Alles muss raus: Die Welfen versteigern Kunst und Plunder aus Gründen, die auch Bürgersleut´ verstehen. Sie brauchen Geld für ihre Schlösser. Hoheiten geruhen zu verkloppen

Hoffentlich hat er sich die Sache gut überlegt. Denn das 131 Zentimeter lange Prozessionsschwert aus der Garde von Julius, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, hätte er in seinen andauernden Auseinandersetzungen mit der Yellow Press womöglich noch einmal brauchen können.

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Einige seiner Besitztürmer werden versteigert: Prinz August von Hannover. Quelle: handelsblatt.com

HB SCHLOSS MARIENBURG.Genauso wie die Ritterrüstung "im maximilianischen Stil" aus dem Jahr 1520 mit dem geschlossenen Helm und den blechernen Schulter- und Knieschonern. Bestens einsetzbar als wirksame Sichtblende gegen Paparazzi, die insbesondere der angeheirateten Verwandtschaft in Monaco ständig und heftig zusetzen.

Aus und vorbei. Ernst August, Prinz von Hannover, Prinz von Großbritannien und Irland, Herzog von Braunschweig und Lüneburg und Ehemann von Caroline Louise-Marguerite Grimaldi Prinzessin von Monaco hat im vergangenen Jahr seine deutschen Besitztümer, darunter zwei Schlösser und 1 600 Hektar Ländereien in Niedersachsen und in Ostdeutschland, an seine Söhne aus erster Ehe überschrieben. Und die beiden Welfenprinzen, Ernst August junior, 22, und Christian, 20, haben sogleich damit begonnen, Schlosskammern und Dachböden zu entrümpeln, um tüchtig Geld zu verdienen. So gehören das Schwert (Losnummer 229, geschätzter Wert: zwischen 6 000 und 8 000 Euro) und die Rüstung (Nummer 273, bis 80 000 Euro) nun zu jenen 20 000 Objekten, die das Königshaus von Hannover, das älteste Adelsgeschlecht Europas, seit Mittwoch auf Schloss Marienburg, westlich von Hildesheim, versteigern lässt - die bislang größte Auktion adliger Besitztümer in Deutschland, ein wahrhaft royales Angebot für alle Freunde deutscher Aristokratie und Geschichte, das noch bis zum 15. Oktober gilt.

Das alles soll einem guten, wenn auch nicht ganz uneigennützigen Zweck dienen: Mit dem Geld wollen die Prinzen Schloss Marienburg restaurieren und die Liegenschaft für die Öffentlichkeit erhalten. Dafür brauchen sie Geld, viel Geld. Weil aber dem Haus Hannover "eine echte Cash-Cow", etwa eine renditeträchtige Industriebeteiligung, fehlt, wie es ein enger Freund von Clanchef Ernst August ausdrückt, muss eben auch der Adel hin und wieder einen Teil seines Tafelsilbers verkaufen. Dass Familienmitglieder dennoch laut aufschreien und der jungen Verwandtschaft unlautere Absichten unterstellen, klingt nach allzu bürgerlichen Verhaltensmustern, dürfte das Interesse im Volk an der aristokratischen Haushaltsauflösung aber eher noch befeuern.

Es ist Mittwochmorgen, und die Oktobersonne kämpft gegen den Dunst an, es ist ziemlich frisch auf der neogotischen Burg hoch über der Leine. Britische Königsfreunde und italienische Antiquitätenhändler, holländische Sammler und deutsche Kunstkenner sind schon früh die kurvenreiche und in einen dichten Laubwald eingebettete Schlosszufahrt heraufgekommen. Sie tragen den dreibändigen Auktionskatalog mit fast 1 000 Seiten unter dem Arm, die wichtigsten Stellen sind mit gelb leuchtenden Post-It-Zettelchen versehen.

Aber auch das Fußvolk ist rechtzeitig aufgestanden, etwa in Gestalt der 65-jährigen Frieda Petersen aus dem nahen Nordstemmen. Sie hat sich auf eine längere Veranstaltung eingestellt: In einer Plastiktüte liegen zwei in Alufolie gepackte Brötchen - gute Voraussetzung, dass sie ihren Devotionalienwahn wenigstens körperlich übersteht. Petersen gibt sich als treue Begleiterin der Welfen-Familie im Geiste aus: "Ich habe so viel über die Welfen, Prinz Ernst August und Caroline gelesen. Für mich würde ein Traum in Erfüllung gehen, etwas von der Familie zu besitzen." Vielleicht eine Tischdecke mit königlichem Emblem. "Die könnte ich mit Glück für 300 Euro bekommen", sagt Petersen. Dabei muss sie indes blaublütige Konkurrenz fürchten: Auch Gloria von Thurn und Taxis hat bei einer Vorbesichtigung schon Interesse an der Tischwäsche angemeldet.

Im Hof der Burg steht auf knirschendem Kies nun ein weißes Festzelt mitsamt 350 blau gepolsterten Stühlen. Vorne, auf einem kanzelähnlichen Holzpodest, hat sich, medienwirksam eingerahmt von zwei polierten Ritterrüstungen, Philipp Herzog von Württemberg aufgebaut, ein hagerer, leicht ergrauter Mann in dunkelblauem Anzug und mit ernster Miene. Der Herzog, 41, amtiert als Deutschland-Chef des Auktionshauses Sotheby´s, dem die Welfen ihren Schatz zur Mehrung des eigenen Wohlstands vermögenswirksam anvertraut haben.

Drei Minuten nach zehn eröffnet er mit fünf Hammerschlägen die Versteigerung ohne große Vorreden. Los geht´s mit knapp 200 alten Meistern der deutschen, holländischen und französischen Schule aus dem 15. bis 17. Jahrhundert, vorwiegend Porträts von Fürsten und Königen. Mit weit aufgerissenen Augen starrt der Auktionator ins Publikum, wo karierte Flanellsakkos und akkurat gescheitelte Grauschöpfe überwiegen. Im Blick haben muss der Herzog nicht nur das Saalpublikum, sondern auch die drei Dutzend Sotheby´s-Mitarbeiter, die in einem Seitentrakt des Zelts sitzen und 100 Telefonleitungen bedienen.

Wenn der Auktionator ein neues Gebot entdeckt hat, schnellt er wie ein Habicht aus seinem Horst nach vorn, lehnt sich weit über das Pult, zieht die Augenbrauen heftig nach oben, die Beute fest im Visier, den Hammer in der Hand. Losnummer 3, Porträt einer Nobeldame, vermutlich Philippina Welser, erste Frau von Ferdinand, dem Herzog von Tirol, 16. Jahrhundert, Öl auf Leinwand. "Wir beginnen mit 2 000 Euro, two thousand, due mille, ja, hier rechts 2 300, danke, 2 500 am Telefon, 2 800 rechts vorn, 3 000 neuer Bieter, dort hinten, 3 300, 3 500, 3 800 rechts vorn, 4 000, danke schön, 4 000, 4 000 am Telefon, gegen Sie alle im Saal, am Telefon, für 4 000, for four thousand, am Telefon, wir verkaufen nun für 4 000, I´m selling now for four thousand, am Telefon, letzte Chance, last chance. Verkauft für 4 000. Danke schön. Danke auch an die Unterbieter." Ein Schluck Wasser. Weiter mit Losnummer . . .

Keine Pause, keine Zeit für Exkursionen in die Geschichte des Königshauses, nur der Erlös zählt. Plunder raus im Minutentakt, ständig saust der Hammer auf das Pult, sonst wäre das Pensum bis Mitte des Monats auch nicht zu schaffen. Am Nachmittag sind nach den Bildern Waffen und Rüstungen dran, in den nächsten Tagen Tafelsilber und Porzellan, Uniformen und Satteldecken, Vasen und Möbel.

Schon am ersten Auktionstag ersteigert ein Händler aus Norwegen ein dreiflügeliges Altarbild eines Schülers von Lucas Cranach für 180 000 Euro. Sotheby´s hatte das Bild aus dem Jahr 1516 zuvor auf 60 000 bis 80 000 Euro taxiert. Am Donnerstag kauft ein Telefonanbieter gar ein Ölgemälde aus dem 18. Jahrhundert für 540 000 Euro. Nach nur zwei Tagen liegen bereits zwölf Millionen Euro in den Kassen der Welfen.

Der Rausverkauf im königlichen Haus ist nicht der erste unter Deutschlands Adel. Schon Gloria von Thurn und Taxis (1993) und Max Markgraf von Baden (1995) erlösten vor Jahren etliche Millionen Euro mit Versteigerungen von Kunst, Kitsch und Kuriosem.

Ausmisten nennt man das bei Bürgerlichen, Familiensilber zu Geld machen heißt es bei Höhergeborenen. Wie auch immer: Jedes Mal, wenn sich der Adel zur Inventar-Entrümpelung entscheidet, sind die gleichen blaublütigen Reflexe zu beobachten, so auch anno 2005. Ausverkauf der deutschen Geschichte! Verhökern von Kulturgegenständen! Eine nationale Schande! So zischte es hinter vorgehaltener Hand in Adelskreisen. Prinz Heinrich, jüngerer Bruder von Ernst August und Onkel der jungen Schatzverkäufer, machte seinen Zorn gar öffentlich und wetterte im Fernsehen: "Mein Bruder ist durch seinen Alkoholeinfluss in die Fittiche von schmierigen Kunsthändlern gekommen, die nun glauben, alles verbraten zu können."

Mit dem schmierigen Kunsthändler meint der Zweitgeborene wohl Christoph Graf Douglas. Der Mann hat beste Kontakte in die Kunstszene und Zugang zu allen wichtigen europäischen Höfen. Er war es, der als früherer Sotheby´s-Deutschland-Chef schon die Auktionen bei Thurn und Taxis und in Baden initiierte und auch die Fürstlich Fürstenbergische Sammlung 2003 an den süddeutschen Schrauben-Fabrikanten und Kunstliebhaber Reinhold Würth vermittelte. Seit Jahren arbeitet der inzwischen freie Kunstberater auch im Auftrag der Welfen. Manche nennen ihnen einen Vertrauten der Familie, ohne dessen Fürsprache es die laufende Versteigerung wohl nicht gegeben hätte.

Graf Douglas, 57, spricht leise, fast ein wenig fistelig, er trägt das lichte Haar im Nacken etwas länger und mag Zweireiher mit goldenen Knöpfen. Er ist eine durch und durch elegante Erscheinung, dazu blitzgescheit, und man kann es sich kaum vorstellen, dass er auf dem staubigen Speicher und im bis unter die Gewölbedecke voll gestellten Keller von Schloss Marienburg über Wochen jedes einzelne der 20 000 Versteigerungsobjekte höchstpersönlich begutachtete. Das war allerdings nötig, denn bei allem königlichen Ramsch sind immer wieder auch echte Schätze darunter, wie etwa jene kleine Kaffeekanne aus dem frühen Meissen, die sich in einer größeren Kanne mit chinesischen Zeichen befand und die zunächst nur auf 300 Euro geschätzt wurde. "Das Meissener Porzellan hätten wir fast übersehen und damit einen Wert von 20 000 Euro."

Graf Douglas schließt nicht aus, dass sich etwa unter den Stapeln alter Grafiken noch weitere "Sleeper" befinden, "aber das macht ja auch den Reiz dieser Auktion in Form einer veritablen Schatzsuche aus".

Nach dem ersten Durchsehen wurden die ausgewählten Stücke auf Hunderte Kleinlastwagen verladen, mit denen sie nach Amsterdam gelangten: Dort schätzten Experten das Material, katalogisierten und fotografierten es, ehe der ganze Hausstand zur Auktion zurück nach Hannover gebracht wurde.

"Ich habe den Welfen von Anfang an geraten, nur das zu verkaufen, was nach den Enteignungen 1945 aus den Schlössern Cumberland in Österreich und Blankenburg im Harz in den Gewölben der Marienburg untergestellt wurde, was also geschichtlich hier nicht hergehört." Der Graf nennt dies: Räumen von kunst- und kulturhistorisch wenig bedeutenden Lägern.

Den Aufschrei auch familienfremder Kritiker, wie etwa der Berliner Kunsthistorikerin Isabel Arends und des niedersächsischen Bauhistorikers Günther Kokkelink, der als Kenner der Marienburg-Architekten Conrad Wilhelm Hase und Edwin Oppler gilt, kontert Graf Douglas so: "Wir haben Museumsdirektoren nach Amsterdam eingeladen und ihnen ein Vorkaufsrecht eingeräumt." So fanden ein Porträt des Herzogs Ludwig Rudolph aus dem Jahr 1734, sechs französische Fayence-Teller von 1810 und mehrere Richtschwerter aus dem Mittelalter den Weg in deutsche Museen. Und auch Welfen-Chef Ernst August bediente sich noch rechtzeitig. Binnen 15 Minuten entdeckte er zwischen all dem königlichen Hausrat und unter Bergen von Geschirr das mit Abstand wertvollste Tafelsilber und überführte es in seine Besitztümer nach Österreich. Douglas: "Ernst August hat einen genialen Blick."

Versteigert würden jetzt vielfach noch Kunst und Gegenstände, die ihren Wert und Charme aus ihrem historischen Zusammenhang bezögen, sagt der Graf. "Was bleibt der jungen Adelsgenerationen denn anderes übrig? Wissen Sie, was allein der Erhalt eines solchen Schlosses kostet?" Und gibt die Antwort gleich mit: "Millionen. Fragen Sie die Prinzen." Die sind indes bei der Auktion nicht anwesend, weil sie in den USA studieren und dort das neue Semester soeben begonnen hat.

Den Auktionserlös, Sotheby´s rechnet mit bis zu 25 Millionen Euro, wollen die Prinzen in eine Stiftung einbringen, die den Erhalt der königlichen Liegenschaften finanziert. Aus Schloss Marienburg soll das "Neuschwanstein des Nordens" werden - mit Erlebnisgastronomie, Museumsshop und womöglich opulenten Ritterspielen. Tatsächlich erinnert das Schloss mit seinen Türmchen und Erkern ein wenig an das Vorbild aus dem Voralpenland. Dumm nur, dass in Armbrustschussweite eine gewaltige Fabrik des Nordzucker-Konzerns steht, deren Schlote unentwegt Rauchwolken in den Himmel blasen und das mittelalterliche Feeling stören.

Egal. Um den historischen Mythos noch zu unterfüttern, sprechen die Welfen von der Marienburg gerne als ihrem "Stammsitz". Und das, obwohl das Anwesen erst 1857 erbaut und nie richtig bewohnt wurde. Der blinde König Georg V. hatte das Grundstück seiner Frau einst zum Geburtstag geschenkt. Doch nach der preußischen Okkupation siedelte die Familie schon 1867 ins österreichische Exil über.

Nun immerhin dient die Burg als märchenhafte Bühne für Auktionsfreunde aus aller Welt, und der junge Ernst August hofft, "dass viele der Besucher das Schloss lieben lernen und in den nächsten Jahren gerne wiederkommen". Wenn Museumsshop und Kneipe geöffnet haben und ordentliche Profite versprechen.

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