Es ist eine Zeitreise per Fernbedienung: Die „Text“-Taste befördert den Fernsehgucker zurück in die Technikwelt der Achtziger Jahre. Hier gibt es sieben Farben und 799 Seiten Platz für grob gepixelte Texte. Am 1. Juni 1980 war Sendestart. Damals war der Videotext ein Technik-Wunder seiner Zeit, so wie Sonys Walkman oder die Atari-Spielekonsole. Die sind längst verschwunden, nur der Teletext flimmert weiter: 12,4 Millionen Deutsche nutzen das Angebot täglich, hat die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung errechnet.
Die britische BBC hat ihr Angebot vor zwei Jahren abgeschaltet, in den USA hat sich die Technik nie richtig durchgesetzt. In Deutschland denkt keiner der großen Sender über einen Ausstieg nach. Auch wenn der Videotext in Zeiten von Internet und HD-Fernsehen fast rührend altmodisch daherkommt.
Auch wenn er hierzulande Marktanteile verliert – vor fünf Jahren waren es noch fast vier Millionen Zuschauer mehr – werde er doch nicht so bald verschwinden, sagt Joan Bleicher, Professorin für Medienforschung an der Universität Hamburg. „Der Videotext bietet eine gezielte Auswahl und Erläuterung“, sagt Bleicher. „Im Internet ist man auf die eigene Suche angewiesen“. Diese Nische werde weiter bestehen.
Außerdem, so Bleicher, sei der Videotext per Fernbedienung sehr einfach zu bedienen. „Da können Sie ein Bier in der Hand halten und trotzdem reingucken“, beschreibt es Frauke Langguth etwas anschaulicher. Langguth leitet in Potsdam die 18-köpfige Redaktion des ARD Texts, Marktführer mit einem Zuschaueranteil von 18 Prozent. Viele der Dinge, mit denen sich heute die Online-Portale brüsten, konnte der Videotext schon immer, sagt Langguth.
Live-Ticker hat die ARD Videotext-Redaktion schon vor Jahrzehnten gemacht. Sekundenschnelle Nachrichten-Updates ebenso, auch wenn man damals das Wort Update noch nicht kannte. Und weil pro Text nur rund 600 Zeichen Platz sind, bringt der Videotext die Nachrichten kurz und schnörkellos. Twitter 1.0 sozusagen.
Verständlich, dass sich die Sender in den 80er Jahren schwertaten, das revolutionär neue Angebot zu erklären. Bei der BBC, wo die Technik erfunden wurde, verwendete man das Bild des „printed radio“, des geschriebenen Radios. Der Videotext, erklärt die ARD den deutschen Zuschauern in einer Pressemitteilung aus dem Jahre 1979, sei der „blinde Passagier“ des Fernsehens. Ein schönes Bild, das nur versteht, wer die technischen Hintergründe kennt: Der Videotext wird in der sogenannten Austastlücke des analogen Fernsehsignals gesendet, einem zuvor ungenutzten Teil der Frequenz. Als „blinder Passagier“ reist er im Fernsehsignal mit. Man könnte auch sagen: Als Lückenfüller.
Aus dem Lückenbüßer wurde schnell ein Erfolg. „Das war damals sensationell: Das erste Nachrichtenagebot on demand“, sagt ARD-Redaktionsleiterin Langguth heute. Nachrichten gab es im Jahre 1980 morgens in der Zeitung, zur vollen Stunde im Radio oder in einem der mittlerweile drei Fernsehprogrammen. Wer die verpasste, hatte eben keine Nachrichten. Bis der Videotext kam. Über die Fernbedienung konnte jeder Nachrichten abrufen. Auf Seite 100 die Schlagzeilen, auf Seite 200 die Sportergebnisse.
Als Rudi Carrell den Wetterbericht erfand
„Das war vor allem ein Angriff auf die Zeitungen“, sagt Alexander Kulpok, als Redaktionsleiter Videotext damals verantwortlich für den neuen Service. Der heute 75-jährige leitete die ARD Text-Redaktion danach mehr als 20 Jahre. Es waren die großen Zeiten: Die Zuschauerzahlen stiegen Jahr für Jahr, Kulpoks Redaktion wuchs zeitweise auf 40 Mitarbeiter an. Neben Nachrichten gab es bald unter anderem Theaterkritiken, interaktive Blitzschach-Spiele und den Wetterbericht. „Da ist irgendwann Rudi Carrell bei mir auf dem Sofa gesessen “, sagt Kulpok, „der musste für seine Sendungen immer Tage im voraus wissen, wie das Wetter wird. Und sagte mir: Mach das doch mal in Deinen Videotext“. Heute gibt es eine App dafür. Wie für fast alles, was der Videotext so kann.
„Aber solange die Menschen kurze Infos wollen, werden wir nicht abgeschaltet.“, sagt Langguth, die heute Kulpoks Job beim ARD Text macht. Leicht zu sagen bei einem gebührenfinanzierten Angebot. Aber auch die werbefinanzierten Privat-Sender lassen nicht ab vom vermeintlichen Technik-Relikt. RTL, mit 11 Prozent Marktanteil Quotenstärkster unter den Privaten, will auf „unabsehbare Zeit“ nichts am Videotext-Angebot ändern. „Der Werbeumsatz ist stabil, das ist ein einträgliches Geschäft“, so ein RTL-Sprecher. Eine Abschaltung stehe nicht zu Debatte, heißt es auch bei Pro Sieben Sat 1. Man sehe hier ein „lukratives Geschäftsfeld“.
Lukrativ wohl auch, weil der Videotext günstig zu produzieren ist. Zumindest für Fernsehverhältnisse. Der ARD Text, der neben dem Informationsangebot auch die Film-Untertitel liefert, hat nach Sender-Angaben ein Jahresbudget von rund 1,7 Millionen Euro. Er kostet damit nur etwas mehr als eine Folge „Tatort“.
Dementsprechend dürfte sich das Angebot für die Privaten recht schnell rechnen. Obwohl der Videotext Werbung für die ganz Knausrigen bietet: 1400 Euro kostet eine ganze Seite Videotext-Werbung etwa bei Sat.1. Pro Woche, wohlgemerkt. Beim Sender Sixx sind es gar nur 84 Euro. Zum Vergleich: Ein 30 Sekunden-Clip im Sat.1- Frühstücksfernsehen kostet laut Vermarkter Sevenone Media rund 2000 Euro.
Diese Kampfpreise lassen auf den Seiten der Privatsender einen bunten Werbe-Basar aus Pauschalreisen, Gewinnspielen und Hellsehern entstehen. „Handy ohne Schufa“ wird hier gleich neben einer Zahnersatz-Reise nach Ungarn („70 Prozent billiger als in Deutschland“) angepriesen. Auf den hinteren Seiten dann das Teletext-Rotlichtviertel, wo „Dating Hotlines“ mit aufwändigen Pixel-Grafiken die technischen Möglichkeiten des Mediums voll ausreizen.
„Das hat natürlich mit den Ursprüngen des Videotexts nichts zu tun“, sagt Videotext-Veteran Alexander Kulpok. Auch sein ehemaliger Arbeitgeber, die öffentlich-rechtlichen Sender behandelten den Videotext allzu stiefmütterlich. „Dort wird auf Sparflamme gekocht“. Im Jahre 2014, findet Kulpok, brauchen wir einen internetbasierten Videotext, mit Bildern und im modernem Design.
In diese Richtung geht das sogenannte Hybrid Broadband Broadcast TV, das den klassischen Videotext mit Internet-Daten verknüpft. Diesen Dienst bieten die großen Sender inzwischen alle an; laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts ALM nutzt ihn aber nur gut eine Million Deutsche, weil man unter anderem einen internetfähigen Fernseher braucht.
„An dem traditionellen Design des klassischen Videotextes können wir nichts ändern“, sagt ARD Text-Chefin Langguth. Trotzdem will man den Medien-Oldie, der seit knapp vier Jahren auch unter @ARDText auf Twitter sendet, mit Internetdiensten verknüpfen. Beim „Teletwitter“ etwa kann man sich zum Tatort die Kurznachrichten-Tweets anderer Zuschauer auf den Fernsehschirm einblenden. Ähnliche Angebote gibt es auch bei den privaten Sendern.
Die Kernaufgabe des Videotexts, sagt ARD-Frau Langguth, hat sich aber in den vergangenen 34 Jahren nicht geändert: „Da gucken Sie abends schnell drauf und sehen: Aha, die Welt steht noch“.