Erneuerbare Energien Flexibel ohne fossile Hilfe

Biogasanlage in Brandenburg: Strom für 200 Haushalte.  Quelle: dpa

Erneuerbare Stromquellen wie Wind, Sonne und Biogas sollen den Großteil der Energieversorgung der Zukunft leisten. Ihre starken Schwankungen stellen Netzbetreiber und Großverbraucher vor Probleme. Doch in der Volatilität steckt auch viel Potenzial.

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Wenn sich die Europäische Kommission jetzt festlegt, auch Atom- und Gaskraftwerke als Teil einer grünen Energieversorgung zu akzeptieren, dann klingt das wie ein Zugeständnis an die unverrückbaren Gesetze der Natur: Wind, Sonne und Biogasanlagen sind zwar durchaus in der Lage, viel Energie zu liefern – steuern aber lassen sie sich dabei kaum. Der Wind weht, wenn die Hoch- und Tiefdruckgebiete es wollen. Die Sonne scheint mal mehr und mal weniger, vor allem aber im Sommer. Das stimmt zwar, ist aber zu eindimensional gedacht, sagt Christian Hövelhaus, Gründer des Strombrokers Esforin.

„Biogasanlagen bieten mehr Potenzial zur flexiblen Stromeinspeisung als vielen bewusst ist“, meint Hövelhaus. Gut 9700 gibt es in Deutschland, viele davon kommen in die Jahre und fallen nach 20 Jahren aus der fixen Vergütung für ihren Strom nach dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Genau wie Windkraft und Fotovoltaik haben viele Landwirte mit Biogasanlagen die bequeme, garantierte EEG-Abnahme genutzt. „Wenn sie nach 20 Jahren weiter im EEG bleiben wollen, müssen die Anlagenbesitzer ihre Biogasanlage flexibel betreiben können“, erklärt Roland Reiter, der mit seinem Unternehmen AEV Energy Biogasanlagen in ganz Europa plant und baut. 2021 wurde das EEG entsprechend verändert. Das aber ist für viele Betreiber eine große finanzielle Herausforderung.

Wer nicht im EEG bleiben kann oder will, muss seinen Biogasstrom am freien Markt vermarkten. Aber auch das ist alles andere als einfach für kleine Landwirte. Sie müssten dabei eigene Verträge mit den Netzbetreibern oder Stadtwerken schließen, oft lassen sich dabei keine wirtschaftlichen Strompreise erzielen. „Biogas ist viel teurer als Wind oder PV in der Erzeugung“, sagt Ingenieur Reiter. „Etwa 8 Cent je Kilowattstunde kostet es die Betreiber, selbst wenn sie keine Rohstoffe zukaufen müssen, weil sie zum Beispiel auf dem eigenen Bauernhof anfallen.“ Dafür aber ist Biogas, anders als Wind, flexibilisierbar. Hövelhaus‘ Programmierer haben dafür spezielle Handelsalgorithmen für Biogasanlagen entwickelt: Die Programme überwachen rund um die Uhr die kurzfristigen Preise an der Leipziger Strombörse, und schalten dann den Stromfluss aus den Biogasanlagen Viertelstunden-genau zu, wenn dort die Nachfrage gerade hoch ist und die Preise klettern. So erzielen die Betreiber auch in der Direktvermarktung über die Strombörse Preise für ihren Biogasstrom, der ihnen den wirtschaftlichen Weiterbetrieb der technisch meist noch einwandfreien Anlagen ermöglicht.

Voraussetzung: Die Biogasanlagen müssen „überbaut werden, um flexibel nach Bedarf Strom erzeugen zu können“, erklärt Bauingenieur und AEV-Energy-Geschäftsführer Reiter. Sie benötigen einen oder mehrere Gasspeicher und zusätzliche Blockheizkraftwerke, die das Biogas zu Strom machen, um flexibel arbeiten zu können. Denn „die Bakterien, die das Gas aus Gülle oder anderen organischen Reststoffen machen, interessieren sich recht wenig für die Spotmarktpreise an der Strombörse Leipzig; die produzieren 24/7“, scherzt Reiter.

Das Überbauen kostet zwar – je nach Anlage – mehr als eine Million Euro, es lohnt sich aber auf die lange Frist für viele. Denn immerhin 80 Euro pro Megawattstunde mehr als ohne seinen flexiblen Angebotsalgorithmus schlägt Hövelhaus im Schnitt für den CO2-armen Biogasstrom heraus, sagt er. „Die teilen wir uns mit dem Erzeuger.“ Für größere Biogasanlagen programmieren seine 40 Mitarbeiter eigene Algorithmen, kleinere bündeln sie zu einem virtuellen Anbieter zusammen.

Mehr Erneuerbare im System

Strom wird nicht nur immer teurer, sein Angebot schwankt auch immer mehr. Das liegt am wachsenden Anteil der Erneuerbaren. In den vergangenen 20 Jahren stieg der im Jahresmittel von unter vier auf über 45 Prozent. Leider sind Wind und Sonne auch launisch. Weht im Winter oder nachts kein Wind, müssen kurzfristig Gaskraftwerke anspringen, oder französischer Atomstrom importiert werden, mittelfristig müssen Kohlemeiler stärker hochfahren, die ja spätestens bis 2038 vom Netz sollen. Das sorgt neben viel mehr Kohlendioxid aus der Stromproduktion auch für galoppierende Preise. Das funktioniert auch umgekehrt. Ein Hurrikan in den USA etwa, dessen Reste einige Tage später als Tiefausläufer über den europäischen Westküsten auftauchen werden und viel Wind bringen, kann die Strombörsenpreise für Kontrakte mit Lieferdatum in fünf bis sieben Tagen extrem drücken. Je mehr Erneuerbare im Netz, desto unberechenbarer die Preise und das Stromangebot.

Vor allem für die Netzbetreiber sind die launischen Erneuerbaren ein Problem. „Windstrom etwa hat im Vergleich zu Wasserkraft oder fossilen Stromquellen wie Gas und Kohle einen sehr großen statistischen Prognosefehler von durchschnittlich fünf Prozent“, erklärt Hövelhaus. In einfachen Worten: Aus für den kommenden Tag vorhergesagten 100 Megawatt Windstrom, die an der Börse Leipzig gehandelt werden, können jederzeit 105 werden – oder nur 95. Die Netzbetreiber aber benötigen planbare Leistung, um Frequenz und Spannung in ihren Netzen stabil zu halten. Gelingt das nicht, müssen Regelleistungskraftwerke hochfahren, in der Regel teures Gas. Wenn auch das nicht reicht, muss gar „Last abgeworfen“ werden, wie das im Jargon heißt: Einige Verbraucher bekommen für ein paar Stunden weniger Strom. „Deswegen müssen die Netzbetreiber erneuerbaren Strom ausgleichen, wenn nicht gesichert ist, dass er den akuten Bedarf zu 100 Prozent decken kann“, erklärt Hövelhaus. Lässt der erneuerbare Strom sich aber flexibel einspeisen, hat das einen großen Effekt: Weil die Netzbetreiber die fünf Prozent Prognosefehler mit dem Strom aus dem flexibilisierten Biogas jederzeit ausgleichen können, können sie insgesamt viel mehr Erneuerbare abnehmen und ins Stromsystem integrieren. Das entlastet die Netze und spart CO.

Als Nächstes will der Ex-RWE-Manager nun Algorithmen auch für Windparks und PV-Anlagen schreiben, die nach 20 Jahren aus dem EEG fallen. Die seien aber noch im Pilotstadium, gibt er zu: „Wind etwa ist technisch sehr viel schwieriger als Biogas oder. Hochfahren kann man sie nicht; nur über den Bedarf hinaus ausbauen und dann über Teilabschaltungen regeln.“

Mehr zum Thema: Ein ehemaliger RWE-Manager kümmert sich mit speziellen Algorithmen um die immensen Stromrechnungen der Industrie – und spart dabei eine Menge Geld.

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