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E-MobilitätWeg mit der Bleifuß-Denke!

Bei der Entwicklung neuer E-Autos setzen die Autobauer zu sehr auf alte Tugenden, wie Höchstgeschwindigkeit und schnelle Beschleunigung. Damit drohen sie, ihre Zukunftskunden zu verlieren. Ein Kommentar.Thomas Kuhn 02.01.2023 - 11:46 Uhr
Foto: Shutterstock, Herr Löffler

Der Blick auf aktuelle E-Mobile erinnert zunehmend an Quartett-Spiele zu Grundschulzeiten. Da zählten Hubraum, Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigung, um die Mitspieler auszustechen. Und offenbar hat sich daran auch im Zeitalter der aufkommenden E-Mobilität nichts geändert.

Ob der neue Kleinwagen Smart #1 oder die Luxuslimousine Lucid Air eine besonders große Reichweite bei minimalem Energieverbrauch aufweisen, scheint für die Entwickler eines Großteils der Elektrogefährte nicht zu zählen – stattdessen Tempo und Beschleunigungsorgien. Smart etwa bewirbt selbst die Basisversion des neuen Viersitzers, der in diesen Tagen in den Handel kommt, vehement mit dessen enormen Beschleunigungswerten von nur 6,7 Sekunden von 0 bis 100 km/h.

Zum Vergleich: Der einst als Rakete auf Rädern geschätzte Ur-Golf GTI von Volkswagen brauchte für diesen Sprint knapp zehn Sekunden. Die überzüchtete Lucid-Limousine katapultieren zwei E-Motoren mit rund 1000 PS Systemleistung sogar in nur 2,6 Sekunden auf Tempo 100. Endgeschwindigkeit rund 300 km/h.

Die amerikanische E-Automarke Drako Motors präsentiert auf der LA Autoshow (bis 27. November) mit dem neuen Dragon ein über 2000 PS starkes Flügeltürer-SUV.

Foto: Drako Motors

Auffällig am sportlich gezeichneten Hochbeiner sind die breiten Einstiegsportale, die nach oben öffnen. Dank der Abwesenheit von B-Säulen erlaubt das über fünf Meter lange SUV einen leichten Einstieg zu beiden Reihen mit insgesamt fünf Sitzplätzen.

Foto: Drako Motors

Das wohnlich eingerichtete Interieur bietet diverse zum Teil großformatige Displayanzeigen. Fahrrelevante Bedienelemente konzentrieren sich auf das griffig konturierte Sportlenkrad.

Foto: Drako Motors

Angetrieben wird der Dragon von vier E-Motoren mit insgesamt 1490 kW/2027 PS, die einen Sprint des 2,3-Tonners auf 100 km/h in gut zwei Sekunden erlauben. Die Höchstgeschwindigkeit wird mit über 320 km/h angegeben. Die Reichweite beträgt 675 Kilometer, mit bis zu 500 kW soll der Akku aufladbar sein. Details zur Batterie nennt Drako allerdings keine.

Foto: Drako Motors

Ab 2026 soll der Dragon auf den Markt starten. Der Basispreis wird mit umgerechnet rund 282.000 Euro angegeben.

Foto: Drako Motors

Wer glaubt, das seien Exzesse tempoverliebter Autodesigner, die zumindest Reste des Bleifußdenkens vergangener Dekaden ins Zeitalter der E-Mobilität hinüberretten wollen, der irrt. Analysen von Stefan Bratzel, dem Chef des Center of Automotive Management, belegen: Die Tempotaktik hat System.

Der Anteil von großen und besonders leistungsstarken Modellen im Fahrzeugmix der Autohersteller ist bei Elektroautos verglichen mit klassischen Benzin- oder Diesel-Pkw überproportional hoch. „Statt beim Umstieg auf die E-Mobilität und der Konzeption neuer Fahrzeuge auf Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit und Effizienz zu setzen, verharren die Hersteller im alten Bleifußdenken einer vergangenen Zeit“, konstatiert der Autoexperte.

Lesen Sie auch: Fünf Ideen für eine Mobilitätswende

Vinfast VF9

Zu den mit Spannung erwarteten Newcomern zählt der vietnamesische Hersteller Vinfast, der noch in diesem Jahr mit dem VF9 ein 5,12 Meter langes SUV mit drei Sitzreihen und wahlweise sechs oder sieben Sitzen auf deutsche Straßen bringen will. Neben einer stattlichen Karosserie und viel Platz bietet der VF9 große Akkus. Es gibt ein kleineres Format mit 92 kWh für bis zu 438 Kilometer Reichweite. Alternativ sind auch 123 kWh möglich, mit denen man fast 600 Kilometer weit kommen kann. In beiden Fällen gibt es einen zweimotorigen Allradantrieb mit 300 kW/408 PS, der einen Sprint aus dem Stand auf 100 km/h in 6,5 Sekunden sowie 200 km/h Topspeed erlaubt.

Auch relativ schnelles Laden ist möglich: In 35 Minuten lassen sich die Batterien von zehn bis 70 Prozent auffüllen. Noch in diesem Jahr sollen Fahrzeuge an Kunden gehen. Auf der deutschen Internetseite von Vinfast lässt sich der VF9 reservieren. Derzeit wird ein Preis ab 62.250 Euro für die Version mit Mietbatterie genannt, für die dann 150 Euro pro Monat fällig werden. Wer neben dem Auto auch den Akku besitzen will, muss mindestens 82.250 Euro einplanen.

Foto: Presse

BYD Tang

Eine weitere ebenfalls in Deutschland neue Marke ist BYD aus China, die noch in diesem Jahr mit den drei Elektro-Modellen Atto 3, Han und dem Siebensitzer-SUV Tang antreten wird. Für Letzteren wurde gerade erst ein Vorverkaufspreis von 72.000 Euro genannt. Im Gegenzug bietet das 4,87 Meter lange SUV einen zweimotorigen Allradantrieb mit 380 kW/517 PS Systemleistung, der den Tang in 4,6 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt. Maximal fährt das SUV 180 km/h und dank 86,4 kWh großem Akku zudem 400 Kilometer weit mit einer Ladung. Zwar bietet der Tang insgesamt sieben Sitzplätze, bei den hinteren beiden handelt es sich allerdings um Notsitze, die für Erwachsene eher mühsam zu erklettern sind.

Foto: Presse

Maxus Mifa 9

Wesentlich großzügiger fällt da der Mifa 9 von Maxus aus. Maxus ist eine Tochter des chinesischen SAIC-Konzerns, die seit bereits einiger Zeit Nutzfahrzeuge in Deutschland anbietet. Nächstes Jahr soll das Angebot unter anderem um den mit 5,27 Meter mächtigen Pkw-Van Mifa 9 wachsen, bei dem die Gäste selbst in der dritten Sitzreihe bequeme Platzverhältnisse vorfinden. Auch sonst setzt das Dickschiff auf gehobenem Komfort, vor allem in der Topversion mit zwei wuchtigen Liegesesseln. Diese haben feste Seitenwände mit Armlehnen, aus denen sich ein Tablet herauszaubern lässt.

Über ein in der Armlehne integriertes Bediendisplay lassen sich zudem Klimatisierung, Massagefunktion und Sitzposition einstellen. Werden Fußablage nach vorne und Rückenlehne nach hinten geklappt, kann sich der Fahrgast sogar entspannt ausstrecken. Der Mifa 9 ist mit 180 kW/245 PS ordentlich motorisiert, während die Batterie mit 90 kWh und über 400 Kilometer Reichweite recht groß ausfällt. Nächstes Jahr soll der neue Maxus verfügbar sein, die Preise dürften oberhalb von 60.000 Euro starten.

Foto: Presse

Mercedes-Benz EQB

Wer auf die großen Elektro-Siebensitzer aus Asien nicht warten will, kann alternativ bei Mercedes bereits jetzt fündig werden. Seit Ende 2021 bieten die Schwaben mit dem EQB ein mit 4,68 Meter recht kompaktes Elektro-SUV an, das trotz seiner moderaten Länge optional mit dritter Sitzreihe bestellbar ist. Auf dieser sollten allerdings nur kleine Personen Platz nehmen, denn auch hier handelt es sich um Notsitze. Wer mehr Wert auf maximales Kofferraumvolumen legt, kann den EQB auch als Fünfsitzer bekommen, der bis zu 1710 Liter Stauraum bietet.

Außerdem stehen drei Antriebsversionen zur Wahl. Den Einstieg markiert der 250 mit 140 kW/190 PS starkem Frontantrieb. Alternativ gibt es die Allradversionen 300 und 350 mit 168 kW/228 PS oder 215 kW/292 PS. Die stärkere Variante kann in 6,2 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h sprinten, maximal sind 160 km/h möglich. Eine 66,5-kWh-Batterie ist Standard, im Fall des 250 soll sie 472 Kilometer Reichweite erlauben. Bei rund 49.650 Euro starten die Preise.

Foto: Presse

Opel Combo-e Life

Eine ebenfalls bereits seit einiger Zeit verfügbare und zudem vergleichsweise günstige Alternative ist der Combo-e Life von Opel, von dem es technisch identische Schwestermodelle bei Citroen und Peugeot gibt. Alle zeichnen sich durch einen 100 kW/136 PS starken E-Motor sowie eine mit 50 kWh kompakt dimensionierte Batterie aus, die bis zu 285 Kilometer Reichweite erlaubt.

Der mindestens 43.000 Euro teure Combo ist in der gut 4,40 Meter langen Version Life oder als 4,75 Meter langer Life XL mit bis zu 2693 Liter großem Gepäckabteil bestellbar. Für beide Karosserievarianten wird gegen Aufpreis eine dritte Sitzreihe mit zwei Einzelsitzen angeboten – im Life für 600, im XL für 750 Euro.

Foto: Presse

Das ist ein gefährlicher Irrtum. Natürlich gibt es auch unter jüngeren Menschen noch Fans des forcierten Tritts aufs Gaspedal. Aber immer weniger junge Menschen lassen sich davon begeistern. Autokäuferinnen und -nutzer unter 30 haben mehrheitlich ganz andere Prioritäten als Beschleunigungsexzesse auf Rädern. Die überproportional höhere Akzeptanz für Tempolimits unter jüngeren Menschen belegt das.

Bei den traditionellen Autobauern aber scheint das kaum jemandem aufgefallen zu sein. Sie entfernen sich mit ihrer aktuellen Modellstrategie gerade im Höchsttempo von ihren künftigen Kunden. Statt diese mit für sie relevanten Eigenschaften wie etwa minimalem Ressourcenverbrauch zu begeistern, verharrt die Branche in überkommenen Denkmustern und droht so, die Kundschaft von morgen zu verfehlen.

Ein zukunftsträchtiger Neustart in die E-Mobilität jedenfalls sieht anders aus, als in 6-Komma-Nix Sekunden auf Tempo 100 zu beschleunigen.

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