Amüsante Betroffenengruppe Schaltjahr: Club der armen Teufel

Das kommende Jahr ist ein Schaltjahr. WirtschaftsWoche-Autor Christian Deysson über das Schicksal, nur alle vier Jahre Geburtstag feiern zu können.

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Da kamen also zwei Brüder als Zwillinge zur Welt. Doch während der eine jedes Jahr Geburtstag feiert, hat der andere streng genommen nur alle vier Jahre Grund zum Prosten. Ein Ding der Unmöglichkeit? Durchaus nicht. So kann es gehen, wenn Zwillinge in der Nacht zum 29. Februar geboren werden. 

Der Erstgeborene schrappte kurz vor Mitternacht gerade noch am verflixten Datum vorbei, sein jüngerer Bruder erblickte erst kurz nach null Uhr das Licht der Welt. Pech. Der Nachzügler wurde damit zum Schalttag-Kind. Die Behörden haben in solchen Fällen kein Ohr für elterliches Bitten um Ausnahmeregelungen. Ausschlaggebend für den Geburtstag ist die im Kreißsaal protokollierte Minute des ersten Atemzuges. 

Als die Kinder noch in den eigenen vier Wänden zur Welt kamen, ließ sich die Schalttag-Problematik diskreter handhaben. Wenn Eltern ihrem Sprössling das ungeliebte Geburtsdatum ersparen wollten, konnten sie bei der häuslichen Entbindung die Hebamme mit einer kleinen Aufmerksamkeit bedenken. Die revanchierte sich, indem sie bei der Zeitangabe auf dem Geburtsschein je nach Bedarf ein paar Stündchen wegließ oder dazumogelte. So wurde aus dem 29. öfter mal der 28. Februar oder der 1. März – was den Kreis der am Schalttag Geborenen noch exklusiver machte: Etwa vier Millionen sind es weltweit, rund 55 000 davon leben in Deutschland. An normalen Kalendertagen haben hier zu Lande dagegen im Schnitt fast eine Viertelmillion Menschen Geburtstag. 

Hochpubertierender Jüngling

Im bürokratisierten Zeitalter, wo inzwischen sogar eine Europa-Norm zur Schaltjahr-Definition (EN 28601) existiert, sind behördliche Schlupflöcher aus dem Schalttag-Dilemma versperrt. Da hilft nur noch klinische Verhütung: In Full-Service-Krankenhäusern gehört es fast schon zum Kundendienst der gynäkologischen Abteilung, Geburten nach Möglichkeit vorzuziehen oder hinauszuzögern, wenn die Mutter dies wünscht. Und welche Mutter will ihrem Neugeborenen schon zumuten, auf drei Viertel der Geburtstage im Leben verzichten zu müssen und immer nur in denjenigen Jahren feiern zu dürfen, in denen ein US-Präsident gewählt wird und Olympische Spiele stattfinden? 

„Einer der in seinem Leben der Geburtstage zu wenige hat, kommt mir in mancher Rücksicht nicht viel glücklicher vor, als die weitläufige Klasse von armen Teufeln, die der Väter zu viele haben“, ironisierte der Aphoristiker, Mathematiker und Physiker Georg Christoph Lichtenberg in seinem zum Schaltjahr 1796 erschienenen Essay „Trostgründe für die unglücklichen, die am 29sten Februar geboren sind“. 

Die meisten „armen Teufel“ der ersten Sorte wissen sich heiter gelassen selbst zu trösten. „So etwas hat nicht jeder“, sagt etwa Wilfried von Tresckow aus Stuttgart, der sich ob seines schrägen Geburtsdatums „schon als Kind immer als etwas ganz Besonderes“ vorkam. Im 60. Lebensjahr schickt sich der ehemalige Kodak-Manager nun an, am 29. Februar 2004 endlich seinen 15. Geburtstag zu begehen. Da er kein Kind von Traurigkeit ist, feiert er nach der Faustregel 28+1 sowieso jedes Jahr recht und schlecht Geburtstag. Aber den 29. Februar wirklich zelebrieren zu dürfen, ist für ihn doch prickelnder als der Geburtstagsersatz. Logischerweise versteht sich der Jubilar, rein rechnerisch, als „hochpubertierender Jüngling“. 

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