Deutsche Bahn Endstation?

Der geplante Börsengang der Deutschen Bahn ist die letzte große Privatisierung des Landes. Risiken für die Steuerzahler, Eisenbahnromantiker und Misstrauen gegen Bahnchef Hartmut Mehdorn gefährden das Projekt.

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Diesellok der Deutsche Bahn: Steigende Energiepreise und schärfere Emissionsgrenzwerte machen sie unwirtschaftlich, AP

Der Wind pfeift über die 340 Meter lange Ladestraße am Bahnhof von Brilon im Sauerland. Seit der Orkan Kyrill Anfang des Jahres durch die Region tobte, stehen vor den Bahngleisen im Ortsteil Brilon-Wald noch immer mindestens einmal die Woche Lastwagen mit Baumstämmen. Große Greifer laden das Holz von den Anhängern auf Waggons der Osthannoverschen Eisenbahnen (OHE). Die mehrheitlich kommunale und landeseigene Bahngesellschaft aus dem niedersächsischen Celle ist noch einmal davon gekommen. Denn die Schienennetztochter der Deutschen Bahn hatte im Februar ein neues Preissystem für ihre Ladestraßen angekündigt. Das hätte die Benutzung verteuert – in einem krassen Fall von 12.000 auf 29.000 Euro pro Jahr, 1200 Euro Reinigungsgeld obendrauf. Die Bundesnetzagentur, von Wettbewerbern alarmiert, leitete ein Verfahren ein. Die Bahn gab klein bei und stutzte die neuen Preise auf weniger als die Hälfte. Im kleinen Brilon zeigen sich die Schwierigkeiten der großen Bahnreform: Die Bahn begründet ihre Preiserhöhungen mit den Kosten der Infrastruktur auf dem flachen Land. Und genau dort geht die Angst vor der Privatisierung um, durch die es zum Aus für Schienen, Bahnhöfe und Verladestraßen kommen könnte: Wenn nämlich erst die Abermilliarden Euro kritisch hinterfragt werden, mit denen Geisterbahnhöfe und kaum befahrenen Strecken künstlich am Leben erhalten werden. Die geplante Privatisierung der Deutschen Bahn droht an einer breiten Ablehnungsfront zu scheitern, in der sich höchst unterschiedliche Gegner von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zusammenfinden. Da kämpfen Seit’ an Seit’ der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), mindestens 74 Abgeordnete der Berliner Regierungskoalition gegen die eigenen Minister, dazu FDP, Grüne und Linke, die Mehrheit im Deutschen Gewerkschaftsbund, Landesregierungen und Globalisierungskritiker. Das bisher größte Aufsehen erregten am Mittwoch Kletterer der Umweltorganisation Robin Wood, die am Turm des Berliner Hauptbahnhofs ein Transparent unter dem Logo der Deutschen Bahn hissten. Darauf die Rechnung, dass die Bahn über ein Anlagevermögen von 183 Milliarden Euro verfüge, das an der Börse jedoch nur 13 Milliarden einbringe. Das sollte demonstrieren, welche Summen der Staat bisher in die Bahn steckte, die über den Börsengang in der geplanten Form nicht annähernd hereinkämen. Die Bahn als Heuschreckenfutter – in diese Richtung zielt auch ein heimlicher siebenseitiger Totalverriss, der im Bundesfinanzministerium kursiert. Tenor: „Für den Bund sehr nachteilhaft.“ Was auf Deutschlands letztes großes 100-prozentiges Staatsunternehmen niederprasselt, nährt sich aus unterschiedlichen Motiven: Da ist die Angst vor dem Verlust des Vertrauten – wenigstens Bahnhof und Bummelzug sollen im Dorf bleiben, wenn schon die privatisierte Post Ämter schließt und Briefkästen abschraubt. Linke Kritiker warnen vor der Vernichtung der Infrastruktur, schüren Ängste vor Markt und Unternehmen und setzen darauf, dass irgendwo die Milliarden schon herkommen für das vor sich hinrottende System. Selbstverständlich ist der BDI für eine Privatisierung der Deutschen Bahn, nur allerdings nicht so.

Aus Sicht des BDI, der FDP und Teilen von Union und SPD liegt die größte Entgleisungsgefahr der geplanten Privatisierung im künftigen Umgang mit der Infrastruktur, also Schienennetz, Bahnhöfen und Stromversorgung. Sie sollen laut Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und Mehdorn Teil des Bahn-Konzerns bleiben. Damit aber fangen alle Probleme an. Denn auf diese Weise kann die Bahn nur zu maximal 49,9 Prozent privatisiert werden, da der Staat nach dem Grundgesetz die Mehrheit am Schienenweg behalten muss. Trotzdem wollen Tiefensee und Mehdorn, dass die künftigen Miteigentümer der Bahn mit dem Schienennetz möglichst wie richtige Kapitalisten wirtschaften können. Um das zu ermöglichen und dem Staat trotzdem die Verantwortung für das Schienennetz zu lassen, haben sich Tiefensees Beamte eine komplizierte Regelung einfallen lassen: Der Bund soll rechtlicher Eigentümer des Schienennetzes werden – etwa wie eine Bank, die jemandem das Auto finanziert und dafür den Kfz-Brief einbehält. Dabei darf der Käufer das Fahrzeug ungehindert nutzen, allerdings nicht verkaufen. Doch sechs renommierte Rechtswissenschaftler halten die Konstruktion für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, nur zwei für verfassungskonform – ausgerechnet jene, die für Tiefensee und die Bahn arbeiten. Die zweite Gefahrenstelle in Tiefensees und Mehdorns Modell ist die so genannte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die Bund und Bahn zurzeit aushandeln. Dabei geht es vor allem um die jährlich „bis zu 2,5 Milliarden Euro“, die der Staat nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bahn in den kommenden 15 Jahren garantieren soll. Dafür soll sie das rund 34.000 Kilometer lange Schienennetz einschließlich Bahnhöfen und Energieversorgung in Schuss halten. Umstritten ist weniger die Summe. Denn der Staat überweist der Bahn schon seit Jahren solche Beträge, weil die Fahrerlöse nicht annähernd die Kosten des teuren Netzes decken. Im Zentrum der Kritik stehen vielmehr die geplanten Qualitätskriterien für das Schienennetz und die Kontrollen, die teilweise so vage ausfallen, dass der Bahn große Spielräume zu Lasten des Steuerzahlers entstehen.

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