2004 Konjunkturausblick: Riskante Gratwanderung

Weltweit zieht die Konjunktur an und Deutschland mit. Doch der Aufschwung ist noch gefährdet.

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Containerhafen in Hamburg

Die Weihnachtsbescherung aus Berlin kam neun Tage vor Heiligabend. Am frühen Montagmorgen einigten sich Bundesregierung und Opposition darauf, die für 2005 vorgesehene dritte Stufe der Steuerreform auf nächstes Jahr vorzuziehen. 

Doch das große Geschenk, das sich Bürger und Wirtschaft erhofft hatten, war erheblich geschrumpft. Mit 7,8 Milliarden Euro fällt die Steuerentlastung nur halb so hoch aus wie ursprünglich von der Bundesregierung avisiert. Zusammen mit der zweiten Stufe der Steuerreform werden Bürger und Unternehmen im nächsten Jahr um reichlich 15 Milliarden Euro entlastet, rund sieben Milliarden weniger als geplant. Zu gering war der Mut der Politiker, bei den Staatsausgaben stärker den Rotstift anzusetzen, um die Steuern wie versprochen zu senken. Der Zuversicht von Bundeskanzler Gerhard Schröder tat das jedoch keinen Abbruch: „Diese Entscheidung wird dazu beitragen, dass der Aufschwung stabilisiert und unterstützt wird“, frohlockte er nach der Marathonsitzung in Berlin 

Nur Zweckoptimismus? Tatsächlich scheint die deutsche Wirtschaft die Talsohle durchschritten zu haben. Die wichtigsten Stimmungsindikatoren zeigen nach oben. Die Auftragsbücher der Unternehmen füllen sich wieder, die Produktion zieht an. Für nächstes Jahr rechnen die Volkswirte in Banken und Konjunkturinstituten mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von bis zu zwei Prozent, nachdem die Wirtschaft in diesem Jahr stagniert hat. 

An Dampf verlieren

Von einem selbsttragenden Aufschwung ist die deutsche Wirtschaft aber noch weit entfernt. So war es allein der kräftigen Nachfrage aus dem Ausland zu verdanken, dass das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zulegte. Die inländische Nachfrage brach dagegen um 1,6 Prozent ein. An der Schwäche der Binnenkonjunktur dürfte sich auch in den nächsten Monaten wenig ändern, das Vorziehen der Steuerreform dürfte das Wachstum des BIPs um allenfalls 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte erhöhen. Das macht die deutsche Wirtschaft besonders anfällig für Störungen von außen. Die nächsten Monate könnten daher zu einer „Gratwanderung zwischen konjunktureller Beschleunigung und Risikofaktoren werden“, fürchtet Michael Hüther, Chefvolkswirt der DekaBank. 

Das größte Risiko: Die US-Konjunktur, die mit ihrem kräftigen Wachstum im dritten Quartal die Weltwirtschaft aus der Talsohle zog, könnte in den nächsten Monaten an Dampf verlieren. Die riesigen Defizite in Staatshaushalt und Leistungsbilanz drohen den Dollar auf Talfahrt zu schicken und die Zinsen in die Höhe zu treiben. Bricht die Auslandskonjunktur ein und setzt der Euro seinen Höhenflug fort, dürfte es mit dem Aufschwung in Deutschland schon vorbei sein, bevor er überhaupt begonnen hat. 

Die deutschen Unternehmen sind sich dieser Risiken bewusst. In einer Umfrage, die das Münchner Ifo-Institut exklusiv für die WirtschaftsWoche unter rund 1000 Firmen aus Industrie, Handel, Bau und Dienstleistungen durchführte, sorgten sich rund 28 Prozent der Befragten, dass sich der weltweite Aufschwung als Strohfeuer erweisen werde. Knapp die Hälfte der Befragten glaubt, dass sich eine wirtschaftliche Besserung allenfalls im Ausland, nicht aber im Inland einstellen wird. 

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