CEO-Stimmen „Manager wissen natürlich mehr, als sie preisgeben“

A trader works on the trading floor at the New York Stock Exchange (NYSE) in New York City, U.S., January 5, 2023. REUTERS/Andrew Kelly Quelle: REUTERS

Die CEO-Stimme lässt Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung von Unternehmen zu, hat ein Bochumer Forschungsteam herausgefunden. Ein Gespräch über die Kontrolle der Stimme, lügende Manager und FBI-Agenten, die Hedgefonds helfen.

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Die CEO-Stimme lässt Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung von Unternehmen zu. Gewiefte Analysten wissen das – und suchen deshalb persönliche Gespräche. Ein Team aus der Forschungsgruppe Finance / Accounting / Auditing / Controlling / Taxation und den Ingenieurwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum ging dem in einer siebenjährigen Studie nach und hat nun erstmals Ergebnisse veröffentlicht. Doron Reichmann ist der Leiter der Gruppe – und hat besonders genau hingehört.

WirtschaftsWoche: Herr Reichmann, warum interessieren Sie sich für die Stimmen von Managern?
Doron Reichmann: Die Stimme verrät uns eine ganze Menge. Der Sprachprozess gilt als einer der komplexesten und zugleich sensibelsten Mechanismen des menschlichen Körpers. Beispielsweise kann sich unsere Gefühlslage auf subtile Weise in unseren Äußerungen widerspiegeln, die wir über unsere Stimme transponieren. Psychologen und Neurowissenschaftler forschen dazu seit langem. Das Spannende im unternehmerischen Kontext ist dabei, dass wir die Stimme nicht gut kontrollieren können und Managerinnen und Manager so eventuell ungewollt Informationen preisgeben.

Welche Emotionen verrät unsere Stimme? In Ihrer Studie ist von 24 verschiedenen die Rede.
In unserer Stimme finden sich selbst kleine kognitive Schwankungen wieder. Das kann Stress sein, freudige Erregung, Traurigkeit. Wenn ich nun konzentriert spreche, wird sich das auch in meiner Stimme wiederfinden. Oder wenn ich gerade versuche, mich an etwas zu erinnern. Oder ob ich ins Schwimmen komme bei einer Nachfrage. Es sind sicher mehr als 24 Emotionen, die sind bislang nur schon erforscht.

Zur Person

Sie selbst widmen sich in Ihrer Forschung Managern, die bei Bilanzvorstellungen schwindeln – oder zumindest nicht alles sagen, was sie wissen.
Für Finanzanalysten ist die Stimme zunehmend ein Instrument, das ihnen Auskunft darüber gibt, wie realistisch es ist, was ein Manager auf der Bühne erzählt. Denn viele der Informationen selbst stehen ja schon in den Geschäftsberichten. Deshalb ist besonders interessant, darauf zu achten, wie etwas kommuniziert wird. Gerade an den Kapitalmärkten sucht man nach jeder Information, die einen weiterbringt. Und Manager wissen natürlich mehr, als sie preisgeben. Sie haben einen Informationsvorsprung und die Idee ist, über die Stimme näher heranzukommen – sozusagen Einblicke in die Gedankenwelt der Manager zu bekommen.

Nun sprechen Konzernchefs selten frei von der Leber weg. Sie haben Sprechtrainings, ein Team von Kommunikationsprofis im Backoffice und verlesen nicht selten nur monoton Antworten, die ihnen durchgegeben werden.
Das ist ein interessanter Punkt. Aber die Stimme ist dabei dennoch deutlich weniger kontrollierbar als das gesprochene Wort, das im Zweifel auswendig gelernt wurde. Und in einem so extrem kontrollierten Setting wie einer Bilanzpressekonferenz – wo wir es mit äußerst geschultem Personal zu tun haben – kann diese nonverbale Schiene eben besonders informativ sein.

Wenden gewiefte Analysten bereits Methoden an, um aus einer CEO-Stimme Informationen zu extrahieren?
Das Thema wird in der Branche immer relevanter. Gerade Hedgefonds gehen spannende Wege. Wir wissen, dass sich manche Hedgefonds Ex-FBI-Agenten ins Haus holen und ihr Personal schulen lassen mit Blick auf die Analyse von Stimmen und nonverbaler Kommunikation. Andere arbeiten direkt mit Militärservices zusammen. Wichtig ist: Es steckt bislang keine klare Theorie dahinter, wie genau man Emotionen in der Stimme misst. Und es gibt sicher auch Manager, die sind so abgebrüht, dass sie selbst kein schlechtes Gefühl haben, wenn sie lügen.

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von Georg Buschmann

Wissen Sie, welche Emotionen in der Stimme einen Manager verraten könnten?
Nein, eben nicht. Wir versuchen, einen Eindruck zu gewinnen, ob jemand glaubhaft ist. Wir haben als Menschen dafür ein Bauchgefühl, es gibt aber kein Regelwerk. Wir können nicht sagen: Wenn sich die Tonhöhe, die Lautstärke und die Frequenz auf diese und jene Art verändern, dann lügt jemand. Aber genau dafür eignen sich maschinelle Lernmethoden, also Künstliche Intelligenz, die wir mit großen Datensätzen füttern können.

Kann Software dann wie eine Art Lügendetektor wirken? Gäbe es damit überspitzt gesagt keine Fälle wie Wirecard mehr?
Es ist sehr schwierig, Einzelfälle heranzuziehen. Es ist eher ein Baustein zusätzlich zu anderen Risikoindikatoren. Bis dato fokussiert man sich maßgeblich auf quantitative Risikofaktoren – warum gehen die Geschäftszahlen beispielsweise gegen den Trend in der Branche? Stimmanalysen könnten derartige Risikosysteme um eine bisher ungenutzte Dimension erweitern und bei auffälligen Beobachtungen Alarm schlagen.

Für die Studie haben Sie Tausende Audiomitschnitte von den Frage-und-Antwort-Teilen der Analystencalls ausgewertet. Mutmaßlich, weil Manager dabei freier sprechen müssen als am Anfang, wo sie nur Text verlesen?
Richtig, denn es gibt Studien, wonach Emotionen oft in interpersoneller Kommunikation auftreten. Das Eingangsstatement wird abgelesen, da sind die Manager noch sehr cool. Wenn es dann aber in die freie Interaktion geht, hat man die besten Chancen, Signale aus der Stimme zu extrahieren. Für uns war es eine Herausforderung, aus diesen Audiodateien, die eine Länge von mehreren Jahren haben, nur die Manageraussagen herauszuziehen. Das ist uns aber gelungen und wir hatten einen riesigen Datensatz, um seriöse Aussagen mit Hilfe unserer Machine-Learning-Modelle zu generieren. Es waren etwa 2000 Unternehmen und 8000 Pressekonferenzen. Wir haben immer die Konferenzen zum Jahresende analysiert und dann prognostiziert, ob das Unternehmen im nächsten Geschäftsjahr einen Gewinn oder Verlust erzielt.

Wie sah das Ergebnis aus?
Die Künstliche Intelligenz konnte sechs bis neun Prozentpunkte besser vorhersagen, ob ein Unternehmen im Folgejahr Gewinn oder Verlust machen würde als herkömmliche Modelle, die auf veröffentlichten Geschäftszahlen beruhten. Am besten funktionierte die Kombination aus Analystenschätzung und KI. Die Kombination lag in ihren Prognosen um 40 Prozent besser als die Schätzung der Analysten allein. Das bedeutet, wenn ein Analyst zehn Prozent besser schätzt, ob ein Unternehmen Gewinn oder Verlust machen wird als ein Münzwurf, liegt die Kombination mit unserer Methode 14 Prozent besser. Das klingt wenig, macht aber auf Finanzmärkten eine ganze Menge aus.

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Sollte daraus mal eine Software entstehen, wäre sie für Analysten und Investoren interessant, oder?
Ja – genauso aber auch für Aufsichtsbehörden. 

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