Samstag seien 56 verletzte Palästinenser nach Ägypten gebracht worden. Mehrere arabische Staaten schickten via Rafah mit Lastwagen Hilfsgüter in den Gazastreifen. Libyen und Saudi-Arabien schickten Flugzeuge als "fliegende Ambulanzen".

Internationale Reaktionen

In den USA haben mehr als 1 000 Menschen gegen die israelischen Luftangriffe im Gazastreifen demonstriert, denen seit Samstag mehr als 370 Palästinenser zum Opfer gefallen sind. In Dearborn, einem Vorort von Detroit, gingen am Dienstagabend fast 1 000 Menschen auf die Straße. In New York und Los Angeles versammelten sich Hunderte Demonstranten vor den israelischen Konsulaten. Einige der vor allem arabischstämmigen Teilnehmer der Protestaktion in Dearborn trugen einen selbst gebauten Sarg mit den Bildern getöteter und verletzter Kinder. Die Demonstration wurde vom Kongress arabisch-amerikanischer Organisationen organisiert.

Ägypten hat aus Solidarität mit den Palästinensern während der israelischen Militäroffensive seine offiziellen Neujahrsfeierlichkeiten abgesagt. Alle staatlich geförderten Veranstaltungen, darunter ein beliebtes Konzert in der Kairoer Oper, fallen aus, wie das Kultusministerium mitteilte. Auch das Informationsministerium sagte seine Hauptveranstaltung, ein Konzert, ab. Die seit fünf Tagen andauernden israelischen Angriffe haben in weiten Teilen der arabischen Welt für Empörung gesorgt.

Auch andere arabische Länder und viele arabische Konzertveranstalter sagten ihre Feierlichkeiten zum Jahreswechsel ab. Der Herrscher von Dubai, Scheich Mohammed bin Raschid al-Maktum, sprach am Mittwoch sogar ein offizielles Verbot für Silvesterfeiern aus. Die Zeitung "Gulf News" berichtete in ihrer Online-Ausgabe, der Herrscher habe angeordnet, in den Hotels der Tourismus-Metropole dürfe nicht gefeiert werden, während das israelische Militär die Palästinenser in Gaza töte.

Auch eine für die Silvesternacht geplante Konzertreihe mit dem Titel "Nächte von Dubai", an der einige der bekanntesten arabischen Sängerinnen und Sänger teilnehmen wollten, fällt aus. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo wurde ein großes Konzert mit dem nubischen Popstar Mohammed Munir abgesagt.

Das saudi-arabische Innenministerium trat derweil Berichten entgegen, wonach die Polizei in der vorwiegend von Schiiten bewohnten Stadt Katif im Osten des Königreichs eine Protestkundgebung gewaltsam aufgelöst haben soll. Das Ministerium hatte am Dienstag einen Antrag liberaler Intellektueller abgelehnt, die eine Solidaritäts-Demonstration für die Palästinenser im Gazastreifen hatten organisieren wollen. Demonstrationen sind in Saudi-Arabien verboten.

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat die Arabische Liga vor ihrem Krisentreffen zu einem schnellen Eingreifen in der Gaza-Krise aufgefordert. "Wenn die Arabische Liga jetzt nicht handeln will, wann will sie etwas unternehmen?" erklärte Ahmadinedschad am Mittwoch auf einer Kundgebung in der iranischen Stadt Sahedan. Die Palästinenser im Gazastreifen seien "unterdrückte Araber". Die Arabische Liga sollte auf ihrem Krisentreffen in Kairo daher schnell konkrete Schritte zur Unterstützung der Bevölkerung im Gazastreifen beschließen.

Wer dagegen nur Reden und Erklärungen von sich gebe, der erlaube es Israel, seine Angriffe fortzusetzen, sagte der iranische Präsident. Vor diesem Hintergrund kritisierte Ahmadinedschad die Vereinten Nationen und warf dem UN-Sicherheitsrat Parteilichkeit zugunsten Israels vor. Der Iran gilt als finanzieller Unterstützer der Hamas.

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