Der alte Pauker hat ausgedient

Manche Unternehmen suchen wirkungsvolle Unterrichtsmethoden, wenn sie ihrer Belegschaft etwas vermitteln wollen. Ob Spielfilm, Theaterstück oder Pantomime – die Unternehmenskommunikation wird kreativer.

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Dem Filmhelden „Herr Grundmann“ stockt der Atem, als er seinen Keller betritt. Sämtliche Regale sind vollgestopft mit Lebensmitteln. Von der Konservendose bis zur Nudelsuppe – Grundmanns Frau hatte über Monate hinweg Sonderangebote gehortet. „Hier lagern Berge von ungenutztem Kapital. Vielleicht erzähl ich ihr mal was von ROCE“, denkt sich der von den Ausgaben gebeutelte Ehegatte. Die Kennzahl „Return On Capital Employed“ bezeichnet das in einem Unternehmen gebundene Kapital – und ist furchtbar abstrakt. Das muss auch Grundmann erfahren, der in dem Kurzspielfilm „ROCE – der Auftrag“ von seinem Chef mit der Aufgabe konfrontiert wird, übers Wochenende eine ROCE-Präsentation zu erstellen. Erst im Kreise seiner Familie, anhand von alltäglichen Beispielen, lernt Herr Grundmann, um was es eigentlich dabei geht, und mit ihm die Zuschauer. Gedreht wurde der 16-minütige DVD-Film für rund 2 000 Mitarbeiter der Körber AG, eine Management-Holding, die Präzisions- und Werkzeugmaschinen und Pharma-Verpackungstechnik produziert und vertreibt. Die Zuschauer, alle im Geschäftsbereich Werkzeugmaschinen tätig, sollen mit Hilfe des professionell gedrehten Films verstehen, was ROCE in der Praxis bedeutet: Bis 2005 hat die Konzernleitung einen Wert von 25 Prozent vorgegeben. Jeder Angestellte soll zu diesem Ziel beitragen. Ob Kennzahlen als Zielvorgabe, betriebliche Umstrukturierung oder neue Vergütungssysteme – die Zahl komplexer Veränderungen in Unternehmen wächst. Während früher die Mitarbeiter aller Ebenen oft vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, legen viele Unternehmenschefs heute Wert auf Konsens und Verständnis. Dabei greifen sie auch schon mal tief in die Tasche, um Lehr- und Informationsveranstaltungen möglichst kreativ aufzubereiten. „Es geht nicht darum, die Mitarbeiter betriebswirtschaftlich zu schulen. Da würden wir sehr viele überfordern“, erläutert Renate Franke von der Unternehmensberatung Franke von Oppen, das von ihr entworfene Spielfilm-Konzept. „Es soll nur ein Gefühl dafür rüberkommen, worum es uns geht. Der Bauch soll angesprochen werden.“ Das gelinge mit kleinen Lacherfolgen leichter als mit erhobenem Zeigefinger. Lachen durften auch die Manager der ersten bis dritten Führungsebene eines internationalen Konsumgüterkonzerns. In einem kurzen Video führte ein Mitglied des Vorstands beispielhaft ein Zielvereinbarungsgespräch mit einem Mitarbeiter und zeigte so, wie das neue Bonussystem funktioniert. Das sachliche Gespräch wurde immer wieder ergänzt von humorvollen Sequenzen eines Pantomimen mit einer erläuternden Stimme aus dem Hintergrund, etwa: „Manche Führungskräfte trauen sich nicht, im Gegensatz zu dem, was wir gerade gehört haben, in Mitarbeitergesprächen Klartext zu reden“ – überängstliche Pantomime, Gelächter im Publikum, Botschaft angekommen. „Es ging darum, Ängste und Ablehnung der Manager zu zerstreuen“, erläutert Marion Kopmann, Leiterin des Geschäftsbereichs Communication bei der Unternehmensberatung Towers Perrin. Immerhin war es der dritte Umbau der Vergütung innerhalb von nur vier Jahren. Auf ein anderes Medium setzt Christian Hoffmann, Geschäftsführer des Unternehmenstheaters Spielplan: Ein Bühnenstück hätte erhebliche Vorteile gegenüber einer Video- oder Flip-Chart-Präsentation, „weil es lebendig ist. In verschiedenen Theaterformen können die Zuschauer außerdem direkt eingreifen und an Handlungssträngen mitarbeiten“, erzählt der Theaterpädagoge, der schon für Firmen wie BMW, Siemens oder Bosch den Vorhang aufgehen ließ. Auch die Theaterstücke haben das Ziel, Ängste vor Veränderungen aufzulösen. Um jedem Einzelnen vor Augen zu führen, was auf ihn zukommt, ließ Hoffmann für ein Unternehmen den neu entstehenden Arbeitsablauf von Schauspielern darstellen – von der Abteilung Forschung und Entwicklung bis zum fertigen Produkt im Supermarktregal. „Die Mitarbeiter reagierten mit Erleichterung, denn jeder bekam die Gewissheit, dass seine Tätigkeit nach wie vor notwendig ist.“ Vor der Aufführung waren Gerüchte durch den Betrieb gegangen, dass Entlassungen bevorstünden. Spaß gegen Angst, Unterhaltung gegen Langeweile und Ignoranz – die kreativen Methoden kommen bei den Mitarbeitern gut an. Doch in einem sind sich die Kommunikationsexperten einig: Am Ende steht der Nutzwert für das Unternehmen. Dafür reicht es nicht, die Themen ausschließlich visuell darzustellen. Die Körber AG etwa ließ ihren ROCE-Spielfilm in sechs- bis achtköpfigen Gruppen nachbereiten. In den Workshops entwickelten die Mitarbeiter wirkungsvolle Ideen, wie sie in ihrem persönlichen Umfeld die Kapitalbindung reduzieren könnten. Auch in dem Konsumgüterkonzern blieb es nicht bei der amüsanten Pantomime. „Das Video ist ein guter Einstieg, muss aber durch andere Maßnahmen ergänzt werden“, sagt Kopmann von Towers Perrin. Die Führungskräfte besuchten anschließend verschiedene Vortragsreihen, wo Fragen gestellt werden konnten. Auch in diesem Fall zeigte die aufwendige Veranstaltung Wirkung: Die Zahl der Mitarbeitergespräche stieg von rund 40 auf über 80 Prozent. „In Deutschland hat Personalmanagement traditionell eher einen administrativen Charakter, während es in den USA als Teil der Unternehmensstrategie verstanden wird“, sagt Kopmann. „Aber das ändert sich allmählich.“ Die Unternehmenschefs würden zunehmend erkennen, wie wichtig es ist, die Ressource Mitarbeiter langfristig zu optimieren – unter anderem über eine gute Kommunikation mit kreativen Mitteln. Ob Theater, Film oder andere Methoden sinnvoll sind, hänge jedoch von vielen Faktoren ab: „Wie sieht die Unternehmenskultur aus? Wie kritisch ist die bevorstehende Veränderung? Wie viele Mitarbeiter sind davon betroffen und welche Gruppen will ich erreichen?“ sind für Kopmann einige der relevanten Fragestellungen. Bei der Körber AG geht die Geschäftsführung davon aus, dass „Herr Grundmann“ gute Dienste leisten wird – immerhin hat der Spielfilm rund eine Viertelmillion Euro verschlungen. Sollte es jedoch gelingen, die traditionell hohe Kapitalbindung in der Werkzeugmaschinensparte um beispielsweise zehn Prozent zu senken, wären bereits 15 Millionen Euro eingespart – eine oscarreife Leistung quasi.

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