Depressionen Training gegen das Dauertief

Rund vier Millionen Deutsche leiden unter Depressionen. Schuld daran sind häufig Hormonstörungen, Vorerkrankungen oder schlichtweg Stress. Psychiater der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Sportwissenschaftler der Universitäten Würzburg und Marburg haben jetzt ein Trainingsprogramm entwickelt, dass Erkrankte aus dem Tief führen soll.

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Unbeachtete Volkskrankheit: Jeder fünfte Deutsche erleidet im Laufe seines Lebens Depressionen. Quelle: dpa

Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und innere Leere - Depressionen sind eine Volkskrankheit, die den Alltag für viele zur Qual werden lässt. Schätzungen zufolge erkrankt jeder Fünfte im Laufe seines Lebens an einem Dauertief. Im Extremfall treibt das die Betroffenen sogar bis in den Selbstmord. Als prominentestes Beispiel gilt der ehemalige Nationaltorwart Robert Enke: Als er sich Ende 2009 vor einen Zug warf, wurde öffentlich, was die Gesellschaft bis dahin verschweigen wollte. Robert Enke gab der Volkskrankheit ein Gesicht.

Mit Sport aus dem Stimmungstief

Dreieinhalb Jahre nach Enkes Tod starten Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Universitäten Würzburg und Marburg ein Trainingsprogramm für depressive Menschen. „Es ist bekannt, dass vielen Betroffenen Bewegung hilft. Doch leider steht der weiten Verbreitung der Krankheit nur ein geringes Angebot an spezifischen Sport- und Bewegungstherapien gegenüber", bedauert Professor Dr. Marc Ziegenbein, stellvertretender Direktor der MHH-Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie. Nach den Vorstellungen der Forscher soll das Programm „Aktiv aus dem Stimmungstief“ deswegen genauso selbstverständlich werden, wie Rückengymnastik oder Kurse für Herzpatienten.

Sport ist allerdings nicht die einzige Möglichkeit, um den Depressionen zu entkommen. Zahlreiche weitere Therapien versprechen den Betroffenen schnelle Heilung. Und sollte die eine Variante nicht anschlagen, kann man auf eine andere hoffen. Denn nach Ansicht von Fachleuten ist es gar nicht nötig, sich auf eine bestimmte Therapieform zu versteifen: Medikamente und Psychotherapie werden zum Beispiel häufig kombiniert.

Die Schlafentzugs-Therapie

Als eine der erfolgreichsten Therapien gilt die Schlafentzugs-Therapie, auch Wachtherapie. Auch wenn sie als Foltermethode verschrien ist, springen knapp 60 Prozent aller Betroffenen auf die Behandlung an. Die Methode: Einfach nicht schlafen. Die Patienten werden um ein Uhr morgens geweckt und bleiben dann den Rest der Nacht und den darauffolgenden Tag wach. Nickerchen verboten. Schon am nächsten Tag steigt die Stimmung der Betroffenen merklich an. Woher die Ausgelassenheit allerdings kommt, was also im Körper der Depressiven passiert, können Forscher nur ahnen. Vermutet wird, dass das Wachbleiben den Hormonhaushalt ordentlich durcheinander wirbelt und die Botenstoffe im Gehirn in einen neuen Takt versetzt werden. Leider hält der Höhenflug der Gefühle nur kurz an. Nach einem Tag ist alles wieder vorbei.

Heilung durch Worte

Wem der Schlaf heilig ist, kann auf die Hilfe von Psychotherapeuten setzen. Diese Therapie verspricht vor allen Dingen leicht depressiven Menschen Hilfe. Prinzipiell gibt es dabei zwei unterschiedliche psychotherapeutische Ansätze, um die Krankheit zu heilen. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie werden alte Denkmuster durchbrochen, um neue, positive Erlebnisse zu schaffen. Der Patient soll sich vom "schwarz-weiß"-Denken lösen, um sich selbst und die Umwelt neu wahrnehmen. Die tiefenpsychologische Behandlung versucht hingegen, psychische Konflikte und ihre Wurzeln in der Kindheit bewusst zu machen. Sie dauert meist mehrere Jahre, hilft dem Patienten aber, Gegenwart und Zukunft besser zu bewältigen.

Stromschläge und Antidepressiva versprechen Heilung

Antidepressiva: Medikamente sind langfristig sehr erfolgreich. Aber nicht immer ohne Nebenwirkungen. Quelle: dpa

Licht gegen Depression

Bei saisonal abhängigen Depressionen, wie zum Beispiel Stimmungsschwankungen im trüben Winter, kann eine Lichttherapie helfen. Die heimische Glühbirne in der Wohnzimmerlampe reicht allerdings nicht aus, um das Gemüt langfristig zu erhellen. Gewöhnliche Beleuchtung erreicht nämlich nur ein Zehntel der Lichtintensität, die man draußen bei Tageslicht abbekommt. Für die Therapie werden deswegen spezielle Tageslichtlampen eingesetzt, die durch ihr Licht Botenstoffe im Gehirn freisetzen.

Mit Stromschlägen gegen Stimmungsschwankungen

Im Gegensatz zur Lichttherapie, wirkt die Therapie mit Stromschlägen schon fast brachial. In den Anfängen der Psychiatrie traktierte man Patienten sogar mit Elektroschockern, um die Depressionen zu vertreiben. Diese Methode hat sich heute grundlegend geändert, auch, wenn das Prinzip das gleiche geblieben ist. Bei der Therapie wird der Patient in acht bis zehn Sitzungen in Kurznarkose versetzt und mit Elektroden am Kopf vernetzt. Durch die kontrollierten Stromschläge wird dann eine Art epileptischer Anfall ausgelöst, den der Patient allerdings nicht mitbekommt. "Die Ärzte lösen zwar einen Krampfanfall aus, doch das geschieht nur im Kopf und führt nicht zu Verkrampfungen der Muskeln", erklärt Michael Grözinger, Psychiater am Universitätsklinikum Aachen. Diese Therapie hilft vor allem Menschen, bei denen Medikamente und Psychotherapie versagt haben.

Medikamentöse Behandlung

Weniger angsteinflößend, dafür langwieriger, ist die Einnahme von Antidepressiva. Die Medikamente bringen die Hirnbotenstoffe wieder ins Gleichgewicht und versprechen so 50 bis 70 Prozent der Behandelten Erfolg. Allerdings dauert es eine Weile, bis die Behandlung anschlägt. Und ohne Nebenwirkungen sind sie auch nicht. Deswegen ist es wichtig, sie immer genau nach Verordnung des Arztes zu nehmen. Ausreichend lange genommen, können sie so die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls mindern.

Ganz ohne Medikamente soll das Trainingsprogramm der Wissenschaftler auskommen. „Auf dem Programm stehen beispielsweise Walking, leichtes Lauftraining und spielerische Übungen. Die Teilnehmer erhalten außerdem Informationen, wie sie langfristig ihr Training sinnvoll selbst gestalten können", erklärt Dr. Olaf Hoos vom Institut für Sportwissenschaften und Motologie der Philipps-Universität Marburg. So soll ermittelt werden, welche Belastungsart und welche Trainingsintensität für eine begleitende Therapie von Depressionen besondes geeignet seien. Am Ende wird das Trainingsprogramm auch anderen Kliniken, Sportvereinen und Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung stehen. Und so hoffentlich Menschen von ihren Depressionen befreien.

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