Erneuerbare Energien Strom vom Meer soll wettbewerbsfähig werden

Neue Technik soll Windparks in Nord- und Ostsee endlich wettbewerbsfähig machen. Doch werden die Anlagen für die Energiewende überhaupt gebraucht? Eine Exklusivstudie deckt Risiken auf.

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Bei Offshore-Windparks gibt es viele Einsparungsmöglichkeiten Quelle: dpa

Mitte der Achtzigerjahre, als die DDR noch existierte, bauten auf der Volkswerft in Stralsund fast 8500 Menschen Fracht- und Containerschiffe wie am Fließband. Es war ein ständiges Hämmern und Kreischen. Heute würden sich die 57.000 Einwohner des Ostseestädtchens nahe der Insel Rügen über ein wenig Lärm freuen, aber meist ist es still. Gerade noch rund 100 Schiffbauer beschäftigt der aktuelle Eigentümer der einstigen Volkswerft, die Nordic Gruppe des russischen Investors Witali Jussufow.

Jetzt keimt Hoffnung. In einer angemieteten Halle auf dem weitläufigen Gelände der Werft schweißen Schlosser des Dresdner Ingenieurunternehmens Gicon seit Juni Stahlrohre mit mehreren Meter Durchmesser zusammen. Sie bauen den Prototyp eines völlig neuen, schwimmenden Fundaments. Auf ihm sollen sich bald Windräder weit höher als der Kölner Dom drehen. Draußen auf dem Meer – selbst dort, wo es 500 Meter tief ist.

Die Konstruktion rammen die Arbeiter nicht wie heute üblich metertief in den Seeboden. Stattdessen versenken sie Betonklötze am Meeresgrund, befestigen an diesen Stahlseile, die das Fundament knapp unter der Wasseroberfläche in einer stabilen Position halten, unbeeindruckt von Wind und Wellen. Spätestens vom Juni nächsten Jahres an soll das Stahlungetüm, bestückt mit einer 2,3-Megawatt-Turbine, am Rande des Offshore-Windparks Baltic 1 in der deutschen Ostsee seine Tauglichkeit beweisen.

Strom vom Meer wird wettbewerbsfähig

Bewährt sich die Technik, könnte sie den maritimen Grünstrom von seinem größten Makel befreien: Er ist mit rund 14 Cent je Kilowattstunde (kWh) zum Teil mehr als doppelt so teuer wie an Land produzierter Windstrom. Das preiswerte Gicon-Fundament, das mit relativ wenig Material auskommt und sich günstig aufstellen lässt, würde die Erzeugungskosten laut Berechnung der Glücksburger Consulting Group (GLC) auf rund 9,5 Cent senken. Die Wettbewerbsfähigkeit der Meerelektrizität hätte sich mit einem Schlag um einen riesigen Satz verbessert.

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Und die Stralsunder könnten auf neue Jobs hoffen. Setzt sich das Gicon-System als Standard durch, wovon Projektleiter Burkhard Schuldt überzeugt ist, würden die Sachsen schon 2017 die Serienproduktion aufnehmen.

Die heimische Offshore-Industrie ist auf solche Erfolgsmeldungen dringend angewiesen, denn ansonsten drohen die anderen erneuerbaren Energien sie endgültig abzuhängen. Zu unwirtschaftlich, zu kompliziert, zu zentralistisch seien die Windmüller, meinen Kritiker. Selbst der einstmals teure Solarstrom wird nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) mit 8,8 bis 12,5 Cent je kWh inzwischen deutlich geringer vergütet. Windparkbetreiber zu See hingegen kassieren weiterhin bis zu 19,4 Cent.

Experten halten Offshore-Windräder für überflüssig

Nicht alle ziehen aus dem Kostennachteil der Offshore-Anlagen so radikale Schlüsse wie Matthias Willenbacher, Mitgründer des Ökokraftwerk-Planers Juwi im rheinhessischen Wörstadt. Er hält sie schlicht für überflüssig, um die Energiewende zu schaffen. „Man kann an Land genug Strom erzeugen – und das preiswerter.“ Eine Studie des Berliner Thinktanks Agora Energiewende stützt seine Position. Fazit der Experten: Windräder an Land statt auf dem Meer zu bauen mache die Energiewende deutlich billiger, nämlich um zwei bis zweieinhalb Milliarden Euro pro Jahr.

Dennoch wird es laut Dirk Briese, Geschäftsführer des Bremer Beratungsunternehmens windresearch, nicht ganz ohne die Watt und Volt aus Nord- und Ostsee gehen. Sonst müsse ganz Deutschland mit Windrädern und Solarmodulen zugepflastert werden, um die 400 Terawattstunden pro Jahr zu erzeugen, die die Bundesregierung 2050 als Bedarf unterstellt. „Langfristig brauchen wir Offshore im Mix“, betont Briese.

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