Süßstoff Stevia Ein Wunderkraut soll Deutschland versüßen

Nach langem Hin und Her hat die EU-Kommission den Süßstoff Stevia zugelassen. Bis zu 300-mal süßer als Zucker und ohne Kalorien, hat das Honigkraut längst die Märkte außerhalb Europas erobert.

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Die Blätter der Stevia-Pflanze enthalten einen Süßstoff, der bis zu 300 Mal stärker als Zucker süßt. Quelle: dpa

Düsseldorf In zwei Wochen werden Kunden im Supermarkt Stevia kennenlernen. Vielleicht ist die kleine grüne Pflanze auf das Marmeladenetikett  aufgedruckt oder auf dem Joghurt steht „Mit Stevia gesüßt“. Dann wissen die Käufer, dass dieses Lebensmittel wenig oder gar keinen Zucker mehr enthält, sondern mit dem Süßstoff aus den Blättern des Steviakrauts, den Steviolglycosiden gesüßt wurde.

Hierzulande wird die Pflanze Honigkraut genannt, doch ursprünglich kommt sie aus Südamerika, wo die Menschen im Grenzgebiet zwischen Paraguay und Brasilien seit Jahrhunderten ihre Speisen mit den Blättern süßen. Das Extrakt kann bis zu 300-mal süßer sein als Kristallzucker und enthält keine Kalorien. Außerdem verursacht es keinen Karies und ist sogar für Diabetiker geeignet, denn der Süßstoff hat keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel.

Während das Wunderkraut außerhalb von Europa, vor allem in Japan und den USA, bereits seit Jahren den Lebensmittelmarkt erobert, war es bisher in der EU nicht zugelassen. Stevia-Anhänger sind davon überzeugt, dass eine Zuckerlobby die Einführung bisher erfolgreich verhindern konnte. Tatsächlich hatte jedoch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Bedenken, dass die Pflanze gesundheitlich nicht unbedenklich sein könnte.

Langjährige Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Sorgen wohl unbegründet waren. Die EFSA hat nun mitgeteilt, dass das Süßungsmittel weder krebserregend noch gentoxisch sei. Somit konnte die EU-Kommission den Süßstoff Steviolglycosid zur Verarbeitung in Lebensmitteln jetzt für alle EU-Länder zulassen.

Das freut viele Lebensmittelhersteller. Coca-Cola und Danone haben bereits Produkte auf dem Markt, die mit Stevia gesüßt sind. Danone hatte für Frankreich eine Sondergenehmigung erhalten und konnte dort schon vor der Zulassung einen Joghurt verkaufen, der mit dem natürlichen Extrakt gesüßt ist.


Zulassung mit Einschränkung

„Wir begrüßen die Reglementierung des Europäischen Parlaments für den industriellen Verkauf von Stevia“, sagt Simone Lápossy von Danone. Für die Lebensmittelbranche ergäben sich daraus eine Fülle von Möglichkeiten.  „Durch diese Unterzeichnung können die Vorteile des aus Stevia gewonnen Süßstoffs auch in Deutschland genutzt werden.“

Coca-Cola verwendet den Stevia-Süßstoff schon jetzt in mehr als 30 Produkten weltweit und prüft derzeit den Einsatz von solchen Getränken für den deutschen Markt. „Fanta Still“ – eine Limonade, die mit Stevia gesüßt ist, könnte ab dem 2. Dezember auch hier im Supermarktregal stehen.

Ganz ohne Einschränkung hat die EU-Kommission den Süßstoff allerdings nicht zugelassen. Zunächst dürfen mit dem Lebensmittelzusatzstoff, wie es offiziell heißt, nur Getränke, Müsli, Joghurts, Marmeladen, Schokolade und andere Süßigkeiten gesüßt werden.

Und auch nur in bestimmten Mengen, denn das Gremium hat eine tägliche Aufnahmemenge festgelegt. Diese liegt bei 4 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht für Steviolglycoside.

Die Bioanalytikerin Ursula Wölwer-Rieck vom Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften an der Uni Bonn kann das anschaulich erklären: „Ein Erwachsener von 65 Kilogramm dürfte 260 Milligramm Steviolglycoside pro Tag zu sich nehmen. Cola hat etwa 11 Prozent Zucker, demnach enthält ein Liter Cola 103 Milligramm Steviolequivalent, wenn man davon ausgeht, dass der Zucker komplett durch Stevia ersetzt wird. Da ist bei 260 Milligramm pro Erwachsenen noch viel Luft nach oben.“

Und selbst bei einem Wert von 4 Milligramm ist nach Ansicht einiger Experten noch viel Spielraum. Manche Lebensmittelchemiker halten sogar 10 Milligramm noch für völlig unbedenklich.

Außerhalb von Europa erobert Stevia schon längst den Markt. Allein 2010 haben sich 102 neue Produkte etabliert. Laut dem Stevia Industry Perceptions Report 2009 könnte bereits im Jahr 2012 Stevia den Zucker zu 40 Prozent ersetzen und den künstlichen Süßstoff Aspartam sowie Sucralose zu mehr als 50 Prozent.


Deutsche Landwirte wittern ein Geschäft

In Japan sieht man Stevia als den Hauptsüßstoff der Zukunft. Auch die Weltnachfrage nach Blättern dieser Pflanze steigt mit jedem Jahr. Jetzt, wo die Zustimmung der EU-Kommission erfolgt ist, wird auch in Deutschland die Nachfrage explodieren.

Dazu müsste das Kraut noch nicht mal importiert werden, denn die Pflanze kann auch gut auf deutschen Böden wachsen. Das weiß die Agrarwissenschaftlerin Christa Lankes vom Bereich Gartenbauwissenschaft der Universität Bonn, aus eigener Erfahrung.

Im Gewächshaus, auf freiem Feld und unter Folie hat sie Stevia bei ihrem Wachstum beobachtet. „Wegen der langen Tage im Sommer kann die Pflanze hier viel Blattmasse bilden“, sagt sie. Und das ist gut, denn nicht in den Blüten, sondern in den grünen Blättern steckt der Süßstoff.

Auch deutsche Landwirte wittern da ein Geschäft. Lankes bekommt immer wieder Anfragen von Bauern, die am Anbau von Stevia interessiert sind. Ob mit heimischem Anbau oder durch Importe: Der Stevia-Boom wird kommen, da ist sich Lankes sicher.

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