Denkfabrik Die Mär vom Kaputtsparen

Warum ein strikter Sparkurs der Konjunktur mittelfristig nicht schadet. Und eine restriktivere Finanzpolitik das Wachstum sogar fördern kann - vorausgesetzt, gleichzeitig werden zwei grundlegende Bedingungen erfüllt.

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Schulden der öffentlichen Haushalte in Deutschland

Die Wirtschaftskrise hat die Staatsschulden und Defizite fast aller OECD-Länder dramatisch in die Höhe getrieben. Diese Verschuldung ist überwiegend strukturell; sie spiegelt unter anderem die Langfristfolgen der staatlichen Konjunkturprogramme und die krisenbedingte Verminderung des volkswirtschaftlichen Produktionspotenzials wider. Daher reicht der aktuelle konjunkturelle Aufschwung alleine nicht aus, um die hohen Schulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) abzubauen – zumal weitere Belastungen der Staatsfinanzen absehbar sind. Die in vielen Ländern noch außergewöhnlich niedrigen Zinsen dürften bald ansteigen, und auch die zunehmende Alterung wird die Haushalte in den meisten OECD-Ländern belasten.

Notwendig ist eine aktive und nachhaltige Konsolidierungspolitik, um die Staatsfinanzen zu sanieren. Eine solche Politik hat viele Gegner; Kritiker warnen, der Staat dürfe den Aufschwung nicht „kaputtsparen“. Doch müssen wir wirklich davon ausgehen, dass eine restriktive Finanzpolitik auf Jahre hinaus das Wachstum vermindert? Isoliert betrachtet dämpfen geringere Staatsausgaben oder höhere Steuern die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, was in der Regel mit Wachstumseinbußen zu Beginn einer Konsolidierungsphase verbunden ist. Dem stehen aber andere, positive Effekte gegenüber, die längerfristig wirken. Hohe Schulden erhöhen ceteris paribus das Zinsniveau, wobei einiges dafür spricht, dass der Zusammenhang nicht linear ist, der Auftrieb der Zinsen bei besonders hohen Schulden also besonders groß ist. Umgekehrt können sanierte öffentliche Haushalte die Zinsen und etwaige Risikoprämien auf die Staatsschuld senken und damit die Kapitalkosten für Investitionen vermindern – was wiederum das Produktionspotenzial nachhaltig fördert.

Empirische Studien deuten darauf hin, dass eine glaubwürdige Konsolidierungspolitik auch noch über andere Transmissionsmechanismen die ökonomische Aktivität des privaten Sektors anregt. Insgesamt können schon nach wenigen Jahren die Wachstumsgewinne eines auf dauerhafte Verbesserung der Staatsfinanzen abzielenden Sparkurses dessen anfänglich negativen Wachstumsbeitrag deutlich überkompensieren. Dieser Effekt fällt umso stärker aus, je desaströser der finanzielle Ausgangszustand war.

Nicht zuletzt hängt der Einfluss der Konsolidierung auf Wachstum und Arbeitsplätze davon ab, wie die Politik konkret vorgeht. Eine Finanzpolitik, die die Effizienz im öffentlichen Sektor verbessert, Ausgaben und Einnahmen neu justiert, wenn sie den Wirtschaftsablauf verzerren, und das Steuer-Transfersystem stärker darauf ausrichtet, die volkswirtschaftlich verfügbaren Ressourcen zu aktivieren, stabilisiert den Haushalt und fördert das Wachstumspotenzial.

Die möglichen Effizienzgewinne bei staatlichen Ausgabenprogrammen sind beträchtlich. OECD-Schätzungen für das Gesundheitswesen legen nahe, dass die Anwendung internationaler „Best Practice“-Verfahren die Kosten im Schnitt um zwei Prozent des BIPs senken können, ohne dass sich die Gesundheitsversorgung verschlechtert. Schätzungen für das Schulwesen zeigen ebenfalls markante Einsparmöglichkeiten ohne Qualitätseinbußen.

Auch gibt es in der Regel einen beträchtlichen Spielraum, die Haushaltskonsolidierung mit dem Abbau allokationsverzerrender Interventionen zu verbinden. Subventionen und Steuervergünstigungen können sinnvoll sein. Oft haben sie sich jedoch überlebt, sind wenig effektiv oder sogar ungeeignet, um die angestrebten ökonomischen und sozialpolitischen Ziele zu erreichen. Mehr noch: Sie stören häufig den Wirtschaftskreislauf und hemmen das Wachstum. Das gesamte Subventionsvolumen ist in der Regel viel größer als aus den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen hervorgeht, die subventionsrelevante Transfers nur teilweise und Steuervergünstigungen gar nicht als Subventionen darstellen.

Jobs bringen Steuern

Hinzu kommt: Die steigenden altersabhängigen Sozialausgaben und die zunehmende Lebenserwartung erfordern Reformen der sozialen Sicherungssysteme. Wachstumsfreundlich sind dabei all jene Ansätze, die auf eine effektive Verlängerung der Lebensarbeitszeit abzielen, denn eine höhere Erwerbsbeteiligung älterer Menschen erhöht das Produktionspotenzial. Hinzu kommen müssen Reformen auf den Arbeits- und Gütermärkten wie etwa die Senkung von Marktzutrittsbarrieren für Unternehmen. Die fiskalischen Folgen sind signifikant: Steigt die Beschäftigung um nur einen Prozentpunkt, entlastet dies die Staatshaushalte im OECD-Raum jährlich zwischen 0,3 und 0,8 Prozent des BIPs, da die Steuereinnahmen steigen und die Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung fallen.

Alles in allem mangelt es also nicht an Sparstrategien, die Wachstum und Beschäftigung nicht behindern oder gar fördern – wenn dies auch nicht gleich im ersten Jahr sichtbar sein mag.

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