Gründer Die meisten Start-Up-Produkte sind zum Scheitern verurteilt

Zu viele Gründer im deutschsprachigen Raum setzen auf Me-Too-Produkte, die heute mehr denn je von vorne herein zum Scheitern verurteilt sind. Das muss sich ändern.

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Erfolgreiche deutsche Gründer
Günther Fielmann
Willi Verhuven
Götz Werner
Theo und Karl Albrecht
Frank Asbeck
Adidas

In einem E-Mail-Ordner mit der Aufschrift “zu erledigen” liegen eine Reihe von Startup-Pitches, deren nähere redaktionelle Bearbeitung ich seit längerem vor mir herschiebe. Alle haben eines gemeinsam: Es sind junge Webdienste aus dem deutschsprachigen Raum, die nicht schlecht aussehen, deren Konzepte durchaus modern anmuten – und deren Ideen wir in den letzten Monaten und Jahren schon etwa tausendfach in abgewandelter Form zu Gesicht bekamen. Noch nie schienen die Chancen für derartige Projekte, nachhaltige Erfolge zu werden, schlechter als heute.

Egal ob Bookmarking- und Clipping-Tools im Pinterest-Stil, Gutschein- und Rabattportale, mobile Social-Apps oder Marktplätze für irgendwas: Alles existiert im Jahr 2012 in zigfacher Ausführung bereits, und jedes Mal, wenn sich wieder ein Gründer-Team an einem Me-Too-Produkt versucht, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass daraus ein Unterfangen wird, auf das in einem Jahr mehr als fünf Menschen nicht mehr verzichten möchten. 99,9 Prozent der Startups, die wir heute in den besonders heißt umkämpften Segmenten aus dem Boden sprießen sehen, dürften in zwei Jahren wieder verschwunden sein. Mindestens.

Ende 2012 ist der Markt gesättigter denn je, was Consumer-Anwendungen angeht. In den USA, und erst recht im strukturell deutlich schwächeren deutschsprachigen Internetraum. Das bedeutet nicht, dass Newcomer gar keine Chance mehr haben, sich ihren Teil vom Kuchen zu sichern. Doch dazu sollten sie sich Themen verschreiben, die sich stark von den bisherigen, den Großteil des digitalen Zeitbudgets vereinnahmenden Giganten abheben – von Facebook bis Twitter, von Instagram bis WhatsApp, von YouTube bis Google+, von Reddit bis Tumblr, von Pinterest bis Groupon – anstatt sie in irgendeiner Form nachzuahmen oder ihre Konzepte geringfügig abzuändern und dann anzunehmen, dafür gäbe es eine echte Nachfrage. Diese existiert fast nie.

Airtime und Oink

In den USA gab es in diesem Jahr eine Reihe Aufmerksamkeit erregender Flops – von Color (gefloppt bereits 2011, aber endgültig zerbrochen 2012) über Airtime bis zu Oink. Alles Dienste, die mit viel Kapital von prominenten Gründern lanciert wurden, aber niemals auch nur in die Nähe ihrer selbst formulierten hohen Ansprüche kamen. Weder von Findery, dem Location-Startup von Flickr-Gründerin Caterina Fake, noch den neuen Projekten der Twitter-Gründer Evan Williams and Biz Stone’s, Lift und Branch, hört man Erfolgsmeldungen.

Immerhin, ihr drittes Projekt unter dem Dach des Entwicklerstudios “Obvious”, Medium, scheint sich ganz gut zu entwickeln und findet vermehrt positive Erwähnungen in Netzmedien. Aber sonst war 2012 auch für viele erfolgsverwöhnte US-Gründer und Startups ernüchternd. Es sagt viel aus, dass Talentakquisitionen und der berühmt-berüchtigte, glorifizierte "Pivot" einen nicht unwesentlichen Teil der Meldungen ausmachten, die man bei den einschlägigen US-Branchenmedien in den vergangenen zwölf Monaten bestaunen konnte. Mindestens 1000 US-Startups werden innerhalb eines Jahres aufgrund fehlender Anschlussfinanzierungen in Folge mangelnden Interesses verschwinden, glaubt PandoDaily-Chefin Sarah Lacy.

Der Luxus meiner Tätigkeit


Dass selbst die hervorragend vernetzten, problemlos an Kapital gelangenden Entrepreneure aus dem Silicon Valley Schwierigkeiten dabei haben, ihre an Endanwender gerichteten Services zum großen Wurf zu machen, heißt für Unternehmer in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht viel mehr außer: Es ist extrem schwierig. Ich glaube, mit einfallslosen Me-Too-Produkten – was klassische Copycats, austauschbare 0815-Konzepte sowie Ideen mit Nähen zu existierenden, bereits etablierten Webfirmen betrifft – ist Misserfolg fast garantiert. Klar, man lernt viel. Aber das allein sollte nicht die Motivation für eine Gründung sein.
Junge Entrepreneure hierzulande, aber natürlich auch in allen anderen Ländern, sollten aufhören, Zeit und Ressourcen mit sinnlosen, von vorne herein zum Scheitern verurteilten Startup-Unterfangen zu verschwenden, und stattdessen Ideen verwirklichen, die es in dieser Form noch nicht gibt. Ich höre einige wettern: “Der Martin hat leicht reden, er muss es ja nicht selbst machen”. Stimmt. Das ist der Luxus meiner Tätigkeit. Ich kann meine Sicht auf die Dinge wiedergeben und daraus Ratschläge ableiten.

Werdende Gründer können sich diese durch den Kopf gehen lassen oder ignorieren, wie sie wollen. Und sicherlich wird es immer Fälle geben, in denen sich ein spät in einen extrem wettbewerbsintensiven Digitalmarkt einsteigender Anbieter tatsächlich gegen deutlich stärkere Wettbewerber behauptet und ihnen Anwender/Kunden abspenstig macht. Oder für viel Geld und zum Unverständnis aller Beobachter übernommen wird. Das gelingt einem von tausend.

Nicht jedes Startup wird zum Knaller

Digitale Märkte, die es zu erobern gilt, und in denen sich nicht schon zahlreiche deutlich größere, finanzstärkere, besser vernetzte Konkurrenten dicht drängen, existieren genug. Viele bisher ungelöste oder schlecht gelöste Probleme warten nur darauf, durch Internet- und mobile Technologien endlich zur Zufriedenheit von Millionen Menschen angegangen zu werden. Identifiziert diese Bereiche, anstatt euch in einen scheinbar einfachen Markt zu begeben, bei dem ihr einer von vielen seid, und in dem ihr mit ein paar Hunderttausend Euro Seedkapital nur dann eine Chance habt, wenn ein Mark Zuckerberg in euch schlummert.

Artikel wie diesen hier habe ich schon häufiger geschrieben, und es wird sicher nicht der letzte sein. Nicht jedes Startup kann zum Knaller werden. Traditionell schaffen dies nur die wenigsten. Gründer, die aber ihre Chancen erhöhen möchten, zu dem elitären Club der Gewinner zu gehören, sollten sich genau überlegen, ob ihre Geschäftsidee dafür originell genug ist.

Um mit etwas Positivem abzuschließen: Eines der beeindruckendsten Startups der letzten zwei Jahre mit deutschsprachiger Beteiligung stellt für mich Buffer dar. Der im April 2011 lancierte englisch-österreichische Service erlaubt das Planen und zeitversetzte Publizieren von Social-Media-Updates wie Tweets oder Facebook-Posts.

Einige Monat nach dem Debüt siedelten die Gründer Leonard Widrich und Joel Gascoigne ins Silicon Valley um. Heute hat die junge Firma rund 500.000 User und erwirtschaftet jetzt mit einem vierköpfigen Team 70.000 Euro Umsatz pro Monat, Tendenz steigend. Dieses lesenswerte Portrait skizziert den bemerkenswerten, geradlinigen Aufstieg von Buffer. Ich wünsche mir für 2013 mehr derartige Stories von Startups aus dem D-A-CH-Raum.

Dieser Artikel erschien zuerst auf netzwertig.com.

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