Gesundheit Schöner beißen: Neue Ära in der Zahnmedizin

Perfekt sitzende Brücken, bezahlbare Kronen und weniger Stress im Zahnarztstuhl: Mit digitaler Technik beginnt eine neue Ära in der Zahnmedizin.

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Zahnprotesen sind teuer - Quelle: AP

Der Laser tanzt über die Metallplatte. Abertausendmal entfacht er – jeweils nur für einen Wimpernschlag lang – ein Leuchten, das dem einer Wunderkerze gleicht. Mit jedem Lichtblitz erhitzt er eine nur wenige Mikrometer dicke Pulverschicht aus Kobaltchrom auf Temperaturen von 1400 Grad Celsius und lässt sie Lage für Lage zu Kronen, Brücken und Implantaten zusammenbacken. Bis zu 400 Stück entstehen auf diese Weise gleichzeitig. Hier in den Laboren des Dental-Spezialisten Bremer Goldschlägerei (Bego) entsteht gerade der Zahnersatz der Zukunft.

Seit Jahrhunderten haben Zahntechniker Kronen und Brücken in Handarbeit aus Metalllegierungen gegossen. Doch nun steht die Zahntechnik vor dem größten Technologiesprung ihrer Geschichte: Mit digitaler Technik werden Brücken, Kronen und Implantate künftig schneller, genauer und vor allem vollautomatisch hergestellt.

Die ganze Branche blickt auf die neue Technik, die das Leben von Zahnärzten und Patienten erleichtern soll: die computergestützte Herstellung von Zahnersatz mit einem Laser. Fachleute nennen das Verfahren Laser-Sintern oder „E-Manufacturing“. Dieser Prozess macht die Fertigung nicht nur besser, sondern auch deutlich preiswerter. Das wird in Zukunft nicht nur den Geldbeutel der Patienten entlasten. Zugleich wird Zahnersatz „made in Germany“ wieder konkurrenzfähig. Denn deutsche Unternehmen sind nicht nur bei der Entwicklung der Technik, sondern auch bei der Produktion des Zahnersatzes führend.

Es geht um einen riesigen Markt: Jahr für Jahr werden in Deutschland 13 Millionen Zähne gezogen. Schon 35- bis 44-Jährigen fehlen im Durchschnitt zwei bis drei, 65-Jährigen gar 12 bis 15 Zähne. Das liegt vor allem daran, dass die Menschen ihre Beißer nicht sorgfältig genug pflegen. Denn nur mit angemessener Mundhygiene bleibt das Gebiss bis ins hohe Alter voll funktionsfähig.

Kostspieliger Zahnersatz

Doch selbst bei bester Vorsorge: Früher oder später muss sich fast jeder mit dem Thema Zahnersatz beschäftigen. Und das ist immer eine kostspielige Angelegenheit. Rund 5,5 Milliarden Euro investieren die Deutschen jedes Jahr in Kronen, Brücken und Implantate. Seit 2005 zahlen die gesetzlichen Krankenkassen dafür nur noch Festzuschüsse, die längst nicht alle Kosten decken. Jeder Dritte zahlt für den Beißersatz 500 Euro aus eigener Tasche dazu, ermittelte die Stiftung Warentest in einer aktuellen Umfrage. Mehr als 20 Prozent der Befragten zahlen für aufwendige Versorgungen sogar 2.000 bis 5.000 Euro Aufpreis.

Kein Wunder also, dass sich immer mehr Patienten im Ausland mit Zahnersatz eindecken – mit zunehmender Unterstützung etlicher Krankenkassen. Doch die Billigbeißer haben ihren Preis: Kronen und Brücken aus Ländern wie China oder den Philippinen sind qualitativ oft nicht mit deutschen Produkten vergleichbar. Sie passen schlechter oder brechen schon nach wenigen Jahren auseinander. Zudem ärgern sich viele Patienten über lange Wartezeiten auf den Zahnersatz aus dem Ausland.

Mit der neuartigen Technik für die digitale Herstellung des Zahnersatzes haben Mängel bei Qualität und Fertigungsgenauigkeit nun ein Ende. Denn das Verfahren ermöglicht bisher unerreichbare Fertigungstoleranzen: „Wir können mit der Technik auf fast jede noch so komplizierte Gebisssituation reagieren“, verspricht Weiß. Und das überaus exakt. Höchstens 50 Mikrometer darf das Produkt vom Abdruck abweichen. Das entspricht etwa einem feinen menschlichen Haar. Und es ist um etwa die Hälfte besser als die Handarbeit in herkömmlichen Zahntechniklaboren.

Dabei entstehen auf Basis von Computerdaten komplexeste Geometrien, die mit keiner anderen Werkzeugmaschine herstellbar sind. „Wir können individuelle Produkte effizient wie ein Serienmodell fertigen“, sagt Christoph Weiss, Geschäftsführer der Bego, die ihr Fertigungslabor im Universitätsviertel Bremens betreibt.

Als Beweis der technischen Möglichkeiten präsentiert Weiss den fünf Zentimeter hohen Turm eines Schachspiels, das seine Maschinen aus Kobaltchrom gesintert haben – dem Material, das auch für den Zahnersatz verwendet wird. „Schauen Sie, unterhalb der Zinnen des Turms windet sich eine Treppe durch das Innere des Turms“, sagt Weiss stolz. „Die ist so filigran, dass wir ihr sogar einen Handlauf verpassen konnten.“

Diese technische Finesse bietet bei der Fertigung des Zahnersatzes immense Vorteile. Denn der sitzt direkt ab Werk deutlich besser. Zahnarzt oder Zahnlabor müssen weniger an der neuen Krone oder Brücke korrigieren. Damit wird die Behandlung auch für die Patienten angenehmer.

Das bestätigt auch Heidrun Zisely aus Bonn, die zu den ersten Patienten gehört, die sich die neuen Sinter-Zähne haben einsetzen lassen. Der 44-jährigen Werbekauffrau mussten nach einer Wurzelentzündung zwei Backenzähne gezogen werden. „Ich habe viel Kontakt mit Kunden und wollte nicht zwei Wochen mit einem schlecht sitzenden Provisorium herumlaufen“, sagt Zisley. Ihr Zahnarzt ließ die neuartige Brücke in Bremen fertigen und in einem Bonner Labor mit Keramik verblenden. Binnen zwei Tagen hatte sie ihre neuen Zähne. „Sie passten nach marginalen Korrekturen fast auf Anhieb perfekt“, lobt Zisley. Ihr Eigenanteil war mit rund 900 Euro genauso hoch, als wären die Zähne in einem normalen Labor gefertigt worden.

Zahnersatz mit Laser-Verfahren

Die Technik für das Laser-Sintern hat das Unternehmen Electro Optical Systems (Eos) mit Sitz im bayrischen Krailling entwickelt, das als Weltmarktführer auf dem Gebiet gilt. Die mannshohe Maschine, in der der Zahnersatz entsteht, erinnert an einen überdimensionierten Backofen.

Hinter einer dicken Glasplatte sitzt das Herz des Systems: der Laser. Wie der Kuchen auf einem Backblech, liegt dort auf einer Metallplatte das Kobaltchrom-Pulver, das der Laser Schicht für Schicht zusammenschmilzt. So entstehen in 24 Stunden bis zu 400 Kronen, Brücken oder Implantate. Ein Zahntechniker schafft pro Arbeitstag lediglich 15 bis 20 Brücken und Kronen.

In Deutschland wird Zahnersatz deshalb zunehmend mit dem Laser-Verfahren produziert. Pionier Bego arbeitet mit rund 400 Zahntechniklaboren zusammen. Konkurrent Sirona Dental Systems, der den Zahnersatz in Bensheim bei Heidelberg fertigt, hat rund 300 Labore unter Vertrag.

Die Investitionen der neuen Zahnersatz-Fabriken sind allerdings erheblich: Bego rechnet für die notwendige Technik, der Laser-Sinter-Anlage sowie die erforderlichen Scanner bei den Zahntechniklaboren, mit rund 500.000 Euro. Trotz der hohen Kosten bietet die Maßfertigung von der Stange auch den beteiligten Zahntechniklaboren Vorteile: Per Laser-Verfahren produzierter Zahnersatz sei besser und genauso preisgünstig wie die Produkte aus China, sagt Martin Bullemer, Medizin-Manager beim Sintertechnik-Hersteller Eos. „So holen wir die Fertigung nach Deutschland zurück“, glaubt auch Bego-Chef Weiss.

„Die Wende vom reinen Handwerk zur Manufaktur ist nicht aufzuhalten“, sagt Guido Braun, Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Zahntechniker-Innungen. Deshalb befürchtet Braun einen Aderlass für den Berufsstand: „Das kann uns 10 bis 20 Prozent Arbeitsplätze kosten.“ Da sei es kein Trost, dass das Laser-Sintern vor allem die groben und schmutzigen Arbeiten des Gießens und Schleifens ersetzt.

Unangemnehme Arbeitsschritte fallen weg

Die entscheidende Komponente, um die Herstellung von Zahnersatz ganz zu automatisieren, kommt jetzt aus den USA. Dort können Zahnärzte mithilfe von Spezialkameras bereits im Mund 3-D-Abbilder der Zähne erstellen. Die neuartigen Kameras, die die Zahntechniksparte Espe des US-Mischkonzerns 3M gerade vorgestellt hat, sind nur wenige Zentimeter groß, das Handstück gar nur 13 Millimeter breit, also kaum größer als ein Bohrer beim Zahnarzt.

Damit kann auch entfallen, was heute noch bei vielen Patienten heftige Würgereize auslöst: der Gebissabdruck mithilfe einer Art Löffel, in den eine Kunststoffmasse gebettet ist, die im Mund aushärtet. Auch der nächste Schritt fällt weg, bei dem im Zahnlabor aus dem Gips- oder Wachsabdruck ein Zahnmodell geformt wird.

Stattdessen reicht es, die 3-D-Datei mit dem digitalen Zahnabdruck des Patienten per E-Mail einem spezialisierten Dienstleister wie dem Fertigungszentrum von Bego in Bremen zu schicken. Im Idealfall vergehen dann nur noch Minuten nach der digitalen Erfassung des Gebisses. Dann beginnt der Laser mit dem Aufbau des neuen Zahns.

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