60 Jahre Ford Transit: Von der Krise zum Kult: Wie der Transit Ford Köln durch die Jahrzehnte trug
Die Feierlaune ist den Beschäftigten der Kölner Ford-Werke längst vergangen, zu groß sind die Zukunftsängste, nachdem der amerikanische Mutterkonzern den „Insolvenzschutz“ für die europäische Tochter aufgekündigt hat.
Dabei gibt es 2025 viel zu zelebrieren, nicht nur den 100. Geburtstag von Ford Deutschland, sondern vor allem den 60. des Transit. Jenes Transporters, der Ford zur Nutzfahrzeugmarke Nummer eins in Europa machte und als zuverlässiger Goldesel schon so manches Loch in der Firmenkasse gestopft hat.
Dabei sah es zunächst gar nicht danach aus, dass der Transit die bis heute langlebigste europäische Ford-Baureihe werden und den ewigen Rivalen Volkswagen Bulli vom Thron stoßen würde. Der Bulli war bereits 1949 unter der Leitung des Konstrukteurs Alfred Haesner fertiggestellt worden, der später zu Ford Köln wechselte, um dort den Kastenwagen FK 1000 zu entwickeln. Der 1953 eingeführte FK 1000 erreichte zwar nie die Stückzahlen des Bulli, mutierte aber nach einem Facelift zum Taunus Transit und zum deutschen Pendant des britischen Ford Thames.
Zwei rivalisierende europäische Ford-Transporter: Diese kostspielige Extravaganz beendete Henry Ford II höchstpersönlich. Der Konzernchef schob einen gemeinsamen Nachfolger an. „Rotkäppchen“ (englisch: „Redcap“) war der Tarnname für diesen ersten Transit, den die Amerikaner konstruierten und die Deutschen und Briten 1965 zur Serienreife brachten. Angst vor dem „bösen“ Wolfsburger hatte das Rotkäppchen nicht. Im Gegenteil: Der Bulli musste den Transit bald fürchten, denn der Ford definierte den Transporter neu, als das Wirtschaftswunder seinen Höhepunkt erreichte.
Erst hatten Transporter wie der VW Bulli und der Ford FK den bundesdeutschen Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder ins Laufen gebracht, dann avancierten die Lieferwagen zu Vehikeln der Freizeitbewegung von Campern und Surfern. Unterschiedliche Rollen, die der VW zunächst am besten ausfüllte, denn in den Disziplinen Wirtschaftlichkeit und Größe des Vertriebsnetzes waren ihm alle Wettbewerber unterlegen.
Ernsthafte Konkurrenz bekam der Wolfsburger erst durch die Wut von Henry Ford II. Der Konzernboss tobte in seinem Hauptquartier in Dearborn, weil sich seine europäischen Filialen in England – wo der Thames-Transporter gebaut wurde – und in Köln nicht auf einen gemeinsamen Nachfolger einigen konnten. So beauftragte Henry Ford II persönlich seinen Ingenieur Ed Baumgartner mit dem Projekt Redcap, bevor die Europäer den Feinschliff vornehmen konnten.
Der Transit sollte ein neuartiger Allrounder mit einer eigenständigen Plattform für über 50 verschiedene Aus- und Aufbauvarianten werden. Im Lastenheft stand zudem ein Kurzhauben-Design zugunsten besserer Geräuschdämmung und günstigerer Crashtest-Ergebnisse, nicht zu vergessen die Option auf einen Dieselmotor.
Klare Vorteile gegenüber dem bisherigen Platzhirsch aus Wolfsburg, auch wenn der Ford mit einer an Längsblattfedern geführten Starrachse vorn und hinten weniger Komfort bot. Dafür erwarb sich der Transit den Ruf unerschütterlicher Robustheit. Ob VW oder Ford, beide Kastenwagen avancierten zu Favoriten der Reisemobilhersteller und zu Lieblingen der Flower-Power-Ära. Während Generationen von Rock- und Popbands – angefangen 1967 mit den Tremeloes über Status Quo bis hin zu Coldplay – mit dem Transit durch Europa tourten, war der Volkswagen in Amerika das Symbol der Woodstock-Generation. Heute hat der Transit auf der anderen Seite des Atlantiks aufgeholt, denn das Multitalent gehört auch dort längst zu den beliebtesten leichten Nutzfahrzeugen.
Seine Rolle als Familien- und Freizeitauto erfüllte der Transit schon früh durch Lifestyle-Versionen mit kleinen Dachfenstern à la VW Samba, einen Camper mit Polyester-Faltdach und seit 1986 durch mehrere Generationen des Transit Nugget. Schon Ende der 1960er Jahre wurde der komfortable Laderiese zum bevorzugten Familienauto vieler Kölner Ford-Mitarbeiter, wenn es in den Werksurlaub in die türkische Heimat ging. Nicht ohne Grund ist das Transit-Werk im türkischen Kocaeli seit 2004 die Hauptproduktionsstätte des bis heute fünf Millionen Mal verkauften Bestsellers.
Dass der Ford aber auch Luxus kann, zeigte eine 7,4 Meter lange Transit-Limousine mit vier hinteren Schiebetüren, die 2007 in Großbritannien vorgestellt wurde. Für die jungen Royals Kate Middleton und Prinz William hingegen war es nach ihrer Hochzeit 2011 ein schlichter Ford Kastenwagen, der ihnen auf der Insel Anglesey vor der walisischen Küste Anonymität garantierte. Tarnung und zuverlässiger Transport sind oft entscheidend:
Schon 1972 erklärte Scotland Yard den Ford zum meistgesuchten Lieferwagen Großbritanniens: „In 95 Prozent aller Banküberfälle benutzen die Täter einen Transit“, sagte ein Polizeisprecher. Ford setzte zwar als eine der ersten Nutzfahrzeugmarken auf Sicherheit durch Speedlimiter in seinen Lastern, pflegte aber andererseits ein Need-for-Speed-Image durch sogenannte Supervans.
So knackte 1972 ein Transit mit 5,0-Liter-V8-Rennmotor aus dem Le-Mans-Renner Ford GT die 240-km/h-Marke, ein Jahr später eröffnete das britische Unternehmen Hughes Overland mit 12-sitzigen Transit die schnellste Linienbusverbindung London-Australien: 10.000 Meilen in zehn Wochen bei maximal 120 km/h. 1985 erreichte das Wohnwagengespann „Supervan 2“ den Weltrekord von 270 km/h, und 2023 sorgte der Transit SuperVan 4.2 mit 1.050 kW/1.400 PS für Rekorde beim Pikes-Peak-Bergrennen.
So viel Sportlichkeit veranlasste das Ford-Marketing, 2007 einen Serienkastenwagen als „Transit Sport“ mit weißen Le-Mans-Streifen zu präsentieren – ein Designstück, das auch andere Hersteller zu Rallyestreifen-dekorierten Transportern animierte.
Einer für alle sollte der Transit von Anfang an sein, was sich in den sechs Transit-Generationen seit 1965 bis heute widerspiegelt. Im 21. Jahrhundert forderte Ford vehementer das größte Stück vom Kuchen: Die Kölner wollten auf Pole Position und alle anderen endgültig deklassieren.
Deshalb ergänzten ab 2012 die kleineren Transit-Baureihen Transit Courier, Transit Connect und Transit Custom das Angebot unterhalb des Full-Size-Transit, der inzwischen auf das Format von Mercedes Sprinter und VW Crafter angewachsen war. Bei den Pkw-Versionen ersetzte der Name Tourneo das ikonische „Transit“: So viel Vielfalt verwirrte manchmal sogar die Ford-Händler. Doch für die Kunden ist das XXL-Angebot top: Sie machen Ford Europa seit 2014 Jahr für Jahr zur größten Nutzfahrzeugmarke Europas.
Auch bei Ford ist die Zukunft elektrisch: Seit 2011 lädt der Transit nicht nur viel ein, sondern auf Wunsch auch nachhaltig auf. Ein batterieelektrisches Angebot, das es zunächst nur für einzelne Typen gab und das Ford zum 60. Geburtstag des Transit auf alle Modelle ausgeweitet hat. Und dann ist da noch die Geschichte einer wundersamen Freundschaft.
Seit 2019 kooperieren Ford und VW bei der Entwicklung neuer Nutzfahrzeuge: Transit Connect und Caddy teilen sich die Gene, aber auch Transit Custom und VW T7.
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