Umweltschutz Recycling liegt voll im Trend

In der abfallfreien Wirtschaft werden alte Möbel zu neuen Möbeln und alte Autos zu neuen Autos. Kreislaufprodukte erleben gerade ihren Durchbruch.

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Ein wiederverwertbarer Bürostuhl der britischen Firma Herman Miller

Britische Geheimagenten, Mitarbeiter der Bank of Australia und Gäste der Hotelkette Hilton Garden Inn haben eines gemeinsam: Sie sind Vorreiter einer neuen, abfallfreien Wirtschaft. Sie sitzen auf fast vollständig wiederverwertbaren Stühlen des britischen Büromöbelherstellers Herman Miller.

Haben die Sitzmöbel ausgedient, werden sie von Miller-Mitarbeitern in ihre Einzelteile zerlegt. Gut 40 Prozent des Materials können sie so direkt wieder in neue Stühle einbauen. Der Rest wird eingeschmolzen und zu neuen Bauteilen geformt. Insgesamt werden 96 Prozent des Materials wieder verwendet – eine bisher utopisch erscheinende Quote.

Der neue Ökostuhl ist Vertreter einer neuen Spezies sogenannter Kreislaufprodukte, die niemals auf der Müllhalde landen. Möbel, Autos und Computer werden am Ende ihres Lebens zur Grundlage neuer Produkte, immer wieder, in einem ewigen Kreislauf.

Die Idee für die Kreislaufprodukte hatten der US-Architekt William McDonough und der deutsche Chemiker Michael Braungart. Sie nennen das Prinzip „Cradle-to-Cradle“ (C2C), von der Wiege zur Wiege.

Großes Interess der Industrie an C2C

Das Neue daran: Möglichst viele Bauteile werden direkt wieder genutzt. Denn das seit Jahren propagierte Sortieren von Materialien und anschließende Herstellen von Recycling-Rohstoffen führt schon nach wenigen Durchläufen zu einem dramatischen Qualitätsverlust. Damit soll jetzt Schluss sein.

Die Möglichkeiten dieser neuen Form der Kreislaufwirtschaft werden von der Industrie mit großem Interesse beäugt. Denn die meisten Unternehmen erwarten, dass die Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Kunststoffgranulat und Baumwolle schon bald wieder deutlich steigen werden. Schon heute lassen sich Konzerne wie BASF, Nike, Volkswagen und Unilever von Baumgarts Unternehmen EPEA – Internationale Umweltforschung aus Hamburg beim Einsatz der neuen Produktionsmethoden beraten.

In Deutschland gibt es rund 600 Produkte, die mit der neuen Kreislaufmethode hergestellt werden: So sind die Sitzbezüge des Riesenfliegers Airbus A380 kompostierbar. Sind sie durchgesessen, werden sie zu Nährstoffen für Baumwollpflanzen, aus denen neue Sitzbezüge hergestellt werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was hinter dem Öko-Leasing-Konzept steckt.

Bürostuhl in Einzelteilen. Alle Teile können wiederverwertet werden

Selbst Kleidung eignet sich für die Kreislaufproduktion. Würde man allein alle 500 Millionen Schuhe zu einem Haufen stapeln, die im deutschsprachigen Raum Jahr für Jahr auf dem Müll landen, ergäbe dies alleine einen rund 130 Meter hohen Abfallhaufen. „Um diesen Müllbergen zu entgehen, brauchen wir intelligente Schuhsysteme“, sagt Dominik Walcher, Professor für Design und Produktmanagement an der Fachhochschule in Salzburg.

Der amerikanische Sportartikelhersteller Nike hat den 100 Euro teuren Laufschuh Pegasus nach dem Cradle-to-Cradle-Konzept hergestellt: Die Außensohle besteht aus recyceltem Gummi geschredderter Sportschuhe. Sind die Schuhe abgenutzt, nimmt Nike sie zurück und stellt daraus neue her.

Die Idee des Ökovisionärs Braungart geht noch weiter: Er fordert eine Art Öko-Leasing. Das würde bedeuten, dass Gebrauchsgüter für ihre Lebensdauer nur noch verliehen werden. Kunden kaufen dann ihren Fernseher nicht mehr, sie erwerben 5.000 Stunden Nutzungszeit. Ist die Zeit abgelaufen, holt der Hersteller das Gerät ab und verwertet dessen Einzelteile.

Kritik an technischen Gegebenheiten

Heute schon verleiht ein Bielefelder Fensterproduzent seine Produkte an Kunden: Haben die Fenster ausgedient, nimmt sie das Unternehmen zurück und verwendet die Einzelteile weiter. Der weltgrößte Teppichhersteller Shaw aus dem US-Bundesstaat Georgia bietet ähnliche Dienstleistungen für Teppichböden an.

Kritiker halten den C2C-Aktivisten entgegen, dass ihr abfallfreies Wirtschaften zu oft an technischen Gegebenheiten scheitert. So existieren nicht einmal „die nötigen Sortiermaschinen für Sekundärrohstoffe wie etwa Kunststoff“, sagt Klaus Wiemer, Experte für Abfallwirtschaft der Universität Kassel.

Häufiges Erhitzen von Plastik-Granulat verkürze zudem die Molekülketten und beeinträchtige die Qualität des recycelten Materials, warnen Experten.

Doch die Visionäre scheren sich wenig um derlei Bedenken. Stattdessen lassen sich inzwischen Politiker vom Cradle-to-Cradle-Fieber anstecken: Gouverneur Arnold Schwarzenegger etwa will Kalifornien zu einem C2C-Staat machen. Und die niederländische Umweltministerin Jacqueline Cramer gab bekannt, im Jahr 2012 den öffentlichen Einkauf in Höhe von 40 Milliarden Euro auf „Cradle-to-Cradle“-Beschaffung umzustellen.

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