100 Jahre KaDeWe Königin der Kaufhäuser

Das Berliner KaDeWe wird 100 Jahre alt – ein Besuch bei einer Luxusdame, die ins Reich der Wünsche lockt.

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Die Kosmetik lebt vom Älterwerden, vom Traum der ewigen Jugend. La Mer, die Creme, die aus der Tiefe des Meeres kommt und in den USA produziert wird, feiert gleich am Eingang zum „Beauty Department“ des KaDeWe das Wunder der Verjüngung. Katrin Miethke trägt den Titel Counter Managerin und sitzt lächelnd am weiß mattierten Ladentisch vor einem grün leuchtenden Aquarium wie vor einem Jungbrunnen. Sie erzählt vom Mirakel der Erneuerung: Wie aus fermentiertem Seetang, im Zusammenspiel mit Kalzium, Magnesium, Lecithin und Vitaminen sowie Ölen von Zitrusgewächsen, Eukalyptus, Weizenkeimen und Alfalfa, eine Creme entsteht, welche die Haut glatter und geschmeidiger, feiner und samtiger macht, die, mit anderen Worten, nicht nur die Haut, sondern den ganzen Menschen verjüngt. La Mer weist den Weg zurück zu den Quellen. Wie neugeboren soll sich der Kunde fühlen. Erst recht in einem Luxuskaufhaus, das am 27. März 100 Jahre alt wird und sich auf die Kraft der Metamorphosen beruft, auf seine ungebrochene Vitalität. „Das KaDeWe ist eine ältere Dame, aus der wir eine jüngere gemacht haben“, sagt ihr Chefmanager Patrice Wagner, ein kraftvoll wirkender, hochgewachsener Franzose, der zuvor die Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße in Schwung brachte und mit seinen knapp 40 Jahren selber etwas Rosig-Jungenhaftes hat. Seine jüngste Metamorphose vollzog das 1994 von Karstadt übernommene Haus mit dem Umbau vor drei Jahren: Im Erdgeschoss sind die globalen Lifestylemarken eingezogen. Von Bulgari bis Louis Vuitton streckt sich der sogenannte Luxusboulevard, eine Parade der gehobenen Konsumkultur. „Man braucht solche Marken“, sagt KaDeWe-Chef Wagner, „um Kompetenz zu signalisieren“ und, so der Wille des Karstadt-Vorstands, in der Liga der Top Ten mitspielen zu können, neben Harrods in London, der Galeries Lafayette in Paris oder Barneys in New York. Fünf Kernbegriffe markieren für Wagner den zukünftigen Weg des KaDeWe: Es muss internationaler, luxuriöser, modischer, jünger werden und dabei unverwechselbar bleiben. Mit anderen Worten, das KaDeWe soll werden, was es von Anfang an war: ein Haus für die Happy Few und das große Publikum. Nicht zuletzt für die kaufkräftigen Älteren, die als Jüngere umschmeichelt werden wollen. Zielgruppe: Ab 36 aufwärts. Der Konsum integriert sie alle: die Dior-Stammkundin, die ihre Handtaschen-Sammlung mit der Gaucho Saddle Bag aus Leder vom Pythonbauch vervollständigt, den Familienvater, der für seine schulpflichtige Tochter bei Longchamp den Saisonrenner Pliage kauft, eine faltbare Schultertasche aus Nylon, in die auch die Din-A4-Schnellhefter passen, und den Berlintouristen aus Lemgo, der eine KaDeWe-Tragetasche mit nach Hause bringt. „Im KaDeWe einzukaufen“, sagt Wagner in einem Anflug von Poesie, „das ist, als bohre man in den viel beschriebenen grauen Himmel über Berlin ein kleines Loch, um ein Stück Sonnenschein ins Leben zu holen, mit einer Schokolade für vier Euro fünfzig oder mit einer Uhr für 145.000.“ Ein Exemplar dieser Preisklasse ruht im KaDeWe unter Glas am anderen Ende des Luxusboulevards, in der feinen Uhren- und Schmuckabteilung: Ein Tourbillon aus dem Hause Blancpain mit Schleppzeigerfunktion und ewigem Kalender. Ein klassisches Sammlerstück, kein Ziel für Spontankäufer, die eher selten sind in der Uhrenabteilung. Bei der Mille Miglia von Chopard komme es gar nicht darauf an, alle Extras, von der Stoppuhr bis zur Gangreserveanzeige, zu nutzen, sagt Claudia Gruber, die Chefin der Abteilung. Das Gefühl „ich könnte“ versetzt ihn schon in eine gehobene Stimmung. Frau Gruber führt eine Kundenkartei und ruft schon mal gute Kunden an, zum Beispiel den in London lebenden russischen Geschäftsmann, um ihm eine neue Auswahl von Zeitmessern zusammenzustellen, oder den Frankfurter Banker, um ihn an den Geburtstag seiner Frau zu erinnern: „Da sind die Herren dankbar.“ Von der auf zehn Stück limitierten Auflage der Wellendorff-Ringe „Himmlische Herzen“ für je 2430 Euro hat sie schon sechs verkauft. Zu Beginn des Jahres, nach einem erfolgreichen Geschäftsjahr, investieren inzwischen auch Geschäftsfrauen ihren Jahresbonus gern in ein Schmuckstück, in das sie sich verliebt haben. Wer schönen Schmuck kauft, drückt nicht nur seinen Geschmack, sondern auch seine Wertschätzung sich selbst gegenüber aus. Er findet sein besseres, schöneres Ich in einem Brillanten gespiegelt. Oder er sonnt sich im Nimbus der Marke, wie es die Chinesen tun, die, wie Frau Gruber weiß, Uhren der Traditionsmarken Longines oder Omega bevorzugen. Brilliert die Uhrenabteilung durch ausgewählte Stücke, so herrscht in der Feinkostabteilung der schiere Überfluss. 500 Mitarbeiter, davon 150 Köche und Konditoren, verwandeln die Etage an mehr als 30 Gourmetständen in einen Kosmos der Verfeinerung. So hat der Liebhaber von Krustentieren die Auswahl zwischen einem Dutzend unterschiedlicher Krabbensalaten. Die Verkäufer heißen Verkaufsberater. Ihre Berliner Schnoddrigkeit ist Teil der Markenpflege. Auch dass viele Kunden motzen, gehört zum guten Ton. Die Berliner betrachten das KaDeWe als volkseigen und beschweren sich wie über ein Familienmitglied.

Die alte Berliner Diva KaDeWe, mit 60.000 Quadratmeter Verkaufsfläche die Königin unter den Kaufhäusern des europäischen Kontinents, ist in ihrer 100-jährigen Geschichte immer wieder teilrenoviert, erweitert und rundum erneuert worden, und in diesen Verwandlungen ist sie, so gut es eben ging, sich selber treu geblieben: von Beginn an, noch im Kaiserreich, als die Kaufhäuser sich dem Publikum zum ersten Mal als Kathedralen des Konsums präsentierten; dann Ende der Zwanzigerjahre, als das von Kommerzienrat Adolf Jandorf gegründete Kaufhaus des Westens an der Tauentzienstraße von Hermann Tietz übernommen und der Hertie-Gruppe eingegliedert wurde; und im Dritten Reich, als die Nationalsozialisten die Kaufhäuser als „Trutzburgen des Kapitals“ und „Pflanzstätten der Verschwendungssucht“ brandmarkten und die jüdischen Eigentümer aus der Unternehmensführung drängten. Totzukriegen war es nicht. Nach dem Krieg, als das fast völlig ausgebrannte Haus aufgebaut, 1950 wiedereröffnet und sechs Jahre später um die Feinkostabteilung im sechsten Stock erweitert wurde, avancierte das KaDeWe zu den beliebtesten Ausflugszielen der Berlintouristen und der renommierlustigen Westberliner, zum Inbegriff von Wohlstand und gutem Leben, kurz: vom goldenen Westen. Kunde Clemens Altschiller, der seine Kindheit in Westberlin verbracht hat, erinnert sich, wie er mit seiner Mutter Ende der Fünfzigerjahre das KaDeWe besuchte, zu einer Zeit, da es für die bürgerliche Ehefrau noch selbstverständlich war, eine Schneiderin zu haben: Die Stoffabteilung im Erdgeschoss quoll über von kostbaren Samt- und Seidenballen, Fahrstuhlführer riefen wie im Grandhotel die Stockwerke aus, in der Spielwarenabteilung im ersten Stock türmten sich riesige, bewegliche Stofftiere, kreisten gigantische Kräne, fuhren Eisenbahnen durch zerklüftete Alpenlandschaften, und unterm Dach im sechsten Stock lockte der Schokoladenhimmel: die Trüffel- und Pralinenabteilung. „Das KaDeWe markierte den Horizont des Wünschbaren“, erinnert sich Altschiller, „und es erweiterte ihn ins Fantastische.“ Freilich können nicht alle Wünsche erfüllt werden. Dem jungen Vater, der für seinen neugeborenen Sohn einen Wein des Jahrgangs 2007 sucht, weist Sommelier Peter Taubert freundlich darauf hin, dass man erst in einem Jahr darüber reden könne. Im Gegensatz zum Beauty Department, wo alles jung, frisch und neu daherkommt, zählen im sechsten Stock Patina und Herkommen. Wer dagegen zum 50- oder 100-jährigen Firmenjubiläum den entsprechenden Jahrgang sucht, wird bei Taubert fündig: Den Madeira Bual von 1907 gibt es für rund 750 Euro, in Reichweite eines Romanée-Conti von der Côte d’Or für 5500 Euro. Der Heidsieck-Champagner von 1907, der vor Jahren vom Meeresgrund der Ostsee geborgen wurde, ruht inzwischen im Raritätenkeller. Hinter einer Gittertür im sechsten Stock warten edelsüße Versteigerungsweine auf ihre Verkostung. Russische Kunden, die inzwischen mit der Kreditkarte zahlen, wollen einfach nur das Beste: zum Beispiel den Jahrgangscognac von Hennessy. Franzosen suchen nach dem Besonderen, etwa einem Mirabellenbrand des Weinguts Dr. Wehrheim von der Südlichen Weinstraße. Der Arbeitslose aus Marzahn, der einfach nur die lockende Nähe der vielen schönen Dinge genießen will, begnügt sich mit einem Armagnac oder kauft eine Tiefkühlpizza, die garantiert doppelt so teuer ist wie im Supermarkt. Und der Westberliner Edelproll, von Kopf bis Fuß in Louis Vuitton gekleidet, genehmigt sich an der Bar einen Champagner. Stammkunden versorgen sich jede Woche mit ihren Lieblingssüßigkeiten. Zum Beispiel mit Borkenschokolade aus der Berliner Schokoladenmanufaktur Erich Hamann, hauchdünn ausgewalzt und geschichtet. „Schmeckt wie nach dem Krieg, zergeht wunderbar auf der Zunge“, sagt die 72-jährige Dame, die mit ihrer drei Jahre älteren Schwester einmal die Woche die Trüffeltheken besucht. In jüngster Zeit wird die „Reinheit der Kakaobohnen“ wiederentdeckt, sagt Ingo Wilken, Chef der Süßwarenabteilung: „Die Criollobohnen werden wie Edelsteine gehandelt.“ Bei Pralinen haben Mischungen mit Ingwer, Chili, Muskat oder Balsamico Konjunktur. „Die Hip-Hop-Generation steht drauf“, sagt die Verkäuferin und reicht eine Praline mit rosa Pfeffer über die Theke. Mehr als 1500 Düfte und noch viel mehr Träume hält das Beauty Department im Erdgeschoss parat. Träume von Liebe, Leidenschaft und neuem Leben. Da können schon mal aparte Anekdoten das Interesse für ein Produkt wecken. Etwa das Parfüm der Dessousmarke Agent provocateur im eiförmigen, rosafarbenen Porzellanflakon. Die Verkäuferin erzählt vom Paris des Jahres 1648, als die Geliebten der Adligen mit vergifteten Parfüms und Lippenstiften in den Tod geschickt wurden. Entsprechend süß und betäubend riecht das Parfüm. Keine Frage, es soll zum Versinken einladen, am besten in den Armen einer verruchten Frau. „Man soll den Duft gar nicht lieben“, sagt die schlaue Verkäuferin, „er legt eine Spur und setzt einen Akzent.“ Die Freunde der leisen Töne, für die Düfte eher eine Ahnung sind, die man im Vorbeigehen erhascht, halten sich lieber an die Klassiker von Chanel oder Armani. Wählerische Kunden schwören auf die Düfte des alteingesessenen Wiener Herstellers Knize. Oder sie halten sich an die Naturkosmetik von Kiehl’s, einer Marke, an deren Stand die Verkäuferinnen wie zum Beweis ihrer Seriosität im Apothekerkittel vor einer Schiefertafel bedienen. Das KaDeWe ist eine „Vergnügungsmaschine“, sagt Patrice Wagner. Es will unterhalten, verzaubern, verführen. Und muss im Chaos der Marken das eigene Markenprofil deutlich machen. Am besten direkt in der Eingangshalle. 500 Quadratmeter sind dort schon leergeräumt worden. Das holländische Modeduo Viktor & Rolf hat hier seinen ersten Duft „Flowerbomb“ lanciert. Und zur diesjährigen Berlinale krönte das Model Eva Herzigowa den Auftritt der Champagnermarke Dom Pérignon. Danach fuhr sie in die sechste Etage und kaufte ein – Rollmops und Leberwurst.

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