Arbeitsmarkt Krise ist für die Zeitarbeit nur Zwischentief

Keine Branche spürt die Wirtschaftskrise so wie die Zeitarbeit. Doch der Absturz ist nur ein Zwischentief. Vieles deutet darauf hin, dass die Arbeitskräfteverleiher in Deutschland vor einem historischen Boom stehen.

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Manager Schäfer, Zeitarbeitsunternehmen Birkner, Leiharbeitere Felder (v.l.): Weichen gestellt für den Aufschwung 2010 Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Ulrich Birkner sitzt in seinem 80-Quadratmeter-Büro im kuscheligen Fachwerk-Städtchen Hattingen am Ostrand des Ruhrgebiets und vertröstet Anrufer, die bis vor ein paar Wochen noch auf seiner Gehaltsliste standen. „Fragen Sie im März noch mal nach. Wir halten Kontakt.“

Birkner, 54, ist Zeitarbeitsunternehmer. Er stellt Leute ein, um sie an andere Betriebe zu verleihen. Der Mann mit dem D’Artagnan-Bart hat seine Firma vor gut vier Jahren gegründet . Jetzt erlebt er „die härteste Phase seitdem“, sagt er. Mitte 2008 suchte er noch händeringend nach Zerspanungsmechanikern, wie Fräser und Dreher heute heißen. Wenn er welche bekam, waren sie pausenlos im Einsatz. Inzwischen hat Birkner von seinen 100 Leiharbeitskräften nur noch 51 unter Vertrag. Zwei sitzen zu Hause und warten auf Beschäftigung. Mit ihren Qualifikationen im Bereich Elektrotechnik und Metallbearbeitung sind sie für Birkner so wertvoll, dass er sie auch fürs Nichtstun erst einmal weiterbezahlt.

Zeitarbeit wird vermutlich größter Gewinner nach der Krise sein

Der nordrhein-westfälische Mittelständler ist typisch für eine Branche, die vermutlich zu den größten Gewinner zählen wird, wenn die gegenwärtige Wirtschaftskrise erst einmal überwunden ist. So sehr der Abschwung den Personaldienstleister im Moment herunterzieht, so optimistisch blickt er zugleich in die Zukunft: „Was jetzt passiert, ist für die Zeitarbeit langfristig nicht schlecht, sondern gut. Viele Unternehmen begreifen jetzt erst, wie massiv Ausschläge sein können, wie wichtig Flexibilität beim Personal ist und dass die Zeitarbeit die Lösung für diese Probleme bietet.“

boom

Mit der Einschätzung befindet sich Birkner in guter Gesellschaft. Auch Volker Enkerts, Präsident des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA), glaubt, die Branche habe ihre besten Zeiten noch vor sich. Trotz des akuten Einbruchs der Beschäftigtenzahlen werde die Zeitarbeit in Deutschland „bis 2010 die Millionengrenze knacken“. Der Zeitarbeiteranteil an den Erwerbstätigen, prognostiziert der Hamburger Unternehmer, werde sich von jetzt 1,6 Prozent bis 2015 verdoppeln. Deutschland hat Nachholbedarf. In Großbritannien etwa liegt der Anteil der Zeitarbeiter an den Erwerbstätigen fast dreimal so hoch, bei fünf Prozent.

Viele Hürden, die solch eine Entwicklung früher bremsten, sind aus dem Weg geräumt. „Vor zehn Jahren noch“, meint Birkner, sagten die Betriebsräte einem Chef, der Zeitarbeiter ordern wollte: „Nichts da, die werden fest eingestellt.“

Heute hingegen sind Betriebsräte froh, wenn Leiharbeitskräfte die Arbeitsplätze der fest Beschäftigten sicherer machen. Die Leih-Kollegen fungieren als Verfügungsmasse für gute Zeiten/schlechte Zeiten in der Wirtschaft. Der bayrische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer hält heute „fünf Prozent Leiharbeiteranteil an einer Belegschaft für vertretbar“. Michael Sommer, dem Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), geht es nicht mehr darum, „Zeitarbeit zu verteufeln, vielmehr wollen wir sie aus der Schmuddelecke befreien“.

Weiter steigen wird der Anteil höher Qualifizierter an den Zeitarbeitern. Eine Zeitarbeitsphase im Lebenslauf ist kein Makel mehr. Selbst der Geschäftsführer und Mitinhaber der Modeschmuck-Kette Bijou Brigitte, Roland Werner, hat zwischen BWL-Studium und einem Job bei Europcar mal als Leiharbeiter sein Geld verdient.

Als Überbrückung von Beschäftigungslücken sind Zeitarbeitsjobs alternativlos. Dank fairer Standards erleben viele Beschäftigte mehr Vor- als Nachteile der Leihjobs, sehen sie als Sprungbrett zu Kundenfirmen und als Chance, verschiedene Unternehmen kennenzulernen. Dumpinglöhne dürften der Vergangenheit angehören, wenn ein für die Zeitarbeit jetzt noch umkämpfter Mindestlohn erst einmal definiert ist. Spätestens 2011 dürfte es so weit sein, weil sonst Konkurrenten aus Osteuropa jeden Tariflohn unterbieten könnten.

Der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Gerald Weiß, warnt, ohne einheitliche Lohnuntergrenze würde Deutschland „bei der EU-weiten Arbeitnehmer-Freizügigkeit Zeitarbeit auf niedrigstem Lohnniveau importieren“. BZA-Präsident Enkerts ist deshalb sicher, dass es in zwei Jahren zu einer Regelung kommt: „Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und BDA-Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner haben uns signalisiert, dann im Tarifausschuss des Bundesarbeitsministeriums für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zu votieren, der ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wird.“

Die Wild-West-Zeit der Personalvermittler geht dem Ende entgegen – auch wenn es im Moment nach Niedergang aussieht.

So schnell und tief wie die Zeitarbeitsbranche ist kein anderer Wirtschaftszweig in die Krise gestürzt. Von Juli bis Dezember 2008 reduzierte sich die Zahl ihrer Mitarbeiter nach Angaben des BZA von 821.000 auf 657.000 – ein Rückgang um 20 Prozent, der sich im Januar und Februar fortgesetzt haben dürfte. Am heftigsten schickten die Autokonzerne und ihre Zulieferer die Fremdkräfte weg, weswegen es Birkner in Hattingen auch so hart traf. Mitte 2008 hatte er noch 71 Mitarbeiter an die Firma Spicer Gelenkwellenbau, eine Tochter des amerikanischen Dana-Konzerns, verliehen, der an zwei Essener Standorten für die Automobilindustrie und für Maschinenbauer produziert. Heute sind noch 16 Birkner-Leute bei Spicer, 55 mussten gehen.

Unternehmer Birkner: Als der frühere Arbeitgeber dicht machte, bot sich für den gelernten Personaler der Einstieg in dier Zeitarbeit an Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Birkner ist ein Paradebeispiel für die Branche und ihre aufstrebenden Player – keine der zahlreichen „Klitschen“, die nach Ansicht des einst für Wirtschaft und Arbeit zuständigen Superministers Wolfgang Clement „das Prädikat Arbeitgeber nicht verdienen“, aber auch kein Konzern.

Zwar dominieren internationale Namen wie Randstad, Adecco und Man-power die Branche mit Milliardenumsätzen. Die drei Führenden im deutschen Ranking stellen fast ein Fünftel aller Zeitarbeiter. Aber neun von zehn Arbeitnehmer-Verleihbetrieben hatten Mitte 2008 nicht mehr als 100 Beschäftigte – wie Birkner. Wie bei ihm sind die meisten Zeitarbeiter auch branchenweit Männer (74 Prozent), weil die meisten Kräfte immer noch an die Industrie entliehen werden. Ein Drittel der Unternehmen der jungen Branche entstand nach 2003 – so auch Birkners Firma in Hattingen.

Für Ulrich Birkner war die Unternehmensgründung ein Befreiungsschlag. 33 Jahre hatte der gebürtige Bochumer in der Personalabteilung der Henrichshütte in Hattingen gearbeitet. 15 Jahre trug er als Personalchef dort die Verantwortung – und verwaltete den Abbau von 10.000 auf 150 Mitarbeiter. Der Betrieb gehörte unter dem Namen Vereinigte Schmiedewerke zur Georgsmarienhütte Unternehmensgruppe des heutigen RWE-Chefs Jürgen Großmann. Die machte am Ende das Stahlwerk dicht. Am 30. Juni 2004 ging der Personalchef als einer der Letzten selber von Bord.

Zeitarbeitsbranche profitierte von Schröder und Clement

Birkner war damals Ende 40 und wollte nicht mehr umziehen. Er „hatte gehört, dass die Zeitarbeit eine kommende Branche“ sei. Und in Hattingen war noch kein Verleihunternehmen aktiv. So wurde der Angestellte, der die Personalarbeit von der Pike auf gelernt hatte, Unternehmer. „Birkner Personaldienstleistungen GmbH“ ließ er sich Ende 2004 auf Visitenkarten drucken, stellte einen Personaldisponenten ein und eine Sekretärin. Sein Hauptkapital neben Abfindung und öffentlichen Fördergeldern waren Beziehungen.

einbruch

Die Ehemaligen von der Henrichshütte kannten ihn schließlich seit 30 Jahren. „Die wussten: Der verarscht uns nicht“, sagt Birkner. Personalchefs anderer Unternehmen, die er kannte, versuchte er nun seine Fachkräfte zu vermitteln. Viele davon waren 50 Jahre und älter. Einige Monate hat Birkner die Leute „angeboten wie sauer Bier“. Zum 1. März 2005 vermittelte er seinen ersten Leiharbeiter. Mitte 2005 traf er auf Spicer-Geschäftsführer Lars Christoph Schäfer. Den Mann mit dem markanten Glatzkopf kannte Birkner bis dahin nur flüchtig. Spicer suchte Dreher. Die konnte Birkner vermitteln. Von nun an ging’s bergauf.

Dass er Fuß fassen konnte, verdankt der Unternehmer aus der NRW-Provinz auch weitreichenden Entscheidungen in Berlin. Der 54-Jährige profitierte – wie die ganze Zeitarbeitsbranche – von den Rahmenbedingungen, die Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Minister Clement vor fünf Jahren schufen.

Der Aufstieg der Leiharbeit war politisch gewollt. Bei einer Zeitarbeitsfirma anzuheuern sollte die Arbeitsmarktchancen zuvor Arbeitsloser verbessern und den Unternehmen mehr Flexibilität bei der Veränderung ihrer Belegschaften geben. Ende 2003 traten die entscheidenden Liberalisierungen in Kraft: Die zwölfmonatige Befristung der Leiheinsätze entfiel, ebenso das sogenannte Synchronisationsverbot. Das hieß, Leiharbeitsfirmen durften Verträge mit Zeitarbeitnehmern für die Dauer ihrer Einsätze schließen, sie danach entlassen und erst bei der nächsten Einsatzmöglichkeit neu einstellen – wiederum befristet.

Lars Christoph Schäfer stellte seine ersten Zeitarbeiter 2003 ein. „Wir erwarteten schwankenden Bedarf“, sagt der Geschäftsführer von Spicer Gelenkwellenbau in Essen, „wir wollten flexibel werden im Rahmen der Schweinezyklen.“ Er orderte Personal von Persona Service, später von Randstadt und anderen bekannten Zeitarbeitsunternehmen. Im Mai 2005 entstand der Kontakt zu Birkner, einen Monat später traten die ersten Birkner-Leute bei ihm an.

Spicer wurde Birkners bester Kunde, orderte aber weiterhin auch bei anderen Anbietern. 2007 und 2008 gab es in Produktion und Verwaltung 125 Zeitarbeitskräfte beim Tochterbetrieb des US-Autozulieferers. Nun, nach 60 Prozent Auftragsrückgang innerhalb von vier Monaten, sind es 20. Für einen Teil der 580 Mitarbeiter an den beiden Standorten in Essen hat Schäfer Kurzarbeit angemeldet. „Die Zeitarbeit“, sagt der Geschäftsführer, „dient dem Schutz der Stammbelegschaft und erspart uns zum jetzigen Zeitpunkt betriebsbedingte Kündigungen, Verhandlungen über einen Sozialplan und die damit verbundenen Kosten.“

Doch Schäfer weiß nicht nur die Flexibilität zu schätzen. Vier Leiharbeiter übernahm der 48-Jährige in die eigene Belegschaft – Fachkräfte, die die Agentur für Arbeit ihm nicht vermitteln konnte. Sogar den Fachkräfte-Nachwuchs zieht er sich inzwischen gemeinsam mit Birkner heran. Birkner gehört zu den wenigen Zeit-arbeitsunternehmen, die selber Azubis beschäftigen. Sechs Zerspanungsmechaniker und zwei Industriekaufleute werden formal bei Birkner und faktisch bei Spicer ausgebildet.

Spicer-Chef Schäfer: Ein Viertel der Belegschaft hatte 2008 flexible Arbeitsverhältnisse - nach der Krise soll der Anteil auf 40 Prozent steigen Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Die Kosten teilen sich die beiden Unternehmen. „Wenn die Leute fertig sind in zwei Jahren“, sagt Schäfer, „werden wir froh sein, dass wir sie haben.“ Birkner garantiert ihnen nach der Lehre Zeitarbeitsjobs für ein Jahr. Zwei der heutigen Azubis, erzählt Birkner, waren „Jungs ohne echte Chance am Arbeitsmarkt“. Die hat er befristet eingestellt und sie zunächst als Ungelernte für Hilfstätigkeiten bei Spicer arbeiten lassen. „Das haben die gut gemacht“, sagt Birkner, „die haben sich bewährt. Deshalb haben wir ihnen Ausbildungsplätze angeboten.“

Dass sie nicht nur heuert und feuert, darauf legt die Branche großen Wert, hat aber Schwierigkeiten, ihr mieses Image loszuwerden. Der Ruf der Zeit-Arbeitgeber ist traditionell schlecht. „Leiharbeit ist keine sichere Arbeit“, ist nur einer von zehn Grundvorbehalten, die der DGB gegenüber der gewerbsmäßigen Arbeitskräfteüberlassung postuliert.

Skandale und Enthüllungen tun ihr Übriges. 2008 veröffentlichte Markus Breitscheidel, früher Marketingchef eines Werkzeugherstellers, sein Buch „Arm durch Arbeit“. Darin beschreibt er, wie er sich unter anderem als Leiharbeiter bei der Pharmafirma Schering, einer Tochter des Bayer-Konzerns, verdingte und für das Verpacken von Antibabypillen nur ein Drittel des Lohns der fest angestellten Kollegen bekam.

Gemäßigtere Arbeitnehmervertreter orientieren sich an Verbesserungen

Zwar gibt es noch immer Gewerkschafter, die auf die Zeitarbeitsbranche eindreschen. Im September 2008 brachte etwa die IG Metall ein „Schwarz-Weiß-Buch“ zur Lage der Beschäftigten in der Zeitarbeitsbranche heraus. Deren zweiter Vorsitzender Detlef Wetzel sieht Deutschland dank der Arbeitnehmerüberlassung auf dem Weg „zurück in die Tagelöhnergesellschaft“.

zeitarbeit

Doch gemäßigtere Arbeitnehmervertreter orientieren sich eher an den Verbesserungen, die sie für die Zeitarbeitskräfte herausholen konnten. Wetzels bayrischer Kollege Werner Neugebauer freut sich etwa: „Wir haben bei BMW durchgesetzt, dass die Untergrenze in den untersten Lohngruppen von 7,50 Euro brutto auf 11,62 Euro angehoben wurde“, also fast auf den regulären Tarif der Metall- und Elektroindustrie.

Die statistischen Daten zur Wirkung der Zeitarbeit interpretiert jeder je nach Standort und Interesse. Darüber etwa, wie groß Drehtür- und Klebeeffekt wirklich sind, streiten sich die Wissenschaftler. Nach Zählung des zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommen immerhin knapp 43 Prozent der Zeitarbeitskräfte aus der Arbeitslosigkeit, und knapp 34 Prozent sind anschließend arbeitslos. Für Gewerkschafter ergibt sich daraus, dass die Zeitarbeit „kein echtes Sprungbrett“ ist.

Die Nürnberger Zeitarbeitsunternehmerin Ingrid Hofmann hält dagegen: „Selbst wer nur ein halbes Jahr nicht arbeitslos, sondern Zeitarbeiter war, hat bewiesen, dass er den Ansprüchen eines Arbeitgebers an Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft gerecht wird. Er hat sich durch die Praxis womöglich zusätzliche Qualifikationen erworben oder alte Kenntnisse aufgefrischt.“ Fazit für die Chefin des zehntgrößten Personalverleihers in Deutschland, I.K.Hofmann: „Zeitarbeit verbessert die Chancen am Arbeitsmarkt.“

Den Anteil derer, die vom Entleihunternehmen übernommen werden, beziffert das IAB auf 15 Prozent. Die Unternehmensberatung Lünendonk kommt in ihrer jährlich erhobenen und viel zitierten Studie zur Zeitarbeit auf über 20 Prozent. Eine Fest-anstellung bleibt der Traumjob der meisten Zeitarbeiter – und die Leihtätigkeit insofern zweite Wahl.

Umstritten ist die Höhe der Löhne. Die DGB-Gewerkschaften haben Tarifverträge mit dem BZA und mit dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) geschlossen und dabei ein Einstiegsgehalt für Ungelernte von 7,31 Euro in West- und von 6,36 Euro in Ostdeutschland festgesetzt. Das ist immerhin mehr als das, worauf etwa Beschäftigte des nordrhein-westfälischen Hotel- und Gaststättengewerbes Anspruch haben (6,30 Euro), und mehr als das Doppelte etwa des Mindestlohns für Friseure in Sachsen (3,06 Euro).

Die Lohnuntergrenzen eines dritten Zeitarbeitsverbandes, des Arbeitgeberverbandes Mittelständischer Personaldienstleister (AMP), liegen unterm Strich rund 80 Cent niedriger als die von BZA und IGZ. Ohne Tarifverträge müssten die Unternehmen laut Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ihre Mitarbeiter bei deren Einsätzen so viel zahlen, wie das fest beschäftigte Personal der Entleihbetriebe bekommt.

Nur wenige Unternehmen lassen sich aber auf die von den Gewerkschaften geforderte Equal-Pay-Regel, also auf Gleichbezahlung, ein. Im Mercedes-Lkw-Werk im rheinland-pfälzischen Wörth etwa bekommen Festangestellte wie Zeitarbeiter denselben Lohn: 15,98 Euro brutto die Stunde. In Wuppertal hingegen prangerte Verdi ein Zeitarbeitsunternehmen an, das einen Jobsuchenden für 2,71 Euro brutto pro Stunde anheuern wollte.

Birkner-Zeitarbeiter Felder: Der Stundenlohn liegt im zweistelligen Bereich, die Hoffnung auf eine feste Anstellung im Entleihbetrieb bleibt Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Marco Felder ist einer der 16 Birkner-Männer, die bei Lars Christoph Schäfer noch Arbeit haben. Ein halbes Jahr hat er gebraucht, bis er alle 300 Varianten kannte, mit denen die bis zu zwölf Meter langen Gelenkwellen für die 900 aktiven Spicer-Kunden in aller Welt versandfertig gemacht werden. Vor zwei Jahren fing der Essener bei Birkner und bei dessen Kunden Spicer an. Die Arbeitsstelle liegt von seiner Wohnung im Ortsteil Altendorf nur ein paar Minuten entfernt. Zweimal wurde die Befristung seines Vertrages mit Birkner verlängert. Seitdem ist der 30-jährige unbefristeter Zeitarbeiter – und offenbar zufrieden damit.

„Ich werde hier behandelt wie jeder andere Kollege, da merkt man keinen Unterschied“, sagt Felder, der der IG Metall angehört. Ganz anders als in dem Fernsehbericht über Leiharbeit, den er vor ein paar Monaten gesehen hat: „Die Zeitarbeiter bei Opel müssen andere Kleidung tragen als die Opelaner“, sagt der junge Mann und verzieht das Gesicht.

Sein Blaumann mit dem Dana-Logo sieht nicht anders aus als der der Spicer-Kollegen. Früher hat Felder die Zeitarbeitsbranche von ihren hässlichen Seite kennengelernt. Mal war er als Callcenter-Agent für kaum sieben Euro die Stunde beschäftigt und wurde auch schon mit 5,50 Euro abgespeist. Nun verdient er einen zweistelligen Betrag pro Stunde.

Birkner verlangt 1,8-Mal so viel von den Unternehmen, denen er seine Leute ausleiht, wie er selber an Bruttolohn bezahlt. Die großen Wettbewerber rechnen mit dem Faktor 2,3 und mehr. Für Spicer sind Birkner-Leute mit durchschnittlich 21 Euro pro Stunde etwa so teuer wie eigene Leute einschließlich aller Lohnnebenkosten. Unterm Strich aber kommen die Leiharbeiter Spicer doch 20 Prozent billiger, weil Geschäftsführer Schäfer nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden bezahlen muss und Birkner die Kosten für Urlaub, Feiertage und Krankheitsausfall trägt.

Weichen stellen für den nächsten Zeitarbeiterboom

Allerdings beteiligte Spicer im vergangenen Jahr auch die Leiharbeiter am guten Geschäft und ließ ihnen bis zu 1000 Euro extra zukommen. Sie nehmen ohne Lohnabzug an Spicer-Betriebsversammlungen teil und haben die gleiche Heiligabend- und Silvesterregelung wie die Spicer-Belegschaft. Equal Treatment heißt die Gleichbehandlung im Branchenjargon. Birkner und Schäfer erfüllen die Gewerkschaftsforderung weitgehend und finden es „wichtig, dass die Beschäftigten sich wohlfühlen“. Birkner: „Man muss die Leute pflegen.“

Skandale um unwürdig behandelte Leiharbeiter sind für die Branche zwar kurzfristig schädlich, aber langfristig nützlich. Denn die Stigmatisierung gewerbsmäßiger Seelenverkäufer beschleunigt den Selbstreinigungs- und Selbstfindungsprozess der Branche. Nicht mit den Schmuddelkindern der Verleihzunft zu spielen, dazu rufen längst auch die Unternehmensverbände selber auf. Selbst bei der Forderung nach einem allgemein verbindlichen Mindestlohn liegen BZA und IGZ heute mit den Gewerkschaften auf einer Linie.

Ist der erst mal beschlossen, dürfte die Zahl der Lohndumper unter den Leiharbeitsfirmen nahe null sinken.Wie hoch der Anteil der schwarzen Schafe liegt, ist natürlich umstritten. „Unter zehn Prozent der Unternehmen“, schätzt BZA-Präsident Enkerts. Auf 30 Prozent kommt Verdi. Aber beim Trend sind sich beide Seiten einig: Saubere Beschäftigungsverhältnisse werden selbstverständlicher, Ausbeutung wird seltener.

Für den nächsten Leiharbeitsboom vielleicht schon im kommenden Jahr stellen Zeitarbeitsunternehmer Birkner, Spicer-Geschäftsführer Schäfer und Leiharbeiter Felder schon jetzt die Weichen. Schäfer hat bis zum Auftragseinbruch 2008 rund 25 Prozent seiner Belegschaft im gewerblichen Bereich mit Zeitarbeit und befristeten Verträgen abgedeckt. Künftig „werde ich 40 Prozent anpeilen“, sagt der Manager.

Der Ulrich, wie Schäfer seinen Lieblings-Leiharbeitsunternehmer inzwischen nennt, wird die Leute, die er derzeit am Telefon vertröstet, wieder unter Vertrag nehmen, so sie dann noch verfügbar sind. Er vertraut darauf, dass er sich inzwischen einen Ruf als Zeitarbeitgeber zugelegt hat: „Viele denken, Zeitarbeit bedeutet, man muss jede Woche woanders arbeiten. Bei uns ist das viel solider angelegt.“

Zeitarbeiter Felder hat erst einmal nichts dagegen, in seinem Leihjob zu bleiben. Dank der zwei Jahre, die er schon für Birkner und Spicer arbeitet, träumt er aber davon, doch einmal fest bei dem Autozulieferer arbeiten zu können, und macht auch kein Geheimnis daraus: „Vielleicht klappt es nach der Krise. Schön wär’s schon.“

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