Irren ist menschlich Wo die Wissenschaft Unrecht hatte
Auch die Wissenschaft ist nicht unfehlbar: Bahnbrechende Erkenntnisse, die teils sogar mit Nobelpreisen prämiert wurden, haben sich im Nachhinein als falsch erwiesen. Zehn Irrtümer, die Geschichte geschrieben haben.
Infektionen lösen Krebs aus
Die Entdeckung des Fadenwurms Spiroptera erregte Mitte der Zwanziger Jahre die öffentliche Aufmerksamkeit. Der dänische Pathologe Johannes Fibiger behauptete, dass Infektionen Hauptauslöser für Magentumore sind. In einem Experiment infizierte er Ratten mit dem Fadenwurm. Die Tiere bildeten wenig später krankhafte Geschwülste aus, die er für bösartige Magenkarzinome hielt. Wie sich 1935 herausstellte - Jahre nach der Verleihung des Nobelpreises für die sogenannte Parasitentheorie -, waren die Geschwülste lediglich gutartiger Natur und ihre Entstehung auf einen Vitamin A-Mangel zurückzuführen.
Der Pathologe hatte die Studienergebnisse fehlinterpretiert – zu seiner Zeit waren die Folgen einer unausgewogenen Ernährung nicht bekannt. Erst eine wiederholte Studie der US-amerikanischen Forscher Claude R. Hitchcock und Elexious T. Bell im Jahr 1952 , in der eine Versuchsgruppe mit Vitamin A versorgt wurde und die zweite – wie in Fibigers Versuch - nur mit Weißbrot und Wasser, konnte belegen, dass derartige Geschwülste durch einseitige Ernährung entstehen. Bei den unterversorgten Tieren traten die von Fibiger beschriebenen weitreichenden Gewebevermehrungen auf, die Vergleichsgruppe blieb verschont.
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Mit der Fehlinterpretation von Forschungsergebnissen war der Mediziner Fibiger nicht allein: 1946 erhielt der US-amerikanische Biochemiker Wendell Meredith Stanley - ebenfalls zu Unrecht - den Nobelpreis. Dem Forscher, der an einem eindeutigen Nachweis von Viren arbeitete, gelang es, Tabakmosaikviren (kurz: TMV) zu kristallisieren. Diese lösen bei Tabakpflanzen die sogenannte Blattfleckenkrankheit aus und sollten neue Erkenntnisse in Bezug auf Virusinfektionen liefern. Das Ergebnis waren vermeintlich "reine" Proben, die dafür sprachen, dass es sich bei Viren - ähnlich wie bei Enzymen - um Proteine handeln könnte. Stanley ging von dieser Hypothese aus und schrieb die virale Aktivität ausschließlich dem Proteinteil zu.
Doch er irrte sich: Die Viren enthielten immerhin sechs Prozent RNA - den eigentlichen Träger der Infektion und Virenaktivität - und somit auch die entscheidenden Informationen für Vermehrung und Mutationen.
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Der Weltäther als Träger des Lichts
Der englische Physiker Thomas Young wurde zwar nicht mit einem Nobelpreis ausgezeichnet – trotzdem gehörte seine Theorie des Weltäthers etwa hundert Jahre lang zum wissenschaftlichen Konsens. Der Physiker, der auch als Augenarzt tätig war, hatte die Wellennatur des Lichts entdeckt, was eine neue Frage nach der Ausbreitung der Lichtschwingungen nach sich zog. Seine Erklärung war ein Äther im Weltraum, der als Medium fungiert, alle Stoffe durchdringen kann und das ganze Weltall ausfüllt. Großer Anhänger dieser Theorie war der Physiker Albert Michelson, der sie weiterdachte. Der amerikanische Physiker nahm an, dass die Bewegung der Erde sogenannte Ätherwinde hervorbringt, welche mit zunehmender Geschwindigkeit wiederrum das Licht schneller werden lassen.
Wider Erwarten widerlegte das berühmte Michelson-Morley-Experiment mit Lichtstrahlen und einem halbdurchlässigen Spiegel seine Theorie. In dem Versuch wurden Lichtstrahlen auf zwei verschiedene Wege getrennt, reflektiert und am Ende wieder auf einen gemeinsamen Schirm geleitet. Das Interferenzmuster stehender Lichtwellen, das die Relativgeschwindigkeit von Erde und Äther feststellen sollte, wies keine Verschiebungen auf. Diese hätten sichtbar sein müssen, wenn der Apparat gedreht wird, der die Relativgeschwindigkeit simulieren sollte.
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Neutronenbeschuss erzeugt neue radioaktive Elemente
Das zumindest war Ende der 1930er Jahre die Annahme des Nobelpreiskomitees, das den Physiker Enrico Fermi für die Entdeckung des neuen radioaktiven Elements Plutonium auszeichnete. Bei der Auszeichnung seiner Experimente mit Neutronen hatte das Kommittee – genauso wie der Wissenschaftler - etwas Entscheidendes übersehen: Fermi hatte im Labor kein bisher unbekanntes, radioaktives Element erzeugt, sondern etwas ebenso Wichtiges erschaffen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er die erste Kernspaltung durchgeführt und die Ergebnisse seiner Messungen falsch interpretiert. Er hatte gezeigt, dass sich fast jeder Atomkern spalten lässt, wenn man ihn mit Neutronen beschießt.
Die neuen Zerfallsprodukte waren eine durch den Neutronenbeschuss hervorgebrachte Mischung leichterer Elemente - nicht aber Plutonium, wie Fermi angenommen hatte.
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Die Lobotomie heilt psychische Krankheiten
Auch die Nobelpreisauszeichnung des portugiesischen Mediziners Egas Moniz (1949) ist aus heutiger Sicht äußerst zweifelhaft. Zwar stellte die Durchtrennung von Nervenverbindungen zwischen den Frontallappen des Gehirns nach Aussagen der Mediziner zu dieser Zeit die effektivste Methode dar, um das Leid von Psychose-Patienten zu lindern. Allerdings wurde der Eingriff zum Allheilmittel - ohne Rücksicht auf die gravierenden Nebenwirkungen. Das Verfahren, das von US-Mediziner Walter Freeman weiterentwickelt wurde, wurde teilweise ohne Betäubung durchgeführt und richtete große Schäden an den Nervenbahnen der behandelten Patienten an - eine verspätete Erkenntnis. Die Folgen: Verlust der Persönlichkeit bis hin zu Schwerbehinderung.
Ein endgültiges Umdenken fand in Deutschland erst in den 1970er Jahren statt, als das Heilverfahren als "unmenschlich" eingestuft wurde und nicht mehr in der ursprünglichen Form praktiziert werden durfte.
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Das Universum ist statisch
Albert Einstein mag einer der bedeutendsten Physiker aller Zeiten gewesen sein. Doch auch er hat sich – nach heutigen Erkenntnissen – zumindest einmal mächtig geirrt. Als Verfechter des Modell-Universums hielt er kurz nach der Formulierung seiner berühmten Relativitätstheorie an der Vorstellung eines statischen Universums fest.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Expansion des Weltalls, die sich auf die Entdeckung der Friedmann-Gleichung berufen, sprechen dagegen. Sie legen ein dynamisches Universum nahe, das zwei Arten Energie unterscheidet – Materie und Wellenenergien. Mittlerweile gehen Experten aufgrund des Hubble-Gesetzes sogar davon aus, dass sich die Expansion beschleunigt.
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Lebewesen können spontan aus unbelebter Materie entstehen
An der Aufklärung der Frage nach dem Ursprung des Lebens versuchten sich Gelehrte bereits in der Antike – und stellten eine aus heutiger Sicht erstaunliche Hypothese her, die sich bis Ende des siebzehnten Jahrhunderts hartnäckig hielt: Sie glaubten an die sogenannte „Urzeugung“, die besagte, dass kleinere Lebewesen (z.B. Würmer und Insekten) aus faulem Fleisch oder anderen in Verwesung übergegangenen Abfällen entstehen. Als klassisches Beispiel galten Maden in verfaultem Fleisch.
Erst Mitte des siebzehnten Jahrhunderts gelang es dem italienischen Arzt Francesco Redi durch ein Experiment, die Gegenthese aufzustellen. Er verteilte verschiedenen Fleischsorten auf acht Flaschen. Vier verschloss er, die restlichen ließ er offen. Die Tatsache, dass sich die Maden nur in den offenen Flaschen bildeten, die für Fliegen zugänglich waren, stellte das damals vorherrschende biologische Denken vollständig auf den Kopf und ließ erste Zweifel an der Spontanzeugung entstehen, dessen Begriff auf Aristoteles zurückgeht. Louis Pasteur trug zur weiteren Erhärtung der Theorie in der Moderne bei. Bis heute ungeklärt ist die Frage, wie die Entstehung des Lebens zu erklären ist – wenn es nicht aus unbelebter Materie hervorgegangen ist.
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Die „Kalte Fusion“
Zu einer exothermen Kernfusion kommt es nach derzeitigem Erkenntnisstand nur bei extremer Hitze, etwa im Inneren der Sonne. Ende der 80er Jahre sorgte ein Experiment zur „Kalten Fusion“ für Aufsehen: Das Forscherteam Fleischmann und Pons behauptete, den Fusionsprozess bei Zimmertemperatur in einem einfachen Reagenzglas durchgeführt zu haben.
Die im Labor durchgeführte Kernfusion bei niedriger Umgebungstemperatur ließ neue Hoffnung für eine unerschöpfliche und zugleich günstige Energiequelle aufkeimen – letztendlich erwies sich diese jedoch als unfruchtbar, denn der Versuch, das Experiment nachzustellen, gelang bisher keinem anderen Wissenschaftler. Die Forschungen dauern bis heute an.
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Aderlass als Allheilmittel
Bis ins 17. Jahrhundert galt der Aderlass – ein medizinisches Heilverfahren, in dem Patienten größere Mengen Blut entnommen werden – als Allheilmittel gegen schwere Krankheiten wie Gicht sowie zur Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen. Der Hintergrund: Krankheiten wurden auf ein Ungleichgewicht der Körpersäfte zurückgeführt und man glaubte das Körpergleichgewicht durch die Ausleitung von „schlechtem Blut“ wiederherstellen zu können.
Bereits 1628 widerlegte die Entdeckung des Blutkreislaufs von William Harvey die Grundlagen des Aderlasses – die Behandlungsmethode blieb trotzdem mehrere hundert Jahre verbreitet, bis Ärzte nach und nach erkannten, dass der Aderlass kein Universalrezept darstellt. Eine junge Studie aus dem Jahr 2007 bestätigte erneut, dass der Aderlass Herzinfarkten nicht vorbeugt.
Dort, wo das Heilverfahren einen nachweislichen Effekt erzielt, wird es noch heute eingesetzt, zum Beispiel bei einer krankhaften Vermehrung roter Blutkörperchen oder bei Erkrankungen des Eisenstoffwechsels.
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Es gibt einen neunten Planeten namens „Vulkan“
Die Vulkan-Hypothese sorgte im 19. Jahrhundert für öffentliches Aufsehen. Entstanden war sie durch eine Bahnabweichung des Planeten Merkur, für die Physiker zunächst keine wissenschaftliche Erklärung finden konnten. Ausgehend von dem neu entdeckten Planeten Neptun, den der französische Mathematiker Urban Le Verrier durch ähnliche Beobachtungen von Bahnstörungen des Uranus nachweisen konnte, entwickelte er die Hypothese, dass die Bahnabweichungen des Merkur auf den hypothetischen Planeten Vulkan zurückzuführen sein müssen. Da der Forscher einen wesentlichen Beitrag zur Entdeckung des Planeten Neptun beigetragen hatte, waren zahlreiche Astronomen der Schule der Himmelsmechanik nach Newton Anhänger seiner Theorie und forschten in diese Richtung weiter.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts konnte die Allgemeine Relativitätstheorie von Einstein die Abweichungen der Merkurbewegungen erklären – sie zeigt auf, dass das Licht im Gravitationsfeld entsprechend der Theorie abgelenkt wird.
Bild: dpa
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