Papierloses Büro Start-ups wollen Dokumente sexy machen

Eine Reihe von Start-ups will mit digitalen Dokumentenplattformen das Papier aus dem Büro verdrängen. Die Idee überzeugt besonders beim Blick auf das Potenzial.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Frau an einem Monitor Quelle: Peter Atkins - Fotolia.com

Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass 2012 Dokumente noch einmal richtig sexy werden würden?! Eine ganze Reihe von Gründerteams und auch der ein oder andere Investor scheinen zumindest der Meinung zu sein, dieser Bereich benötige neue Impulse und habe eine hohe Attraktivität. Im Mittelpunkt steht dabei die Vision des papierlosen Büros – etwas, von dem schon ähnlich lange gesprochen wird wie von der Konvergenz zwischen Fernsehen und Internet (dieses Jahr ist es dann sicher soweit. Wirklich.), ohne dass dieses Prinzip im Alltag der meisten Berufstätigen aber tatsächlich realisiert wurde.

Junge Start-ups aus dem deutschsprachigen Raum finden, die Zeit ist reif dafür, das Papier endgültig aus dem Büro zu verbannen, und haben entsprechende Plattformen entwickelt, die zur Aufbewahrung der digitalen Fassungen des täglichen Papierkrams dienen sollen. Dazu gehören doo aus Bonn genauso wie smarchive aus München, doctape (unser Review) aus Hannover sowie fileee aus Münster.

Gewissermaßen fällt auch der junge Berliner Dienst Dropscan in diese Kategorie, selbst wenn dort weniger das Ablegen digitaler Dokumente sondern eher das Einschicken physischer Unterlagen zum Zwecke der Digitalisierung im Vordergrund steht. Ein Beobachter des Geschehens erklärte mir, es gäbe allein in Deutschland bis zu zehn junge Dienste, die sich rund um digitale Dokumente positionieren.

Während sich vom gleichzeitigen Erscheinen diverser Startups im gleichen Segment nur bedingt Aussagen über die tatsächliche Nachfrage auf Anwenderseite ableiten lassen, dient das Interesse der Investoren als Indikator für das Potenzial des Konzepts einer komfortablen, intelligenten, sicheren und von Servern innerhalb der EU aus betriebenen Cloudablage für Dokumente aller Art: Schon vor dem Launch soll doo, das sich noch in geschlossener Beta-Phase befindet, eine Kapitalspritze von fünf Millionen erhalten haben. Und obwohl dies noch gar nicht weit zurückliegt, wird derzeit in Branchenkreisen bereits über eine weitere Finanzierungsrunde der Bonner gemunkelt.

Die Finanzdecke der Konkurrenten ist deutlich dünner. smarchive konnte im Dezember jedoch durch eine in kürzester Zeit abgeschlossene Crowdfunding-Runde auf sich aufmerksam machen. Innerhalb von 60 Stunden hatten 144 Privatpersonen die anvisierte und für Crowdfunding in Deutschland derzeit gesetzlich als Maximalbetrag festgelegte Finanzierungssumme von 100.000 Euro aufgebracht.

Ansturm auf den Markt

Die Werkzeuge der Piraten
PiratenpadEs ist der kollektive Notizblock der Piratenpartei: Im Piratenpad können gemeinsam Protokolle geschrieben oder Pressemitteilungen entworfen werden. Der Vorteil: In Echtzeit können mehrere Personen ein Dokument online bearbeiten, es wird farblich hervorgehoben, wer was geändert hat – das lässt sich damit unterscheiden. Technische Grundlage ist die inzwischen zu Google gehörende Software EtherPad, die auch Unternehmen nutzen können.
MumbleEines der wichtigsten internen Kommunikationswerkzeuge ist Mumble – eine Mischung aus Chat und Telefonkonferenz. Sogar viele Vorstandssitzungen werden hier abgehalten. Gegenüber klassischen Telefonkonferenzen gibt es mehrere Vorteile: Das Programm lässt sich leicht auf dem Computer installieren und über den Chat kann parallel kommuniziert werden – so können beispielsweise Links verschickt werden. Wenn jemand spricht wird das Mundsymbol neben dem Nutzernamen rot, dadurch kann man die Stimmen besser auseinanderhalten, als bei normalen Telefonkonferenzen. Ähnliche Funktionen bieten auch Skype oder TeamSpeak, dass vor allem von Online-Computerspielern zur Verständigung genutzt wird. Eine Institution bei den Piraten ist vor allem der „Dicke Engel“ (inzwischen umbenannt in ErzEngel). Jeden zweiten Donnerstag um 19:30 Uhr versammeln sich zahlreiche Piraten in diesem Mumble-Raum und diskutieren teils mit Gästen aktuelle Themen.
Liquid FeedbackEin zentrales Element ist das Computerprogramm Liquid Feedback (LQFB), eine Art Abstimmungstool, mit dem ermittelt werden soll, wie die Mehrheit der Partei zu bestimmten Positionen steht. Die Besonderheit: Das Programm gibt den Parteimitgliedern die Möglichkeit, ihre Stimme an eine andere Person zu delegieren, der sie mehr Kompetenz in bestimmten Fragen zutrauen. Allerdings ist Liquid Feedback so revolutionär wie umstritten. Während vor allem der Berliner Landesverband LQFB intensiv nutzte, waren andere Teile der Partei und auch der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz lange skeptisch. Wie intensiv das Programm genutzt wird und welche Bedeutung den Entscheidungen zukommt ist daher noch in der Diskussion.
Wikis  Wikis sind der Klassiker, die meisten Webseiten nutzen eine Wiki-Software. Sie lassen sich leicht erstellen, erweitern und vor allem auch von vielen Beteiligten bearbeiten. Das Piratenwiki ist damit die zentrale Informations- und Koordinationsplattform.   Auch manche Unternehmen setzen inzwischen Wikis ein – vor allem für die interne Kommunikation. Das bekannteste Projekt ist Wikipedia.
Blogs  Auch Weblogs werden intensiv genutzt. Viele Piraten betreiben eigene Blogs, auf denen sie Debatten anstoßen oder bestimmte Dinge kommentieren. Auch die Piratenfraktion Berlin hat nach dem ersten Einzug in ein Landesparlament ein Blog gestartet, um über ihre Arbeit zu informieren.
Twitter  Der Kurznachrichtendienst ist der vielleicht beliebteste Kanal der öffentlichen Auseinandersetzung, kaum ein Tag vergeht an dem nicht irgendeine Äußerung oder ein echter oder vermeintlicher Fehltritt zum #Irgendwasgate und #epicfail ausgerufen werden. 
Diaspora  Auch andere soziale Netzwerke werden natürlich intensiv genutzt. Jedoch ist Facebook beispielsweise bei manchem Piraten schon wieder out. Julia Schramm beispielsweise, Herausforderin von Sebastian Nerz um den Parteivorsitz, hat sich wieder abgemeldet: „Es ist wie ein widerlicher Kaugummi.“ Stattdessen nutzt sie das alternative Netzwerk Diaspora.

Auf der NEXT Berlin berichteten mir die smarchive-Gründer Steffen Reitz und Holger Teske gestern, kurz vor dem Debüt einer iPhone-App zu stehen. Richtig so, denn ohne mobile Zugriffsmöglichkeiten wird sich ohnehin keine Dokumentenplattform dauerhaft halten können.

Obwohl offensichtlich viele Menschen davon überzeugt sind, dass Start-ups den Übergang vom herkömmlichen zum papierlosen Büro (und Leben) mitgestalten können, fragte ich mich bisher, ob spezielle Plattformen, bei denen ich eigenhändig eingescannte Dokumente sicher speichern und mittels smarter Filter leicht wiederfinden kann, tatsächlich die Bedeutung erhalten können, die der Ansturm der Start-ups auf diesen Markt suggeriert – speziell, weil mit den führenden US-Cloudangeboten wie Dropbox, Google Drive oder Box eben doch Alternativen existieren, bei denen viele Nutzer ohnehin schon ein Konto haben. Zumal sich zumindest in meinem Fall die Zahl der Dokumente, die zu sensibel wären, um sie bei den Big Playern zu speichern, sehr in Grenzen hält (diese Beurteilung variiert natürlich von Person zu Person).

Doch ein anderes Gespräch auf der NEXT öffnete mir die Augen: Ultimativ dürften die Dokumentenplattformen versuchen, die Existenz des Papiers komplett zu verhindern, indem sie mit Unternehmen und Behörden in Deutschland zusammenarbeiten und eine Art elektronisches Postfach etablieren, in das sämtliche Dokumente vom Absender ohne den Umweg über den Papierbrief in digitaler, strukturierter und weiterverwertbarer Form geschickt werden. Statt also Rechnungen, Benachrichtigungen und sonstige Post per physischem Brief zugeschickt zu bekommen, landen all diese Dokumente (über Kooperationen mit den jeweiligen Firmen) direkt im persönlichen Dokumentenspeicher. Auch eine Integration der De-Mail wäre vorstellbar.

Dass der Briefkasten im Haus noch eine lange Zukunft vor sich hat, glaube ich nicht. An dem Tag, an dem eine Dokumentenplattform es ermöglicht, sich den Gang zu selbigem vollkommen zu sparen und von jedem Ort auf der Welt sicher auf archivierte sowie aktuelle Dokumente und Briefe zugreifen zu können, die zudem alle notwendigen juristischen Voraussetzungen erfüllen, ist wahrscheinlich, dass die Thematik der elektronischen Dokumentenablage echtes Massenpotenzial entwickelt. Trotz aller technischen, rechtlichen und bürokratischen Hürden, die man sich dazu speziell in Deutschland ausmalen kann, wird dieser Tag irgendwann kommen. Was es etwas einfacher macht, den momentanen Boom der dokumentenliebenden Startups zu verstehen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%